Erstellt am: 20. 9. 2010 - 08:30 Uhr
2 oder 3 Dinge, die wir gelernt haben
Herbst 2009. Fünfzig Tausend Menschen können an einem Abend mobilisiert werden, um gemeinsam gegen ein Kaputtsparen des österreichischen Bildungssystems zu protestieren. Vierzig Universitäten können fast gleichzeitig besetzt werden, um sich europaweit gegen ähnliche Tendenzen auszusprechen. Und dann? Dann kam wieder die Normalität. Im Winter nämlich, als der Audimax der Universität Wien geräumt wird.
Die Ausstellung 2 oder 3 Dinge, die wir gelernt haben in der IG Bildende Kunst stellt jetzt nicht nur die Frage, was aus den Bildungsprotesten des letzten Jahres wurde, sondern auch, wie solche Zustände vielleicht sogar in eine länger andauernde Situationen übergeführt werden können. Die beiden Kuratorinnen Eva Egermann und Elke Krasny haben dazu Projekte zusammengetragen, die Bildungssysteme reflektieren, Kritik daran üben oder direkt darin intervenieren. Der Ausstellungsraum wird dabei zum Ort, an dem Objekte, Artefakte, Fotografien, Videos, Prozesse, Workshops und Gespräche einander treffen.
Alexander Schuh
Geheimes Wissen
Spätestens seit 1968 sind Bildungsinstitutionen nicht mehr nur Orte der Disziplinierung, wo junge Menschen zu jungen Bürger_innen gemacht werden, sondern auch Orte des Protests, an denen gegen diese Disziplinierung mobilisiert wird. Die Bandbreite des Protests geht dabei von Großdemonstrationen und besetzten Hörsälen bis zu alltäglichen Praxen, wie etwa Schummeln.
Ist Schummeln nicht auch eine Form von Wissensproduktion? Diese Frage stellt sich Annette Krauss in ihrem Projekt Hidden Curriculum. In Zusammenarbeit mit Schüler_innen dreier Schulen fragt die Künstlerin gerade nach diesen eingeübten und nicht offiziellen Mechanismen des Schummelns. Und sie zeigt, wie tief der klassische Schummelzettel als Teil von alternativen Wissensbeständen in unserem Schulsystem verankert ist. Parallel zu den die offiziellen Lehrpläne werden die Schüler_innen-Taktiken über Generationen weitergegeben, und das Projekt zeigt, "welchen unglaublichen Lernaufwand man eigentlich betreibt, um das perfekte Schummelergebnis zu erzielen", sagt die Kuratorin Elke Krasny.
Alexander Schuh
Marx lesen in der Strech-Limo
Am Monitor neben dem geheimen Archiv des Schummelns weist die Kuratorin auf eine "interessante Verschiebung" hin. In der Arbeit von Rainer Ganahl werden Texte von Karl Marx, Antonio Gramsci, Rosa Luxemburg und Frantz Fanon im white cube der Ausstellungsinstitution oder im Inneren einer Stretch-Limousine während der Armory Artfair in New York gelesen. "Der kommodifizierte, durchkommerzialisierte Kunstraum", so Kuratorin Egermann, "dient als Kontext für einen linken Lesekreis. Ist der Inhalt noch anpassbar an den Kontext der Strech-Limousine?" Um die Dekadenz der Aktion zu steigern, wird während der Marx-Lesung Champagner gereicht.
Alternative Geschichtsschreibung
bolwerK öffnet sich als erweiternder Raum für kommende Debatten. Am 16. September mit einem "performative open event".
Ein zweiter thematischer Strang führt zu künstlerischen Arbeiten, die aus Momenten von Bildungsprotestbewegungen in der Vergangenheit schöpfen und nach alternativen Geschichtsschreibungen suchen. In der Arbeit von Heidrun Holzfeind etwa sind Akteur_innen in Mexiko, die im Jahr 1968 die UNAM besetzt hielten, befragt worden. Die ehemaligen Studierenden der Universität Mexiko formulierten ein Programm gegen die herrschende Repression und riefen zu Streik und Besetzung auf.
Fiktive oder doku-fiktionale Projekte bilden den dritten thematischen Strang der Ausstellung. Die O.T.K. Crumpers-Tänzer in den Zeichnungen von Petja Dimitrova beispielsweise fordern gewaltfreie Bildung und Selbstbestimmung statt Integration. Und die Factory of Escape der Copenhagen Free University gleich daneben probt die Kritik an der neoliberalen Bildungsmaschine. Das Projekt startete 2001 und war sehr simpel organisiert. Der Alltag wurde zum zentralen Lerninhalt erklärt und eine Zwei-Personen-WG öffnete ihre Türen. Alternative Wissensproduktion, eingebettet in die tägliche Haushaltsökonomie und die Rahmenbedingungen, die der Alltag vorgibt. Die Effizienz wurde in den Hintergrund gerückt, stattdessen wurde mit sozialen Beziehungen experimentiert oder die "Wissensproduktion während des Schlafs" diskutiert.
Das Performanceduo Dolce&Afghaner war als Künstler_innenduo genauso wie als Aktivist_innen bei den Protesten im letzten Herbst engagiert. Die Videodokumentation wird von innen auf das Schaufenster der Galerie projiziert. Sie intervenierten bei den Demonstrationen mit Performances und Aktionen und stellen Ansprüche an eine andere Bildung. Kunst schafft so imaginäre Räume, in denen sich Verhältnisse anders Denken lassen.
Alexander Schuh
Die Ausstellung ist bis 29. Oktober 2010 in der Galerie IG Bildende Kunst, Gumpendorfer Straße 10-12, 1060 Wien zu sehen. Di- Fr 13-18 Uhr
Die Ausstellung 2 oder 3 Dinge, die wir gelernt haben macht sich auf die Suche nach Verbindungslinien, Konflikten und Widersprüchen zwischen Kunst, Pädagogik und sozialen Protestbewegungen. Die neuen Räume, die politischen Strukturen, Zeitschriften oder Netzwerke, die in Zeiten des Protests erkämpft werden, sind meist sehr fragil und prekär. Sie müssen ständig legitimiert und neu behauptet werden. 2 oder 3 Dinge, die wir gelernt haben macht genau das: Die Ausstellung ist eine umfassende Sammlung von "grauer Literatur", die selten Einzug in traditionelle Archive findet, und zeigt so das breite Spektrum von alternativen Methoden und Wissensbeständen in Zusammenhang mit Bildung.
Ein akustischer Rundgang
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