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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

18. 9. 2010 - 15:30

Generation Zuversicht

Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens.

Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens, aber die Jugend ist auch wenig fassbar und muss deshalb immer wieder erforscht werden. Zeitlich grenzt man sie auf die Zeit zwischen dem 12. und 25. Lebensjahr ein, aber das nützt ihr nix, denn bis Mitte Vierzig will doch jeder noch irgendwie dazugehören. Die Jugend von heute ist, glaubt man den gängigen Erhebungen und Umfragen, total wankelmütig. Anfang September berichtete beispielsweise "Der Spiegel" mal wieder von der "Generation Geil" und "Generation Porno", eine Woche danach inspirierte eine aktuelle Studie den alliterationssüchtigen Redakteur zur Jugend-Überschrift "Keusche Kuschler".

Am letzten Dienstag erschien jetzt, wie alle drei bis vier Jahre, die angesehene Shell-Studie. Seit 1953 gibt der Mineralölkonzern eine Jugendstudie in Auftrag - eine empirische Untersuchung, bei der 2500 Jugendliche von Sozialwissenschaftlern zu ihren Einstellungen, Werten, Gewohnheiten und ihrem Sozialverhalten befragt werden.

Die Shell-Jugendstudie

Shell

Und wenn auch letztes Jahr noch das Bild der gebeutelten Krisenkinder
entworfen wurde, jetzt zeigt die Shell-Studie ein ganz anderes :
Voll optimistisch ist die Jugend in Deutschland! Die "Generation
Zuversicht" glaubt an die eigene Karriere, wird wieder politischer,
will Familie und Kinder. 59 % blicken optimistisch in die Zukunft,
das waren bei der letzten Studie 2006 nur 50% und das war vor der
Krise!

Aber was für eine Überraschung: Nur die Mittel- und Oberschicht ist
positiv gestimmt. Wer hätte das gedacht, dass die Unterschicht weniger
vertrauensvoll in die Zukunft schaut? Und das in einem Land, in dem der
Bildungserfolg von Jugendlichen so sehr von Herkunft abhängt wie kaum
irgendwo sonst?

Fred Grimm: "Wir wollen eine andere Welt"

Haffmans & Tolkemitt

Fred Grimm: "Wir wollen eine andere Welt. Jugend in Deutschland"

Auch wer jetzt gleich wieder die "Generation Angepasst" oder
"Genertion Brav" ausrufen will, muss differenzieren. Denn die
Jugendlichen von heute sind keine Spießer, sie kombinieren nur
klassische Werte der Achtundsechziger wie Selbstverwirklichung mit
konservativen Einstellungen zu Familie und Freundschaft. Mahnende
Soziologen entdecken aber auch einen "grenzenlosen
Selbstoptimierungsimperativ", dem die Jugend von heute ausgesetzt ist.
Ein bisschen mehr über die Jugend, und zwar über die der letzten
hundert Jahre, kann man in dem gerade erschienen Buch "Wir wollen
eine andere Welt. Jugend in Deutschland" erfahren. Der Historiker und
Journalist Fred Grimm sammelte dazu die Stimmen deutscher
Heranwachsender aus mehr als 100 Jahren zusammen. Briefe, Tagebücher, Flugblätter und Blogs hat er in den entlegensten Archiven
aufgespürt, zeitlich gegliedert und ihnen einen kurzen Text
vorangestellt. Der handliche Wälzer versammelt auf 450 Seiten eine
Fülle von Material und bietet einen Querschnitt jugendlicher
Befindlichkeit von 1900 bis heute - und zwar in den eigenen Worten
des Forschungsobjekts "Jugendlicher", der sich hier im Gegensatz zur
Shell-Jugendstudie aus eigenem Antrieb in eigenen Worten äußert.

Aus gutem Grund beginnt diese private Jugendgeschichte im Jahr 1900.
Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts gab man ja dieser Lebensphase
einen eigenständigen Raum. Zuvor war man bis zu einem bestimmten Alter
einfach Kind und danach - mit Beginn der Pubertät - erwachsen, also
reif zum Arbeiten, Heiraten oder Verheiratet-werden und Kinderkriegen.
So erfährt man in "Wir wollen eine andere Welt" in Selbstzeugnissen
von der wahrscheinlich ersten deutschen Jugendbewegung, den
"Wandervögeln" um 1900, über das Leben als Dienstmädchen im
wilhelminischen Reich, über die "Halbstarken" der Fünfziger, das
Ravertum der Neunziger. Dabei werden sämtliche Lebenswelten erfasst:
Mode und Musik, Arbeit und Freizeit, Fabriken und Universitäten, Stadt
und Land. Und man kann wirklich erfahren, oder zumindest erahnen was
für ein Gefühl es war, jung zu sein in den Jahren 1901 bis heute.