Erstellt am: 8. 9. 2010 - 19:55 Uhr
Eroberungen der Nacht
There Are No Stars …
Christian Lehner
Staatlich geförderte Repräsentation im Ausland hat ein Christian Fennesz wahrlich nicht mehr nötig. In den USA ist der Ambient Maestro aus Wien momentan der wohl erfolgreichste österreichische Musiker zwischen Pop und Anvantgarde. Seine Alben werden von den wichtigsten Publikationen des Landes zumeist äußerst wohlwollend rezensiert und Kollaborationsanfragen wie jene an den mittlerweile von sich selbst aus dem Leben gerissenen Mark Linkous aka Sparklehorse begeistert angenommen. Bereits Ende September steht die nächste Nordamerika-Tour an. Die soeben auf Thrill Jockey veröffentlichte EP Knoxville wurde eben dort, in der nämlichen Stadt in Tennessee, im Rahmen einer Live-Performance mit den Szenegrößen Tony Buck und David Daniell aufgenommen. Alles also easy für Mister Endless Summer im Amiland. Und das bereits seit Mitte/Ende der 90er Jahre.
Christian Lehner
Dennoch macht die Einladung zum Moving Sounds Festival durch das co-veranstaltende Austrian Cultural Forum (ACF) und das MICA Sinn, wirft doch eine Lichtgestalt von diesem Format auch einen Schimmer auf noch nicht ganz so Etabliertes. Kurz: der Name Christian Fennesz garantierte zum Abschluss des Moving Sounds Festival am vergangenen Samstag ein volles Haus – nicht in der vollverglasten Heimstätte des ACF an der 52nd Street in Manhattan, wo die meisten Panels und Konzerte stattfanden, sondern im Feinschmecker Club Le Poisson Rouge im West Village. Unweit davon wohnte einst der junge Dylan. Mittlerweile ziehen Massen von Touristen über die Bleeker Street. Das Blue Note ist ja auch da.
„Eine The Strokes Plagiatstruppe aus Wien braucht hier wirklich niemand“, meint Fennesz vor Showbeginn auf die künstlerischen Voraussetzungen in den USA angesprochen. Und dann im Nachsatz die schier unmöglich zu erfüllende, dann aber doch zu unserem Staunen immer wieder verwirklichte Aufforderung doch etwas „Individuelles“ und „Anderes“ zu schaffen, etwas, "das niemand sonst kann oder macht", dann würde das schon klappen, mit dem internationalen Erfolg. Oder auch nicht. Vorhang auf für Anja Plaschg aka Soap & Skin.
Christian Lehner
Ich habe in einer frühen Kurzbio über die junge Singer- Songwriterin gelesen, dass sie eigentlich in den USA entdeckt wurde (und zwar vom ursprünglichen Betreiber der Knitting Factory) und in New York – damals noch als Teenager - ihre ersten Konzerte gegeben hat. Zu einer Abklärung kam es an diesem Samstagabend allerdings nicht. Keine Interviews, so die Meldung aus dem Backstage Raum, was dann eh auch irgendwie zu erwarten war. Anders als Fennesz, der am Folgetag für einen Auftritt nach Philadelphia weiterzog, sollte der Soap & Skin Besuch in den USA einer von wenigen Stunden bleiben. Überhaupt scheint das Interesse, hier Fuß zu fassen, eher gering zu sein.
Christian Lehner
In The New York Sky …
Fennesz im Interview am kommenden Sonntag im FM4-Soundpark ab 01 Uhr.
Auch wenn das Publikum vermutlich überwiegend wegen Fennesz gekommen war, Soap & Skin hatte bereits mit ihrem Einzug einen großen Auftritt. Da schritt/schwebte/schlich eine Person auf die Bühne, die zugleich erhaben, nervös, gefasst, völlig unbeteiligt und dann auch absolut willensstark wirkte. Eine junge Frau wie eine Diva wie ein unbeholfenes Mädchen wie eine Preisboxerin. Diese Widersprüchlichkeit im künstlerischen Mehrpersonenhaushalt der Steirerin sollte sich dann auch im Vortrag entfalten. Zuerste ein Piepsen, dann ein Hauchen, ein Singen, schließlich ein Schreien und Spucken und mit dem dramatischen Höhepunkt 'Marche Funèbre' ein regelrechter Triumph der Walküren. Zerbrechlich? Behelfenswert? Das meiste, was ich über Auftritte dieser wahrhaftigen Künstlerin gelesen habe, musste an diesem Abend schnellstens vergessen werden. Zum Beispiel die durchsichtige Frage nach der Authentizität und Inszenierung dieser Schmerzensshow. Who cares? Die Intensität, die Soap & Skin durch ihr Musiktheater herzustellen vermag, erübrigt die Frage nach den Mitteln, die sie dafür benötigt.
Christian Lehner
Das Drama, das sich auf der Bühne abspielte, muss gerade ein New Yorker Publikum verstören. In der Stadt des Broadway und der traditionellen Piano/Singer Songwriter Paarung, lassen sich wohl locker 1000 10-Jährige finden, die den Backkatalog einer Nina Simone auf dem Kopf stehend rückwärts singen können und zwar perfekt. Perfektion und Professionalität sind alles. Ob im Punk oder Opernhaus. Es muss entweder ordentlich danebengerotzt oder so richtig schön vergoldet werden. Ein Crossover irritiert. Nur ein Lou bestätigt diese Regel.
Soap & Skin trifft viele Töne nicht. Und wie sie es tut, tut weh. Die Spannung im Auditorium – und wie gespannt dieses Publikum war, Mund offen! – enstand dann aber nicht durch ein wohlig voyeuristisches Anteilhaben am möglichen Scheitern, das ja in Bezug auf Soap & Skin bei Kulturmännern sämtlicher Altersgruppen angeblich sexuell aufgeladene Beschützerinstinkte wecken soll. An diesem Abend war es vor allem die Macht, mit der sich die Steirerin gegen dieses Scheitern stellte, die den Atem raubte und großartigste Musik hervorbrachte.
Christian Lehner
Als beim Refrain von ‚Thanatos‘ die Kopfstimme auch im dritten Anflauf an der dünnen Höhenluft scheiterte, sprang Plaschg entnervt auf und vollzog an sich ein „Kehle durch“ Handzeichen, blickte dabei jedoch in Richtung Soundbooth. So wie sie diese Geste setzte, blieb unklar, ob nun der Mensch am Mixer oder sie selbst gemeint war. Doch nur wenige Augenblicke später erlebten wir mit ‚Spiracle‘ den expressiv schönsten Moment ihres Konzertes, als der höchste Gipfel des Repertoires mühelos erklommen wurde. Plötzlich saßen die Töne, die da ausgerechnet die Worte Please help me formulierten! Ob inszeniert oder nicht, sowas kommt an bei einem kulturellen Umfeld, das Comeback-Stories liebt. Das hatte schon etwas von einem 1A-John-McEnroe-Service nach einem seiner berühmten-berüchtigten Wutausbrüche.
Christian Lehner
Es war ein schönes, ein betörendes, ein aufwühlendes Konzert. Eine Stunde im hochdramatisierten Widerspruchsbad der Gefühle und Handlungen. „Anja ist eine Künstlerin, die hat dieses Etwas“, so Fennesz in unserem Gespräch. Man muss ihre Kunst nicht mögen, um diese Qualität zu würdigen. Der Rest ist Missgunst oder Liebe. Letztere war ihr an diesem Abend sicher.
Christian Lehner
They Are On The Ground …
Christian Lehner
Das Unvorhergesehene spielt auch in der Kunst des Christian Fennesz eine - nicht nur kompositorische - Rolle. Eine technische Panne gleich zu Beginn seines Sets macht diese Nacht in Manhattan dann eindgültig zu einem österreichischen Abend. Wieder werden wir Zeugen eines quasi pantomimischen Zeichenspiels, eines Minidramas zwischen charmanter Nachlässigkeit und existentalistischem Fall Out. Heast, des gibt’s jo net!
Christian Lehner
20 Minuten später sind dann alle Stecker gesteckt, Kabel gelegt und "On-Buttons" gedrückt. Fennesz tunet sich zunächst auf halbe Lautstärke ein. Die Atmosphäre glimmt noch vom Soap & Skin Konzert. Der Mann für das richtige Sound-Ambiente scheint das zu spüren. Dann fadet er langsam aber zielstrebig über den Geräuschpegel des Publikums. Plötzlich sind wir mitten im Gig. Alles fließt und flutet. Der akustische Wellenschlag erfüllt die Venue.
Christian Lehner
Christian Lehner
Christian Lehner
Hochkonzentriert wandert der Blick zwischen den Polen Gitarre und Display. Kaum jemand versteht sich so gut in der Vermählung von Noise und Wohlklang wie Fennesz. Der emotionale Gehalt, den er aus der Schichtung und Verquickung seiner Sounds, Riffs und Drones generiert, lässt selbst Tunes von Marathonlänge wie knappe Popsongs erscheinen. Schon kurz nach seinem Sprung auf die Welle, schwingt und schwelgt der ganze Raum. Draußen lärmen die Bridge & Tunnel Massen hungrig ihr Lied vom Saturday Night Fever. Im Le Poisson Rouge feiert man ein Sitzkonzert wie eine Rock & Roll Show. Am Ende stürmischer Applaus. Die Spannung weicht aus dem Gesicht. Ein kurzes Lächeln. Ein grandioser Abend. He'll be back.
Christian Lehner