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David Pfister

Rasierklingen, Schokolade, Zentralnervensystem, Ananas, Narzissmus und Ausgehen.

10. 9. 2010 - 10:20

3096 Tage

Natascha Kampusch präsentiert ihre Autobiografie in einer Wiener Buchhandlung.

Ich war schon am 24. Dezember auf der Wiener Mariahilferstraße. Ich war schon bei der Peace Line in Belfast und im Gazastreifen. Und ich war auch schon mal bei einer Séance dabei. Also alles Orte und Situationen die ein brisantes soziales Gefüge zur Folge haben können. Und einen ähnlichen sozialen Brennpunkt erwartete ich auch von der Buchpräsentation mit Lesung von Natascha Kampusch.

Aber wenden wir uns zuerst einmal dem Buch zu. Gemeinsam mit den Co-Autorinnen Heike Gronemeier und Corinna Milborn hat Natascha Kampusch nun ihre Autobiografie geschrieben. Natascha Kampusch beginnt ausführlich mit ihrer Kindheit und erzählt von desolaten Familienverhältnissen, geprägt von körperlichen Zurechtweisungen und Demütigungen.

Und dann wird sehr offenherzig über ihre Entführung und ihre Gefangenschaft berichtet und auch die Frage Nummer 1 nach Körperlichkeiten zwischen Natascha Kampusch und Wolfgang Priklopil wird beantwortet. Der Fokus wird vor allem auf die verschiedenen Formen der Folter gerichtet, die Kampusch ertragen musste und gleichzeitig wird versucht, das ambivalente Verhältnis zwischen Opfer und Täter zu beschreiben.

Kampusch

Ullstein-List-Verlag

Der Täter kam nicht am Abend, und er kam auch nicht am nächsten Morgen. Ich hatte Hunger, mein Magen knurrte, langsam bekam ich Krämpfe. Ich hatte etwas Wasser im Verlies, das war alles. Aber das Trinken half nicht mehr. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an Essen. Ich hätte alles getan für ein Stück Brot.

Im Laufe des Tages verlor ich zunehmend die Kontrolle über meinen Körper, über meine Gedanken. Die Schmerzen in meinem Bauch, die Schwäche, die Gewissheit, dass ich den Bogen überspannt hatte und er mich nun elendig verrecken lassen würde. Ich fühlte mich wie an Bord der sinkenden Titanic.

Das Buch ist in dem bekannten Duktus von Natascha Kampusch geschrieben, den man aus den Interviews kennt. Da das Buch außer Konkurrenz beschrieben werden muss, stellt sich eine Bewertung des Stils nicht. Gehen wir davon aus, dass der Grund für die selbstverfasste Biografie primär die Korrektur der Wahrnehmung der eigenen Person ist. Und Natascha Kampuschs Bedürfnis ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte endgültig und ausführlich selbst zu erzählen.

Die Chancen stehen mit dieser Autobiografie gut, ihr Ziel, die gewandelte österreichische Volksmeinung wieder zu korrigieren, wenigstens ein gutes Stück zu erreichen. Deshalb verwundert mich es umso mehr, warum man ausgerechnet auf so eine groteske Art und Weise das Buch präsentierte.

Ich fühlte mich wie an Bord der sinkenden Titanic

Mit einer öffentlichen Lesung wird Natascha Kampusch ihre Autobiografie präsentieren, Fotos und Aufnahmen jeder Art sind streng verboten und Autogramme wird sie auch nicht geben, steht in der Presseaussendung.

Eine Stunde vor der Präsentation hat sich die große Wiener Buchhandlung schon zu einem seltsamen Schauplatz aus Flughafen und Wurstelprater verwandelt. Etwa 700 Menschen warten auf Natascha Kampusch und diskutieren jausnend zwischen Stapeln von New Moon-Romanen ob sie wohl ein Autogramm erkämpfen können und vor allem Natascha Kampuschs finanzielle Situation. Polizisten, Securities und ausländische Kamerateams selbstverständlich inklusive.

Kampusch

Arthur Einöder

Und dann beginnt die Show, die Lichtjahre von so etwas wie gutem Geschmack entfernt ist. Eine nervlich merklich sehr angespannte Natascha Kampusch wird von Christoph Feurstein interviewt und ist anscheinend so erregt, dass sie zu Beginn kaum in der Lage ist Antworten zu geben. Die permanenten technischen Probleme wirken sich zusätzlich nicht positiv auf diese eigenartige Performance aus. Die Probleme versucht man durch einen gewissen Grad an Humor auszugleichen, das steigert dann aber die Beklommenheit nur noch mehr, wenn sich die strapazierte Kampusch kurz darauf wieder laut vorlesend durch ihr Buch quälen muss.

Kampusch

Arthur Einöder

Wie vorhin erwähnt, das Buch mag Wogen glätten und Natascha Kampusch auch abseits von kommerziellen Aspekten helfen. Warum eine Presseabteilung aber gerade bei einem so sensiblen Thema aber wirklich jede Form von Eleganz und Fingerspitzengefühl über Bord wirft und man sich für einen 'Auftritt' im wahrsten Sinne des Wortes entschieden hat, verstehe ich nicht und erscheint mir kontraproduktiv.

Allerdings verlieren die zahlreichen BesucherInnen während der Kampusch-Show schnell das Interesse und schon nach 20 Minuten leert sich die Buchhandlung merklich.

Vielleicht habe ich also unrecht und das wurde von der Marketingabteilung im Sinne für das Wohl von Natascha Kampusch genauso konzipiert.

3096 Tage von Natscha Kampusch, Heike Gronemeier und Corinna Milborn ist im Ullstein-List Verlag erschienen.