Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Elfter September 2010"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

11. 9. 2010 - 16:09

Elfter September 2010

Flucht vor der Music Week hin zu Rainald Goetz' Buchpräsentation, bei der man nichts sah.

Die ganze Woche lang war Berlin von dem Berlin Music Week -all2gethernow-Berlin Festival-Wahnsinn verstopft. Ich selbst meide ja solche Popkomm-Veranstaltungen aus tiefem Abscheu vor der Musikindustrie in all ihren Facetten. Aber auch die befragten Kollegen aus dem Popjournalismus wollten diesmal alles boykottieren, äußerten ihren Ekel angesichts des zur Schau getragenen Poplifestyle in Musikmarketingkreisen, meinten aber, ihr Unbehagen gründe sich auch auf die popkommtypische Verquickung schmieriger Subventions und Privatwirtschaft mit allzu viel melodiösem Indie-Pop aus Schweden. Einige freuten sich bei aller Zurückhaltung doch darauf´, Edwyn Collins zu interviewen oder Robyn auf der Bühne zu sehen.

Ich überlegte ganz kurz, ob vielleicht das Vortragsprogramm in irgendeiner Weise interessant sein könnte, aber schon die Titel "Neighbourhood Watch - Learnig From Niche-Scenes" oder "Love & Money - Raising Your Fanbase" gaben dem Hass neue Nahrung und bestärkten mich im Entschluss, den ganzen Zirkus zu ignorieren.

Willkommene Abwechslung

Großes Gedränge in den heiligen Hallen der Hochkultur

Roesinger

Großes Gedränge in den heiligen Hallen der Hochkultur

Deshalb kam der Hinweis, Rainald Goetz würde am Donnerstag sein neues Buch "Elfter September 2010" vorstellen, so willkommen! Endlich mal eine außermusikalische Veranstaltung, endlich mal eine Gelegenheit das neue Domizil des Suhrkamp Verlags, der ja schon im Januar von Frankfurt nach Berlin gezogen war, zu besichtigen.

"Elfter September 2010" ist ein Bildband und wird im Verlagsprospekt so angekündigt: „Neun Jahre elfter September. 11. September, Datum des Jahrzehnts. Ein Bildtagebuch der letzten neun Jahre. Im Augenblick,
Frühherbst 2010. Wie sieht die Welt aus im Moment hier in Berlin. Wie war es in diesen Jahren. Was hat Rainald Goetz gesehen."

Am Donnerstag Abend machte man sich also frohgemut auf den Weg zur Buchpräsentation, aber in dem recht herrschaftlichen Haus am Prenzlauer Berg angelangt, kamen auf der imposanten Treppe große Gruppen entmutigt wirkender Menschen schon wieder herunter.

Oben in den Verlagsräumen steckte ein langer Gang zum Lesezimmer so voller Menschen, dass man noch nicht einmal mehr erahnen konnte, wo und was gelesen wurde. Westbam und Thomas Meinecke, alle möglichen Schriftstellerinnen und Autoren, bekannte Zeitungsgesichter, Feuilletonisten in feinem Tuch und hoffnungsvolle Buchpreis-Longlist-Autorinnen im kleinen Schwarzen drückten sich im Verlagsflur herum.

Zumindest konnte man mal sehen, was bei Suhrkamps so an der Wand hängt

Roesinger

Zumindest konnte man mal sehen, was bei Suhrkamps so an der Wand hängt

Außen vor gebliebene Tageszeitungsredakteure überlegten verzweifelt, was sie anstelle des geplanten Goetz-Textes nun bringen könnten und auch die Verlagsmitarbeiter wirkten hilflos, weil sie noch nicht einmal das Buch vorzeigen konnten, da es sich wohl noch "auf der Autobahn" befand.

Buchcover "Elfter September 2010"

Suhrkamp Verlag

Darum wäre es gegangen: Der neue Bildband von Rainald Goetz

Vielleicht war es am 9. September einfach noch zu früh für den Bildband "Elfter September 2010"? Wie hatte Rainald Goetz die Präsentation des Bandes wohl gestaltet? Irgendwie performativ wahrscheinlich. Wäre er ähnlich wie bei seiner "Loslabern"-Lesung unter Tische geklettert und hätte an Tafeln geschrieben? Man weiß es nicht. Was bleibt ist ein Interview im Zeit Magazin, in dem er über seinen Bildband Auskunft gibt und erklärt, wie die Wichtigkeit, die das Nachtleben in seinem Roman "Rave" noch hatte, jetzt ersetzt wird von der Faszination der Berliner Politik und der Medien.

Und so trat man unverrichteter Dinge wieder heraus aus den heiligen Hallen der Hochkultur und ging ganz profan was trinken. Aber bald sind die Deppen von der Berlin Music Week ja wieder weg und man kann ganz normal in Bars und auf Konzerte gehen.