Erstellt am: 10. 9. 2010 - 16:05 Uhr
Heimat fremde Heimat
Die Rezension zu "6 Österreicher unter den ersten 5" ist am 13. September in FM4 Connected ab 17 Uhr zu hören.
Als Dirk Stermann 1987 nach Österreich kam, da war Wien noch das Ende der Welt. Es gab keine deutschen Privatsender, die die Sprache vereinheitlicht haben und Dialekte marginalisierten, als Währung diente der fremde Schilling und wenn man den Westen erleben wollte, fuhr man nach München.
Für mich stellt sich die Situation anders dar: Als ich 2005 nach Wien kam, war Österreich längst der EU beigetreten und der Euro als gemeinsame Währung eingeführt. Inzwischen sind wir über 130.000 Deutsche in Österreich, eine der größten Migrantengruppen in diesem Land.
Nicht-Auffallen gescheitert
Um als Deutscher in Österreich nicht aufzufallen, gibt es unterschiedliche Taktiken. Entpiefkenisierung und Assimilierung über Sprachkurse. Oder Ghettoisierung und keinen Kontakt mit echten Österreichern, kein Problem im Uni-Alltag.
In meinem Fall, als Bayer, kann man natürlich auch auf seine Eigenständigkeit pochen, so lange, bis Bayern versöhnlich zum zehnten österreichischen Bundesland erkoren wird - mit seinen 12 Millionen Einwohnern.
Ullstein Verlag
Doch als Nicht-Bayer und zumindest am Anfang scheitern alle Versuche des Nicht-Auffallens, egal wie sehr man sich bemüht. Und auch der unpatriotischste Deutsche wird tagtäglich gezwungen, seine Herkunft zu verteidigen.
"Deutschland nervte, und Wien hatte 1987 als vorübergehende Wahlheimat etwas Freakiges. Ich kannte niemanden außer mir, der nach Wien ging, und fühlte mich allein schon deshalb wohl. Deutschland hinter mir gelassen, Südosteuropa vor mir - herrlich. Bereit für alles Fremde, ohne jedes Vorurteil, weil ich mir ja noch nie Gedanken über dieses Land und seine Bewohner gemacht hatte. Ich hatte keine Meinung zu Österreich und den Österreichern und freute mich darüber. Womit ich nicht gerechnet hatte: Jeder Österreicher hatte eine Meinung zu den Deutschen. Alle dort machten sich von Kindesbeinen an Gedanken über Deutsche, Deutschland und typisch Deutsches, und ich war plötzlich stärker als je zuvor, 'deitsch', wie man nur deitsch sein kann."
Weitere Buchrezensionen
"Wia geht´s da? - Gschissn"
Dirk Stermanns Roman "6 Österreicher unter den ersten 5" ist durchaus autobiografisch. Genau wie die Figur Dirk Stermann ist auch der echte Dirk Stermann 1987 nach Wien gekommen, um hier zu studieren. Relativ früh hat er für den ORF gearbeitet. Und den Sprachkurs zur Entpiefkenisierung hat er wirklich machen müssen, bei Eva Wächter. Und auch im echten Leben ist er an der Klangmelodie des "Frühstückeis" gescheitert. "Sie können gerne zu mir kommen und wir trinken Kaffee, aber das Sprechtraining ist umsonst", hat sich Dirk Stermann anhören dürfen.
Im Gegensatz zur Figur hat sich der echte Dirk Stermann in Wien schnell wohlgefühlt. Die "Wia geht´s da? - Gschissn"-Mentalität störte ihn nicht. Er findet es sogar als sehr befreiend, wenn man in einem kleineren Land lebt. Einerseits hat man in Wien nicht das Gefühl, irgendetwas zu verpassen, weil sich alles auf eine Stadt konzentriert. Andererseits muss man sich in einem kleinen Land zum Beispiel nicht für den Palästinakrieg verantwortlich fühlen, weil man eben nicht der Global Player in der Politik ist.
Schleichende Entpiefkenisierung
Daniel K. Gebhart / www.fotex.at
Die literarische Figur Dirk Stermann erlebt im Verlauf des Romans eine Wandlung. Am Anfang lässt er sich noch von anderen Deutschen Wörterbücher mit Übersetzungen zustecken. Natürlich wird er von allen als Deutscher erkannt. Aber mit den Jahren und dem ständigen Kontakt zu Österreichern tritt schleichend der Prozess der Entpiefkenisierung ein. Er lernt Robert kennen, den fußballbegeisterten Live-Kommentator, der immer noch Cordoba nachweint, und er bringt betrunkene ORF-Reporterinnen nach Hause. Er hilft einem Freund den verunglückten und verwesenden Hund der Freundin zu entsorgen und antwortet jedes Mal, wenn die verrückte Frau in seinem Wohnhaus nach der Uhrzeit fragt.
"6 Österreicher unter den ersten 5" - Lesetour mit Dirk Stermann
- 20.09. Wien - Rabenhof Theater
- 29.09. Klagenfurt - k.e-theater
- 30.09. Wels - Medienkulturhaus
- 02.10. Innsbruck - Treibhaus
- 03.10. Dornbirn - Conrad Sohm
- 03.11. Graz, Literaturhaus
- 10.12. Salzburg - ARGEKultur
Und plötzlich fängt Österreich an, seine Heimat zu werden. Eben dann, als er beginnt, sich nicht mehr dafür zu rechtfertigen, woher er kommt. Er nennt seine Tochter absichtlich Kina, wohlwissend, dass der Name in Österreich mit dem Land verwechselt wird, und er spielt das Cordoba-Match nach.
"6 Österreicher unter den ersten 5" lebt von den detaillierten und liebevollen Beschreibungen österreichischer Charaktere. Dirk Stermann schafft es, neben seinem Humor und derben Bildern rund um Fäulnis, Abtreibung und Morbidität eine versöhnliche Geschichte zu schreiben, die als Ganzes funktioniert und nicht nur als roter Faden, der von einem Witz zum nächsten führt. Darüber hinaus bemüht sich der Roman um Völkerverständigung. Einerseits kann er als Reiseführer gelesen werden, der Deutschen Österreich näher bringt, mit allen verschrobenen Eigenheiten, die das Land nun mal mit sich bringt. Andererseits können Österreicher lernen, wie es ist, sich in einem fremden Land zu Hause fühlen zu wollen.