Erstellt am: 9. 9. 2010 - 12:45 Uhr
Always Malaise
Die Bassgitarre ist das wichtigste und gleichzeitig zumeist unspektakulärste Instrument der klassischen Rock-Combo.
Auch wenn alle Effekte ausfallen, alle Gitarren verstimmt sind und die Mikros feedbacken – mit einem räudigen Basslauf und einem vernünftigen Beat lässt sich jedes Publikum in den Bann ziehen.
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Die Pop-historischen Beispiele sind unzählbar: So leben nicht nur ganze Songs ("Close to me" von The Cure, "Another Brick In The Wall" von Pink Floyd, etc.) sondern sogar ganze Bands von diesem so einfachen wie genialen Konzept.
Nirvana ist hier nur ein Beispiel, allerdings ein gutes. Während Cobain mit Gesang und Gitarre die Gänsehaut liefert, drückt Novoselic permanent den unerbittlichen Groove in die Eingeweide. Und während die Bedeutung von Dave Grohl´s Schlagzeug für Nirvana so gut wie Common Sense ist, wird eben dieser Trick manchmal ein bisschen übersehen.
Bassläufe, die Musikgeschichte schrieben
Eine aktuelle Band aus den USA, die dieses Einmaleins der Rockgeschichte im Schlaf beherrscht und zur Meisterschaft führt sind Interpol aus New York. Vor allem ihr Riesenerfolg "Evil" vom 2004er Album "Antics" reiht sich nahtlos in diese Geschichte der Bassläufe, die Musikgeschichte schrieben, ein.
Verantwortlich dafür ist natürlich auch bei Interpol ein Zauberer dieser Disziplin, Carlos D., der auch als Fashion-Ikone viel zum Image von Interpol beigetragen hat. Und just dieser Mann verlässt nun die Band. Das ist die schlechte Nachricht, die gute lautet: Am neuen, selbstbetitelten Interpol Album ist Carlos noch dabei, und das hört man.
Interpol live:
Am 18 November im Gasometer Wien
Dennoch sind Interpol natürlich alles andere als ein One-Trick-Pony, wie in einer düsteren Séance fügen sich seit Anbeginn all die Dinge zusammen, die den ganz speziellen Sound dieser Band ausmachen: Es ist eine verdammt moderne Mischung aus Post-Punk, Industrie-Charme, klassischen Rock-Zitaten und noch dazu extrem sexy angerichtet.
Dass so eine Band eigentlich nur aus New York kommen kann versteht sich von selbst.
Interpol
I miss you babe
I want you back
The signs we gave
Weren't those signs supposed to last?
(Songtext – summerwell)
Eine Art Zäsur
Interpol, das mittlerweile vierte Album von Interpol, versteht sich auch als eine Art Zäsur, nicht nur durch den bevorstehenden Abgang von Carlos D. induziert , der alte Trick plötzlich ein selbstbetiteltes Album zu machen spricht auch dafür.
Ganz generell ist diese Platte beim Erstkontakt ein wenig spröde, dunkel und unhandlich. Gut, dafür stehen Interpol auch nicht erst seit gestern, es ist aber auffällig wie der atmosphärischen Fläche gegenüber der Songfixiertheit Priorität eingeräumt wird.
Es ist ja auch noch gar nicht so lange her, dass Sänger Paul Banks als Julian Plenti ein Soloalbum abgeliefert hat - hier zeigt sich die unterschiedliche Ausrichtung am deutlichsten. Während Plenti solo doch am ehesten eine Ansammlung von klassischen Popsong-Formaten war (mit "only if you run" als Speerspitze) ist die neue Interpol eher ein Eintopf-Gericht geworden. Da schmeckt man auch den Knoblauch und die Paprika raus, der Reiz entsteht aber vor allem durch den Gesamt-Geschmack – und der ist eben klassische Interpol-Küche.
myspace.com/interpol
Und dennoch hat die Platte auch ihre Schwächen, leider muss man das so deutlich aussprechen. Es ist ein bisschen wie wenn Du Dich seit Monaten auf einen Urlaub freust, und dann liegst Du am Strand und eigentlich ist eh alles schön. Aber nur eigentlich, insgeheim wartest Du drauf, dass sich irgendein innerer Knoten löst und Du plötzlich spürst – das ist es! Würdest Du das alles hier auch gut finden, wenn Du Dich nicht zwingen würdest begeistert zu sein?
Genau das ist auch das Problem an dieser Platte und den vielleicht etwas überzogenen Erwartungen die damit verbunden wurden.
Streckenweise merkt man Interpol an, wie sehr sie sich bemüht haben, cool zu sein, und das ist eigentlich das Schlimmste, das einer eh schon saucoolen Band passieren kann. Da wird gleich mal um 3 oder 4 Ecken gedacht, der einfache Turn immer ausgebremst und der Verkopftheit jede Menge Raum gelassen.
So wie jemand der vor dem Fernseher zu viele Sportzigaretten raucht und dann vor Ideen sprüht – auch wenn da massenhaft interessante Sachen dabei sind, ist es für den nüchternen Beobachter doch schwer zu folgen.
Es ist schon okay, das Schema F zu fürchten, aber zu Tode gefürchtet ist eben leider auch gestorben.
Ein bisschen orientierungslos wabern also zehn neue Interpol Songs in unsere Ohrwascheln, beim Erstkontakt bleibt vielleicht noch am ehesten die erste Auskopplung "Barricade" über, generell dürfte es aber schwierig sein, hier sonst noch irgendwelche "Hits" auszukoppeln.
Das hat natürlich auch gar niemand verlangt, ein bisschen weniger angestrengtes Künstlertum hätte mich persönlich allerdings auch nicht gestört.
Nach wie vor zählen Interpol zu den heutigsten Rockbands dieses Planeten und beweisen auch mit dieser Platte erneut, dass sie gar nicht in der Lage sind richtigen "Schrott" zu produzieren. Und vor dem Vorwurf in Richtung kommerzielle Anbiederung zu gleiten sind sie mit diesem Werk auch sicher.
Die ultimative Katharsis, wie eben "Antics", ist Interpol aber eben auch nicht. Vielleicht ist aber auch nur diese Erwartung ein wenig überzogen. Aber die Latte liegt eben sehr hoch wenn man "Interpol" heißt.