Erstellt am: 16. 9. 2010 - 00:55 Uhr
Do It Again
And I'm trying to comprehend the force, the fear
I'm willing to accept the good that's near
(All My Days)
Ein komisches Gefühl war das beim Einbiegen ins West Heath Yard. Mehr als acht Jahre war es her, dass ich das letzte Mal im dortigen Studio von Edwyn Collins gewesen war, lange vor seinem Schlaganfall, der alles verändert hat.
Einerseits war da die Freude über das neue Album „Losing Sleep“, das ich mir auf dem Weg nach West Hampstead mehrmals hintereinander durch die Kopfhörer ins Hirn spülen hatte lassen, über den schmuck- und rücksichtlosen Vorwärtsdrang der fast durchgehend flotten Songs und die Art, wie all das trotz der charakteristischen Gastspiele von Alex und Nick von Franz Ferdinand, Ryan von den Cribs, Johnny Marr, Roddy Frame, Romeo von den Magic Numbers und The Drums so wiedererkennbar nach Edwyn, ja gelegentlich geradezu nach Orange Juice klingt. Nicht zu vergessen Edwyns offensichtlich ungeschönte, wieder erstaunlich wendige Stimme, die bisher der Unsicherheitsfaktor seiner ansonsten so gelungenen Live-Comebacks gewesen war. Im Duett mit Ryan Jarman ist es jedenfalls sicher nicht Edwyn, der den Ton verpasst.
Andererseits war ich schon auch nervös, weil es mein erstes Treffen mit dem neuen Edwyn sein würde. Es ist schließlich schön und gut, sich zu wünschen, dass einer, den man so schätzt wie ihn, trotz der sechs Monate im Spital, trotz des verlorenen und mühsam wieder aufgebauten Gedächtnisses, trotz der halbseitigen Lähmung nichts von seiner Persönlichkeit verloren hätte. Aber was, wenn ich jenen scharfsinnigen Mann, den ich gekannt hatte, nicht mehr wiederfinden würde?
Ich hatte mir meine Sorgen umsonst gemacht. Während Edwyn noch mit einem Kollegen von der Zeit parlierte, wollte Grace Maxwell, Edwyns Frau, Managerin und Lebensretterin, vor allem über Werner Geier reden, der so einen wesentlichen Anteil daran hatte, dass Edwyn einst in seiner langen kommerziellen Durststrecke vor „A Girl Like You“ im weit entfernten Österreich sein vielleicht treuestes Publikum behielt.

Robert Rotifer
Grace ist eine beeindruckende Frau, die offenbar rein gar nichts vergisst. „Wann warst du zum letzten Mal da?“, fragte sie, rein rhetorisch, „Das muss die Zeit von Doctor Syntax gewesen sein.“ Stimmt genau. „Und warst du nicht einmal bei uns zu Hause? So um I'm Not Following You herum?“ Allerdings. Wie gesagt, sie ist ein Phänomen.

Ebury Press
Wo wir schon dabei waren, hab ich ihr gleich ein Belegexemplar ihres Buchs Falling & Laughing über die ganze rührende und, ja doch, spannende Geschichte von Edwyns Erkrankung und Genesung abgebettelt.
Dann setzte ich mich auf die Couch und begann mein Interview mit Edwyn, das kommenden Montag in meiner FM4 Heartbeat-Sendung zu hören und zwei Tage drauf in einer gewissen Wiener Wochenzeitung zu lesen sein wird. Zugegeben, es war anfangs ein wenig holprig, aber die Essenz der Songs auf „Losing Sleep“ hat er mir erfolgreich vermittelt. Mit derselben schnörkellosen Direktheit, die die Texte der Platte so eklatant von den sarkastischen Sprachspielereien seiner Soloalben der letzten zwei Jahrzehnte unterscheidet.
„Vor meinem Schlaganfall habe ich mich selbst interpretiert“, sagte er, „Jetzt konzentriere ich mich auf alles, auf das Leben, auf die Klarheit. Meine Perspektive ist direkt.“
Edwyn beginnt auch schon wieder zu fachsimpeln.
Über seine schönen Gitarren, die er selbst nicht spielen kann, weil sein rechter Arm immer noch gelähmt ist (Roddy Frame hat sich die Gretsch Black Hawk ausgesucht, Johnny Marr die Fender Jaguar, wie Edwyn mit leuchtenden Augen erzählt).
Oder über seine Anweisungen an die Musiker: „Ich sagte zu Will (seinem Sohn, der auf „All My Days“ trommelt, Anm.): 'Denk an Maureen Tucker.' Und er sagte nur, 'Right-ho.'“
Im Verlauf unseres Gesprächs wurde Edwyns Artikulation übrigens merklich flüssiger.
„Je mehr du dich entspannst, desto leichter wird es für dich“, sagte Grace, „Wir hatten so viele Interviews, wo ich im Hintergrund dazwischengeredet hab. Ich glaube, du hast schon genug davon...“
Edwyn: „Nein, hör auf, Grace. Das ist kein Problem.“
Grace (zu mir): „Erst letzte Woche hat Edwyn, als ich mich eingemischt hab, gesagt: Entschuldigung, das ist mein Interview!“
Edwyn (gluckst): „Ja, das ist wahr.“
Grace: „Ich glaube, die Zeit ist für mich gekommen, wieder in den Schatten zu treten und dich deine Sachen selbst machen zu lassen.“
Edwyn: „Glaubst du?“
Grace: „Ja, es ist gut für dich. Je mehr du sprichst, desto mehr wird sich deine Kommunikationsfähigkeit...“
Edwyn: „...verbessern.“
Ein wunderbarer kleiner Moment war das. Als Edwyn, der noch vor fünf Jahren keine Wörter außer „yes“, „no“, „Grace“ und „Maxwell“ herausbrachte, für sie ihren Satz beendete. In ein oder zwei Jahren wird sich das schon wieder zur Unart ausgewachsen haben.
„Losing Sleep“ von Edwyn Collins erscheint am Freitag.
Unser Gespräch kann man am Montag nach 22 Uhr in meiner Ausgabe von FM4 Heartbeat hören.