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11. 9. 2010 - 16:45

Das Schnitzel zum Streicheln

Ein Schokoladenhersteller verwirklicht seine Vision vom "Essbaren Tiergarten": ein Projekt, das die Beziehung zwischen Mensch, Tier und Fleisch wieder zurecht rücken soll.

von Elisabeth Semrad

FM4 Schwerpunkt zum Thema "Tiere essen" am Freitag, 9. September 2010

In der Schokoladenmanufaktur Zotter im steirischen Riegersburg herrscht reges Treiben. In der Luft hängt der herbe Duft von gerösteten Kakaobohnen und über den Ladentisch sprinten kreativ verpackte Schokokreationen. Fünfzig Meter hinter dem Firmengebäude sieht die Welt ganz anders aus. Der erdige Gestank von Kuhfladen weht einem durch die Nase. Hochlandrinder mit unbändigen Zottelmähnen, die in einem grünen Talkessel weiden, beißen Wollschweinen in die Wangen und ein Eseljunges jault verzweifelt nach seiner Mutter.

Josef Zotter mit seinen Kühen

FM4 / Elisabeth Semrad

Josef Zotter kennt sie alle beim Namen: Moni das Schwein, Benni der Stier, Madonna das Rind. Doch das idyllische Bild trügt. Früher oder später landen die Tiere mit den großen Kulleraugen auf den Tellern der Mitarbeiter. "Als wir damit begonnen haben, hatten meine Mitarbeiter plötzlich die Carla am Teller. Sie aßen das Tier, das sie in der Mittagspause gestreichelt hatten. Es fiel ihnen anfangs sehr schwer. Heute wird darüber nicht mehr diskutiert. Sie sind froh, dass sie wissen, woher das Schwein kommt, das sie essen."

Der Essbare Tiergarten - ein Gaumenspielplatz

Auf einem rund dreißig Hektar großen Gelände setzt Josef Zotter gerade seine Idee vom "Essbaren Tiergarten" um. Besucher können hier in Zukunft auf eigens angelegten Wegen heimische Nutztierrassen kennenlernen und anschließend in einer "Essbar" verkosten. "Sie können die Tiere füttern und streicheln, aber immer mit dem Bewusstsein, dass sie auch gegessen werden und dass man anschließend ein Stück der Vorfahren isst." Der Projekttitel "Essbarer Tiergarten" soll bewusst provozieren, so Zotter: "Alleine die Aufregung darüber zeigt ja schon, wie weit sich der Fleisch essende Mensch eigentlich vom Tier entfernt hat. Wir vergessen gerne: Das Schnitzel war ja auch ein Tier."

Ein Zeichen setzen gegen Massenproduktion ohne Emotion

Josef Zotter will mit seinem Erlebnisbauernhof ein Zeichen gegen die Anonymität der Massentierhaltung und der Nahrungsmittelindustrie setzen, den Fleischprodukten im Supermarkt wieder ein Gesicht geben und den Sinnzusammenhang zwischen Tier, Fleisch und Mensch wieder herstellen. "Wir kaufen heute nur mehr anonymisierte Produkte. [...] Man weiß nicht, wie und von wem sie produziert wurden. Was sich dahinter abspielt, ist dem Konsumenten meist egal." Unter dem Motto "leben und leben lassen" will der Steirer Besuchern den tatsächlichen Wert von Fleisch vermitteln."Wenn man Tiere artgerecht hält und produziert, wenn man eine Liebesbeziehung eingeht, bekommt der Sonntagsbraten wieder seinen Sinn. Dann isst man eben nur zweimal pro Woche Fleisch, dann aber von Tieren aus Freilandhaltung und mit Ehrfurcht dem Lebewesen gegenüber."

Rind

Zotter.at

Nutztierrassen - Vom Zotellrind zum Riesenhasen

Im Essbaren Tiergarten werden vorrangig traditionelle Nutztierrassen gehalten, die heute fast gänzlich vom Markt verschwunden und zum Teil vom Aussterben bedroht sind. "Das sind sie, weil sie eben nicht die ertragreichsten Tiere sind. Aber in Wahrheit sind sie die resistentesten und die schmackhaftesten." Zu den Hochlandrindern und Wollschweinen gesellt sich im Laufe des nächsten Jahres noch eine Horde anderer Tierrassen. Sulmtaler- und Altsteirer-Hühner werden ebenso über den Hof stolzieren wie Damwild, Wildputen und Belgische Riesenhasen, die bis zu fünf Kilo schwer werden. Auch Schafe, Ziegen, Tauben, Wachteln, französische Weinbergschnecken und Gänsegeier werden den ökologischen Bauernhof bewohnen. In den angelegten Teichen tummeln sich jetzt schon Karpfen, Schleie und Welse gemeinsam mit Wassernüssen.

Dem Neo-Landwirt geht es vor allem um die artgerechte Haltung der Tiere. Keines von ihnen wird durch Enthornung oder Schwanzabkappen unnötig gequält. Sie verbringen das ganze Jahr über im Freien auf ökologischem Raum, der gänzlich ohne Kunstdünger und Spritzmittel auskommt. "Jedes Tier kann vom Stall ins Freie und hat genügend Platz, um sich zu bewegen". Gefressen wird das, was in der Natur wächst. Zudem dürfen die Tiere ein länger leben: "Unsere Hochlandrinder leben vier Jahre, in Massenzüchtungs-Betrieben werden sie schon nach drei bis zwanzig Monaten geschlachtet."

"Schlachtfesthaus" - Beim Töten live dabei

Zum Schlachten hat Josef Zotter, der als Sohn eines Landwirts am Bauernhof aufgewachsen ist, ein natürliches Verhältnis. "Ich war bei vielen Schlachtungen dabei. Im Nachhinein betrachtet war es immer wie ein Fest, fast ein Ritual, das mit Ehrfurcht abgehalten wurde. Es war viel mehr Bewusstsein da. Das ist heute gänzlich verloren gegangen." Im Essbaren Tiergarten will er deshalb gemeinsam mit anderen Bio-Landwirten ein "Schlachtfesthaus" errichten, in dem Besucher bei Schlachtungen zusehen können. "Ich weiß, das ist sehr hart. Aber wenn wir Fleisch essen, dann müssen wir das aushalten."

Ziegen

Zotter.at

Derzeit werden die Tiere von einem Jäger aus dem Gehege geschossen und einem Metzger weitergereicht. Schnell und schmerzlos soll es gehen. Ohne, dass die Tiere langwierige Transporte zum Schlachter über sich ergehen lassen müssen. "Das wäre ein Wahnsinn. Diese Viecher sind es gewöhnt, das ganze Jahr über im Freien zu verbringen. Würde man sie in LKWs pferchen, wäre das für sie ein Horror", so Zotter. Selbst zum Messer greifen, das kann sich der Steirer aber nicht vorstellen. "Würde ich nur Tiere essen dürfen, wenn ich sie selber schlachte, dann würde ich endgültig zum Vegetarier werden."

Beitrag zum Welthunger

Der Essbare Tiergarten wird im Sommer 2011 eröffnet.

Zotter will den Tiergarten als Beitrag gegen den Welthunger verstanden wissen. Die Fleischproduktion sei das Unökonomischte, was man sich vorstellen könne. Für ein Kilo Fleisch, benötigt ein Schwein oder Rind zwischen zehn und fünfzehn Kilo an Getreide oder Grünfutter. "Das könnte man in Form von Salat oder Getreide auch direkt essen und damit zehn Mal so viele Menschen ernähren." Derzeit verbraucht jeder Europäer eine ökologische Fläche von 4,7 Hektar, obwohl weltweit nur jedem 1,8 Hektar zur Verfügung stehen. "Irgendwann geht uns die Energie auf dem Planeten aus. Momentan bräuchten wir schon ein bis zwei Erden. Wir leben gerade auf Kosten der Substanz. Normalerweise ist der Planet so ausgelegt, dass wir von den Zinsen leben. Aber wir essen gerade unser Kapital auf."