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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

8. 9. 2010 - 15:08

"Wir können damit umgehen"

Großer Wirbel um eine Lehrerin, die vor den Ferien noch ein Lehrer war. Die SchülerInnen nehmen es locker, die Schule setzt auf Aufklärung. Entwarnung kann bezüglich der Gefahr der Geschlechterverwirrung gegeben werden.

Ein Informatiklehrer der HTL Spengergasse hatte vor dem Sommer angekündigt, er werde nach den Ferien als Lehrerin in den Unterricht zurückkehren. Vor allem im Elternverein der Schule löste diese Ankündigung große Angst aus, nämlich die, dass die Pubertierenden durch die Transgender-Lehrerin in ihrer geschlechtlichen Identität verunsichert werden könnten. Daher wollte der Elternvereinsobmann bewirken, dass die Lehrerin vom Dienst freigestellt werde, bis die „Auswirkungen auf die Schüler geklärt sind“.

Am Anfang steht die Aufregung

Der, wie es jetzt aus der Schule heißt, Alleingang des Elternvereins-obmannes war ein gefundenes Fressen für die Medien. Die ganze Geschichte wurde medial aufgeblasen, wobei sich schlussendlich auch bürgerliche Medien wie die Presse oder der Kurier auf die Seite der transsexuellen Lehrerin schlugen. Das Unterrichtsministerium hatte ohnehin von Anfang an verlautbart, dass die Schule kein Platz für Diskriminierung sei.

HTL Spengergasse

Michael Schletz

Aufregung an der HTL Spengergasse

Als ich die SchülervertreterInnen der HTL Spengergasse treffe, sind die des ganzen Aufhebens rund um ihre Schule ein wenig überdrüssig. „Also ich finde die ganze Aufregung, die es jetzt rund um unserer Schule gibt, übertrieben“, sagt Viktoria Nestler, Schulsprecherin der HTL Spengergasse. „Ich finde, man hätte nicht so eine große Sache daraus machen sollen.“ Ihr Kollege Christian Langer pflichtet ihr bei: „Dieser ganze ‚Skandal‘ wurde total aufgebauscht.“ Die beiden werden in dem Café, wo wir uns zum Interview treffen, übrigens von der Kellnerin erkannt, sie hat sie in der ZIB gesehen, was für die beiden ein Beweis des unnötigen Medientrubels ist. Denn: Sie seien ja lediglich SchulsprecherInnen und nicht ExpertInnen für Transgender-Fragen.

„Ich würde der ganzen Sache jetzt einmal eine Zeit Ruhe geben, dann wird sich das von selbst regeln“, wünscht sich Christian Langer. „Es wird Alltag werden und dann wird keiner mehr ein Problem damit haben.“ Denn es ist ja auch nicht so, dass die Geschlechtsumwandlung überraschend kommt: Der Informatiklehrer Walter S. hat ja schon im letzten Schuljahr begonnen, Ohrringe zu tragen oder sich die Haare zu stylen, erzählen die SchülerInnen. "Wir haben das bemerkt", sagt Christian Langer, "aber nie eine große Sache daraus gemacht. Wir dürften das lockerer sehen als in den Medien dargestellt".

Die Frage der Geschlechtsidentität

„Also ich sehe nicht ein, warum die transsexuelle Lehrerin SchülerInnen jetzt übergebührend verwirren sollte“, meint Johannes Wahala von der Beratungsstelle Courage, der Andrea S. während ihrer Geschlechtsumwandlung begleitet hat. Er betreut unter anderem Personen, die transident empfinden, sich also im „falschen“ Geschlechtskörper fühlen. Durch eine transsexuelle Lehrerin kann das aber nicht ausgelöst werden: „Wir sprechen bei der Geschlechtsidentität von drei Bausteinen“, erklärt er. „Der erste Baustein ist die Kerngeschlechtsidentität, die Gewissheit beim Menschen, ein Junge oder ein Mädchen zu sein, die ist bereits sehr früh vorhanden. Dann sprechen wir von der Geschlechtsrollenentwicklung, da kommt es schon darauf an wie Genderrollen innerhalb der Gesellschaft und der Familie vorgelebt werden. Als drittes sprechen wir von der Geschlechtspartnerorientierung, ob ein Mensch eher zum verschiedenen oder zum gleichen Geschlecht in der Partnerwahl tendiert.“

Logo Beratungsstelle Courage

Beratungsstelle Courage

Transidentes Empfinden hat vor allem mit dem ersten Baustein der Geschlechtsentwicklung zu tun, der Kerngeschlechtsidentität. „Und die kann nicht durch eine transidente Lehrperson verwirrt werden“, sagt Johannes Wahala „Wenn es Verwirrungen gibt, dann sind die schon früher da, oft im frühen Kindesalter.“ In einer so großen Schule wie der HTL Spengergasse könnte es durchaus transident empfindende SchülerInnen geben, meint Wahala. „Und diese Jugendlichen gehören dann ohnehin gut beraten und begleitet.“ Die transsexuelle Lehrerin kann in einem solchen Fall höchstens Vorbild dafür sein, sich mit der eigenen Transsexualität zu beschäftigen. Hervorgerunfen wird diese durch eine transidente Pädagogin aber nicht.

Aufklärung nötig

Genau das muss in der Aufklärungsarbeit klargemacht werden, weiß Marcus Dalfen. Er macht in der rosalila Villa, dem Wiener Lesben- und Schwulenhaus, Beratung und hält auch immer wieder Workshops an Schulen, in denen sich SchülerInnen mit dem Thema sexuelle Identität und Orientierung auseinandersetzen.

villa collage

villa.at

„Es geht hier darum, dass die Schüler, die Lehrer, aber auch die Eltern einfach einmal verstehen müssen: Was ist Transsexualität?“, meint er. „Das kann man nicht erben, das ist keine Krankheit, man kann es sich aber auch nicht im Laufe der Zeit aneignen, es ist auch nicht ansteckend, sondern das hat man einfach intus. Es muss den Schülern, den Eltern und den Lehrern klargemacht werden: Was ist das? Wie fühlt sich dieser Mensch überhaupt, wie geht es ihm? Denn er bleibt ja der gleiche Mensch, er ändert nur sein Geschlecht.“

In den Schulworkshops, die hauptsächlich Homosexualität thematisieren, hat er die Erfahrung gemacht, dass die Vermittlung von Wissen darüber, was Homosexualität oder Transsexualität überhaupt sind, den SchülerInnen meist Ängste nimmt. „Wenn sie dann sehen, dass wir ganz normale Menschen sind, sind sie dann meistens auch sehr interessiert und offen, mehr darüber zu erfahren.“

Und weiter?

Diese Aufklärung wird es in den ersten Schulwochen in der Spengergasse auch geben. Die SchülerInnen finden das in Ordnung, ihrer Meinung nach wäre es nicht wirklich notwendig gewesen: „Naja brauchen... Mit dem kennt sich ja eh jeder aus“, sagt Schulsprecherin Viktoria Nestler. „Aber es ist sicher gut, wenn das Thema im Unterricht mal angesprochen wird.“ Insgesamt steht sie dem Thema gelassen gegenüber: „Wir sind eine HTL und alle zwischen 14 und 19 Jahre alt, wir sollten mit so etwas schon umgehen können.“

HTL Spengergasse

Michael Schletz

Ihre Kollegin Caroline Bösze hofft, dass die Schule ein Vorbildwirkung hat: „Ich denke Andrea S. könnte ein Vorbild für Österreich sein. Und wenn es andere Lehrer gibt, die das auch vorhaben, ihr Leben umstellen wollen, werden sie das sicher leichter schaffen.“

Heute Abend wird übrigens im Club 2 über Transsexualität und die damit verbundenen Tabus diskutiert. Die HTL-Lehrerin Andrea S. wird dort auch zu Gast sein.