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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

16. 9. 2010 - 15:31

Eine Frage der Perspektive

Parallelwelten könnten sich diese Woche beim Unite Festival im Grazer Volksgarten begegnen.

Jedem "Problemviertel" seinen "Problempark". Im Fall des Grazer Bezirks Lend wäre das der Volksgarten. Den negativen Zuschreibungen will der Jugendarbeiter Ali Özbas diese Woche ein Festival entgegensetzen: Mit Bands wie Ras-lan-ti, Hella Comet und Belgrade Noise diesen Freitag und Samstag.

Gries und Lend sind die Grazer Fingerzeigbezirke, wenn es um Menschen mit Migrationshintergrund geht. Linker- und rechterseits der Annenstraße tun sich Parallelwelten auf, hört und liest man in Wochenblättern, die ungefragt vor Haustüren landen. Die Zuschreibungen sind durchwegs negativ. Dabei lebt es sich im wilden Gries und im kreativen Lend gut. Mitten in Graz, das Murufer zum Joggen, die Postgarage (wo es diesen Freitag das erste Unlimited-Gastspiel nach der Sommerpause gibt) ums Eck, das Theater im Bahnhof zwei Straßen weiter oder thailändische Küche zwei Straßen in der anderen Richtung. Um das Kunsthaus gibt es jetzt Bankerl, die angekettet sind, und Buchstaben, auf die man sich auch setzen darf, folgen. Ein kürzlich aufgestellter Bankomat in der Gegend ist die aktuelle Sensation, wir schreiben das Jahr 2010 und wohlgemerkt: zum Kunsthaus ist es ein Katzensprung. Gentrifizierung, hallo und hurra. Und zwar bitteschön für alle.

Ali Özbas vom Verein Jukus, der sich um Jugendliche mit Migrationshintergrund bemüht

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Ali Özbas begann als 20Jähriger mit Freunden, Sport und Konzerte, auch Theateraufführungen und Büchertage zu organisieren. "Die Zielgruppe waren MigrantInnen, viel haben wir gemischt gemacht", sagt Özbas

Ein kleiner, doch schöner Schritt ist das Unite Festival, das im Volksgarten bei freiem Eintritt über die Bühne gehen wird, auf der Wiese vor der Friedensstupa, die der Dalai Lama eingeweiht hat. Ali Özbas und sein Verein Jukus haben sich ein Fest für alle vorgenommen. Bei Binder&Krieglstein und dem Kabarettisten Mussin Omurca könnten sich die Parallelwelten begegnen.

"Migrantinnen und Migranten sind hier sichtbarer", sagt Özbas und blickt auf den Spielplatz im Volksgarten. "Wo sie sichtbarer sind, glaubt man, dass sie in der Mehrzahl sind. Auch, weil sie mehr draußen, im öffentlichen Raum unternehmen".

Soziale Integration

Die meisten Jugendlichen sind in Österreich geboren und hier aufgewachsen, sie sprechen Deutsch, obwohl sich manche in ihrer Muttersprache besser ausdrücken können. "Du kannst ihnen nicht sagen, sie sollen sich nicht auf Türkisch unterhalten", sagt Özbas. "Sie sind MigrantInnen gewesen, das sind sie nicht mehr." Die bevorstehenden steirischen Landtagswahlen am 26. September sind auch im Jugendzentrum bei Jukus ein Thema, weil Plakate mit Sprüchen wie "Unser Geld für unsere Leute" die Jugendlichen aufregen.

Viele der dreißig, vierzig Mädchen und Burschen, die bei Jukus derzeit regelmäßig Drehfußball oder Playstation spielen, sich treffen oder zum Lernen kommen, sind gebürtige ÖsterreicherInnen. Zuziehen tun nur noch ganz wenige, sagt Ali Özbas. In den Neunziger Jahren fanden noch etliche Familienzusammenführungen statt. Özbas selbst war eines der ersten Kinder, die durch die Familienzusammenführung nach Österreich kamen. Als Dreizehnjähriger zog er 1992 zu seinen Eltern, die bereits in Graz lebten. "In Sankt Andrä bin ich in die Schule gegangen. Ich war fast der einzige Migrant", erinnert er sich. Zwei seiner Schulkollegen kamen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Heute bezeichnet sich seine damalige Schule in Gries als "Schule der Nationen", Kinder aus über zwanzig Geburtsnationen lernen in den Klassenzimmern.

An den Nachmittagen findet an der Neuen Mittelschule muttersprachlicher Unterricht statt. Dazu kommen auch ältere SchülerInnen aus Gymnasien, um ihr Tschetschenisch, Serbisch oder eine der fünfzehn anderen angebotenen Sprachen zu verbessern. Das Angebot gilt für alle Grazer SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache. Zwei Stunden pro Woche ist Zeit, um die Sprache der Eltern vor allem auch schriftlich zu trainieren.

Vorbilder fehlen

Büchertisch beim Unite-Festival im Grazer Volksgarten

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Einen deutsch-türkischen Büchertisch gibt es im Volksgartenpavillon. Im Verein Jukus entsteht derzeit eine deutsch-türkische Bibliothek.

Der Nachholbedarf an Bildung ist groß, besonders bei den Älteren.Vielfach fehlt es an Vorbildern, sagt Özbas. "Die soziale Umgebung der Jugendlichen ist ausschlaggebend". Sie sind Arbeiterkinder. Ihre Eltern waren Hilfsarbeiter, von zuhause ging's schnurstracks zur Arbeit, von der Arbeit wieder direkt nach Hause. Manche der Zuwanderer konnten sich ein Auto oder gar eine Wohnung erarbeiten - aber in der Berufswelt sind sie nie aufgestiegen. Ali Özbas sagt den Jugendlichen: Das war dein Vater, damals hat man diese Chance gehabt, sein Leben durch bloße Hilfsarbeit zu finanzieren. Aber jetzt braucht man eine Ausbildung und nicht nur einen Job.

Darum bietet Jukus seit dem Vorjahr kostenlose Bildungsberatung an. In Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice sucht das Jukus-Team nach Perspektiven mit und für die Jugendlichen zwischen fünfzehn und 25 Jahren.

"Die Jugendlichen brauchen Rückhalt", sagt Özbas. "Sie kommen nicht zu Wort." Der Verein Jukus will ihnen Gehör verschaffen, darum wird beim Unite Festival nicht nur gefeiert, sondern auch bei einer Tagung über Jugend, Bildung und Migration diskutiert.

Die Band Hella Comet

Christopher Mavric

Hella Comet werden mal laut im Volksgarten

Unite Festival

Freitag, 17. September, Beginn 15:30, Volksgarten Graz:

* The Drain
* Mussin Omurca
* Spring And The Land
* Mussin Omurca
* Hozan Diyar
* Hella Comet

Samstag, 18. September, Beginn 14:00, Volksgarten Graz:

* Cooler Istanbooler
* Belgrade Noise
* Khuda
* Ras-lan-ti
* Microphone Mafia
* Binder&Krieglstein