Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Kreativer Musiker sein und davon leben können? War nur ein kurzer historischer Zufall. Vergiss es."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 9. 2010 - 23:42

Kreativer Musiker sein und davon leben können? War nur ein kurzer historischer Zufall. Vergiss es.

Über eine Episode, einen Zufall der Geschichte, die/den wir - trotz ihres Endes - bewahren wollen. Über die Parallelen von unabhängiger und massentauglicher Qualitäts-Musik und Qualitäts-Journalismus; aus Anlass des heutigen Amadeus.

Bei nebenstehendem Text macht es keinen Sinn, nur den ersten Satz zu lesen, dann alles kurz zu überfliegen und vielleicht noch den Schlussabsatz zu checken, um dann oberflächlich mitreden zu können - wie es beim Konsum der Mainstream-Medien mittlerweile üblich ist.
Weil ich weiß, dass viele von euch "echt voll keine Zeit" haben einen längeren Text zu lesen, hier ein neues Service.

Die Kurzversion für Dummies:
Musik machen, voll unabhängig und davon leben können, weil Menschen dafür bezahlen? Nur weil das jetzt seit ein paar Jahren (okay, sagen wir so um die 40) geklappt hat? Vergiss es, das war ein Zufall der Geschichte. Ein Irrtum.
Vorher gabs sowas nicht, künftig wird's das auch nicht geben. Früher war Musik Auftragsarbeit der Mächtigen, wurde von Mäzenen finanziert oder hat privat, im Untergrund, vereinzelt stattgefunden. Ein paar Ausnahmen, Leute, die zufällig Hits haben: ja, gab es, gibt es, wird es auch weiter geben.

Aber diese flächen-deckende Popmusik-Kultur, die seit den 60ern, seit den Beatles und so, existiert, das war die Ausnahme, nicht die Regel. Schließlich ist Popmusik auch längst nicht mehr die Leitkultur, oder gar Motor der Jugendkultur, sondern nur ein Konsumprodukt wie andere auch - noch dazu eines durch die globale Digitalisierung Entwertetes.
Genau dasselbe gilt auch für den sogenannten Qualitäts-Journalismus, dessen Ende auch aktuell bejammert wird. Absurd reaktionäres Gejammer, das bereits Verlorenes am Leben erhalten, eine Art "Pet Sematary" anlegen will.

Song zum Thema:
Pet Semetary von den Ramones.

Warnung: Im folgenden bastle ich aus ein paar Fakten, einigen Schlussfolgerungen und ein paar womöglich subjektiven Interpretationen eine These.
Die ist mir nicht unbedingt sympathisch.
Es kann aber kein Grund sein, Erkenntnisse die einem nicht passen, wegzudrücken und nur deshalb am Denk-Status-Quo festzuhalten.
Der Praxistest (auch der im Bonustrack) sagt aber: genau das passiert aktuell.

Also: das, was wir als "Musikgeschäft" wahrnehmen und kennen, existiert in dieser Form erst seit sehr kurzer Zeit.
Es ist auf günstige gesellschaftliche Rahmenbedingungen zurückzuführen, dass sich seit den 60ern eine Kreativ-Industrie, die künstlerischer mit kommerzieller Freiheit kombinieren kann, entwickelt hat.
Diese Phase ist vorbei, bereits seit ein paar Jahren.

Was jetzt folgen wird, ist der Rücksturz in die Zeit vor dieser zufälligen, evolutionär irrtümlich erfolgten Blüte.

Musik, populäre Musik mit Massen-Appeal, dem Anspruch auf gesellschaftspolitische Relevanz und dem Nimbus einer Leitkultur, das war ein Kurzzeit-Phänomen.

Die Normalität, das ist eine Musik-Produktion,
die von Mächtigen, von Kirche und Staat, von Krone und Oligarchen beauftragt und somit auch kontrolliert wird; einerseits.
Und andererseits eine fluide Untergrund-Kultur, eine private Produktion Vereinzelter.

Erstere soll und muss die Massen erreichen oder für ökonomische Gewinne sorgen (etwa die vom Staat Österreich beauftragte Hochkultur-Produktion, die das über den Umweg von Image und Tourismus tut); zweitere kann im Einzelfall lokale Popularität erlangen - für eine Existenzsicherung, wie wir sie die letzten vierzig Jahre "Musikgeschäft" erlebt haben, reicht das aber nicht einmal ansatzweise.

Ein Beispiel: hätte die Roosevelt-Administration in der 20ern nicht eine Dokumentation US-amerikanischer Volkskultur und Volksmusik beauftragt und da auch einiges an Geld (heute würden wir es "Marketing-Zwecke" nennen) reingesteckt - Blues, Folk, Country oder Jazz hätten heute nicht einmal ansatzweise die Bedeutung, die sie als Initiatoren dessen, was wir moderne Popularmusik nennen, haben. Sondern sie würden weiter im Privaten, Verborgenen, im Amateurbereich agieren.
Letztlich hat diese Investition aus den 20ern (die womöglich sogar unstrategisch und absichtlich erfolgte) die Hegemonie der angloamerikanischen Populärkultur begründet - der Staat als Auslöser.

Das (durchaus nicht zufällige) Zusammentreffen
von Hochkonjunktur, Befreiung aus dem Nachkriegs-Mief, dem Beginn hochtechnologischer Entwicklung, der Implementierung von Jugendkultur und einer politischen Aufklärung schwappte, Zufall oder nicht, just die Popmusik als zentralen Träger der emotionalen Botschaften dieser Ära, in allerhöchste Höhen.
Und seit den 60ern lebt das, was sich vorher im kleinen Kreis abgespielt hatte (Jazz kursierte in kleinen elitären Zirkeln, der frühe Rock'n'Roll bestand bloß aus einer Handvoll Musikern), auf größtmöglichem Fuße: nämlich weltweit.

Das "Musikgeschäft" denkt, lebt und atmet immer noch in dieser Zeit. Jede/r Nachwuchs-Musikant/in unternimmt die ersten Schritte im Bewusstsein dieser längst nicht mehr existenten Möglichkeiten.
Das "Musikgeschäft" und auch wir, die Konsumenten, leben in einer Fiktion, einem Konstrukt, einer Scheinwelt.

Wir sind (natürlich mit Unterstützung einiger Beschleuniger, um die es mir jetzt aber hier nicht geht; diese Analyse ist eine andere Baustelle) längst wieder in die Zeit vor dieser Hausse zurückgeschossen worden.

Das alles verschlingende Geschäftsmodell des Kapitalismus
hat die Ware Musik, nachdem sie nach ein paar fetten Jahre ihrer wesentlichsten Zutat, der Kredibilität, des "Spokespeople of their Generation"-Benefits beraubt wurde, als das verramscht, was es ist: ein Alltags/Allerwelts-Produkt, ein Gratis-Angebot unter vielen, Soundtrack zum Konsum-Anreiz.

Aktuell zerfällt die Musik-Produktion wieder in die zwei traditionellen Kernbereiche: der von Mächtigen und Mäzenen finanzierte - und der private, nach dem Autoren-Prinzip gestrickte im Amateur-Bereich, der sich zunehmend nicht aus sich selbst erhalten kann.
Dazwischen fluktuieren noch ein paar Hit-Fabrikanten und Star-Ausnahmen. Es wird sie weiter geben. Sie werden künftig aber noch weniger werden.

Der Mittelstand dazwischen (als Parallele zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung) bricht praktisch komplett weg.

Wie gesagt: nichts von dem gefällt mir.
Was mir aber noch weniger gefällt: wie sich das "Musikgeschäft" an die Illusion der Möglichkeit einer Aufrechtserhaltung dieses zufällig entstandenen und bereits abgestorbenen Systems klammert; also mit einem Zombie ausgeht.

Same Story: Qualitätsjournalismus

Klaus Schweinsberg ist im Vorjahr in einen hyperelitären Think-Tank, die Young Global Leaders aufgenommen worden. Offenbar, weil er gut denken kann. Österreich hat auch jemanden nominieren dürfen. Eva Dichand.

Im vorwöchigen Spezial-Heft zu "40 Jahre Profil" schrieb Klaus Schweinsberg, Ex-Chefredakteur von "Capital" und jetzt Chef eines Strategie-Zentrums mit lässigem Namen unter dem Titel Unterhaltungsschäden einen Text, den er mit folgender Zeile einleitet: "Qualitätsjournalismus wird es nicht mehr geben, weil es ihn eigentlich nie gab. Über ein elitäres Missverständnis."
Einschub: Nein, dieser Text ist nicht online zu erhaschen. Aber: jemandem, der sich das 40-Jahre-Profil-Heft nicht angschafft hat, ist ohnedies nicht zu helfen.

Schweinsbergs Argumentationslinie geht so: Qualitätsjournalismus gab es nicht wirklich, das war eine Laune der vergangenen 60 Jahre, eine "kurze Episode publizistischer Glückseligkeit".

Auch das, was Schweinsberg sagt, will keiner hören, weil es nicht sympathisch ist. Und die Parallelen zur Musik sind unüberseh/hörbar.

Auch die Publizistik stand immer im Sold der Mächtigen
oder war, sofern sie von Vereinzelten Revolutionären gemacht wurde, nur für eine Elite zugänglich.

Letztlich ist das bis heute so.
Die FAZ wird selbst von ihren Abonennten kaum gelesen (neue wachsen auch kaum nach), die Qualitätsblätter beziehen ihren Einfluss aus der direkten Ansprache der politischen, ökonmischen und kulturellen Eliten. Solange das halbwegs kostengünstig zu bewerkstelligen war, klappte das auch. Nach Beendigung der Hochkonjunktur ist der Qualitäts-Journalismus das erste, was geopfert wird.

Dem Qualitätsjournalismus fehlt natürlich das kurze Aufflackern weltweiter Popularität und Bedeutung, den die Popularmusik hatte. Aber Schweinsberg bringt zum Abschluß mit einem schönen Vergleich die beiden bereits ausgestorbenen Arten zueinander. Er sagt: "Ich fürchte, dass Zeitungen und Zeitschriften in zehn Jahren als Werbeplattform so notwendig sein werden wie heute Schallplatten zur Verbreitung von Musik und die Verlage damit einer ähnlichen Zukunft entgegengehen wie die Musikindustrie."

Dieser Text ist die Ausgangs-Basis der heutigen Bonustrack-Sendung, der FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch.

Song zum Thema: "Pet Sematary" von den Ramones.

Beide sind also aus einer Laune der Geschichte
in eine Bedeutung gehoben worden, die sie zuvor nie hatten und die sie auch künftig nicht haben werden.

Wer sich dieser Problemzone seriös stellen will, tut gut daran sich nicht in einem Konstrukt, einer Projektion aus einer hübschen Vergangenheit zu befassen, sondern die gesamte Timeline mitzubedenken; und sollte aufhören mit dem Zombie auszugehen.