Erstellt am: 6. 9. 2010 - 20:45 Uhr
Fußball-Journal '10-49.
Meisterschaft und Cup, das "europäische Geschäft", das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison mit ungeschöntem Blick.
Diesmal mit einer analytischen Konsequenz, die sich aus der Erstellung der aktuellen Legionärsliste ergeben und viel mit der morgen startenden EM-Quali-Campaign des ÖFB-Teams und auch mit dem morgen stattfindenden, womöglich letzten Spiel des aktuellen U21-Jahrgangs zu tun hat.
Wenn man sich so wie ich in den letzten Tagen sehr ausführlich die österreichischen Spieler, die im Ausland arbeiten, angesehen hat, sie mit den in Inland, in der Bundesliga Tätigen vergleicht und dann auch noch die Situation der heimischen Fußball-Lehrer hernimmt, dann kann man deutliche und klare Schlüsse ziehen.
Wenn das dann auch noch, dank terminplanmäßigen Zufalls, vor einem Länderspiel passiert und sich die Medien die Tage der Vorbereitung mit braven Interviews des Teamchefs vertreiben, dann kriegt man die Beweise quasi tagesaktuell auf den Tisch gelegt.
Die aktuelle Fußballspieler-Generation, die zwischen 1980 und 1993 Geborenen, ist vielleicht keine Goldene, aber eine, mit der sich schon leben, spielen und Erfolge haben ließe.
Die vielen Legionäre belegen das.
Nur: im Ausland werden sie von tatsächlichen Coaches gefordert; und hierzulande "passiert" das, was anderswo Standard ist, manchmal, nebenbei und eher zufällig.
Sorry, aber am Spieler-Material liegt's nicht mehr...
Die Qualität heimischer Kicker ist auf eine mittlerweile Euro-Standard-mäßige Grundausbildung, auf brauchbare Akademien, Leistungszentren und einzelne Nachwuchs-Leiter und -Trainer zurückzuführen. In der Phase danach kommen diese an sich mit allem Nötigen Ausgestatteten dann aber praktisch flächendeckend in die Hände von Selbstdarstellern, denen Verhaberung mit Medien, das Bad in der Fußball-Öffentlichkeit und die Absicherung der eigenen Karriere über ihre eigentliche Aufgabe stellen.
Denn sie sind Fußball-Lehrer; Lehrer - keine Poseure, die ihr Prestige, das sie als Ex-Teamspieler errungen haben, mit Klauen und Zähnen verteidigen, anstatt sich um die bestmögliche Interpretation ihres Jobs zu sorgen. Denn das würde dauerndes Lernen und Orientierung am vorbildhaften Fußball-Ausland voraussetzen.
Die wirklich Großen, die Mourinhos, die schaffen übrigens beides: Qualität und Image.
Dies jedoch hat die heimische Ex-Spieler/Experten/Trainer-Mafia samt ihren Medien-Adlaten offiziell als uncool erklärt (und bewegen sich damit in derselben Diskurslosigkeit wie die politischen Rechtspopulisten).
Die fünf Ausnahmen, die mir jetzt einfallen, mögen mir die Pauschalierung verzeihen. Aber: Außenseiter wie Alfred Tatar werden von der Nomenklatura ohnehin als Spinner belächelt, die sich Arbeit antun, wo man alles doch auch "mitm Schmäh" und ein paar willfährigen Boulevard-Journalisten regeln könnte.
... sondern am Baumeister, der keine Pläne lesen mag.
Noch ein Beispiel der aktuellen Constantini-Botschaft: Systeme wurscht, nur Spieler sind wichtig. Das ist insofern auch clever, weil er sich dann in Schuld.-Fragen abputzen kann - so haben es immer die Spieler verbockt, weil das wofür er verantwortlich ist, das System eben, ja eh blunznwurscht ist. Ein perfider Trick des Teamchefs also...
Dass laola1 von einer verheerenden Signalwirkung dieser Aussagen spricht, zeigt immerhin, dass sich nicht alle Medien am Nasenring des Populismus durchs Land ziehen lassen.
In einem Interview in der Wochenendausgabe der OÖN etwa versucht Christoph Zöpfl das Unmögliche: Dietmar Constantini zu einem substanziellen Dialog zu verführen. Etwa zum Thema "System". Der Teamchef sagt dazu: "Oft muss ich lachen, wenn ich Analysen höre, dass eine Mannschaft ein 4-4-2 oder 4-2-3-1 oder sonstwas gespielt hat. Ein System wechselt während eines Spiels x-Mal."
Tut es, im Optimalfall. Aber nicht bei Constantinis ÖFB-Team, das bleibt meistens im Simplen stecken; weil es keine entsprechenden Anweisungen oder Vorgaben für Eventualitäten gibt.
Aber selbst wenn Constantinis Truppe die Fähigkeit hätte zwischen den Systemen zu switchen: irgendeine Ausgangs/Grund-Position braucht es. Und die sollte halt nicht zufällig entstehen, sondern durchdacht sein.
Und das ist bei Constantini leider nie der Fall.
Er glaubt weiter an das Dümmstmögliche, nämlich die personelle Zuschreibung. Zitat: "Nicht das System ist entscheidend, sondern jeder einzelne Spieler."
Und deswegen regt ihn auch der schlimme Kurier so auf. Der hatte nach dem Schweiz-Spiel "acht Baustellen" des Teams geortet, kürzlich aber ein Lieblings/Schmieranski-Team aufgestellt, das an nur drei Positionen andere Spieler will, als sie auch Constantini aufstellen würde.
Tiroler Milchmädchenrechnungen
Wer mir nicht glauben mag, soll sich doch bitte die offizielle A-Team-Analyse, die Constantini für den ÖFB gemacht hat anschauen, eine volksschülerhafte Powerpoint, die an nichtssagender Armseligkeit und analytsicher Hilflosigkeit nicht zu überbieten ist.
Des Tirolers Milchmädchen-Rechnung: acht Baustellen, aber nur drei Personal-Dissonanzen: da kann was nicht stimmen.
Nun hat es nichts mit höherer Mathematik zu tun, dass die Wahl des richtigen/besseren Spielers allein ein Problem nicht löst. Wenn Constantini etwa nicht kapiert, was die Außenverteidiger im modernen Fußball an nötigen Aufgaben leisten müssen und sie nicht entsprechend einsetzt, dann könnte er auch Maicon und Lahm aufbieten und wird trotzdem nichts erreichen.
Wer es seit über einem Jahr nicht und nicht schafft vor einem Spiel einen Penaltyschützen zu bestimmen, der verwirkt das Recht sich nach dem Spiel über Misserfolge vom Elferpunkt zu erregen. Um nur eines, das simpelste aller Beispiele zu bringen.
Das, was Constantini an Arbeit hinlegt, ist die pure Verweigerung, es ist kein Coaching, sondern bewusstes und fahrlässiges Vercoaching. Auch und immer wieder im Spiel.
So wie Manfred Zsak für sein Vercoachen berühmt ist, so wie Andi Heraf das zuletzt wieder gezeigt hat, und so wie auch Andreas Herzog das vorentscheidende Heimspiel der U21 gegen Weißrussland in den Sand gesetzt hat - denn der ÖFB-Fisch stinkt nicht vom Kopf her, sondern - leider - überall.
Die Vercoacher sind es, denen es an internationaler Qualität fehlt...
Off-Topic, aber - leider - ganz aktuell: diejenigen, die anlässlich meines Journals vom 23.7., am Tag des Abschieds von Stronach aus seiner Firma Magna, noch so heftig widersprochen hatten und an ein gesichertes Fortbestehen des Neustädter Retorten-Konzepts geglaubt hatten wie an das Jesuskind, sind jetzt arm dran. Wie immer bei Stronach geht es dann sehr rasch. Und zwar dem Ende zu.
Der Onki hat jetzt nämlich ein anderes Spielzeug.
... nicht die Spieler. Die sind dann, wenn sie (hin und wieder) von einem richtigen Trainer, einem echten Fußball-Lehrer, der sich die Systemfrage auch in seinen Träumen durch den Kopf gehen lässt, trainiert werden, nämlich durchaus zu mehr imstande. Paul Gludovatz, Tabellenführer und U20-WM-Vierter etwa, kann so etwas. Aus einem eigentlich unterlegenen Team mittels kluger Ideen, cleverer Taktik, eines wie ein Anzug angepassten Systems und einer immer neu erarbeiteten Spielstrategie mehr rausholen, als es eigentlich drauf hat.
Sonst kann das kaum einer.
Die werden schon angesichts der vielen Begriffe und ihrer womöglich auch noch anstehenden praktischen Umsetzung so schwindlig, dass sie sich ins Einfachste zurückfallen lassen. Und das sehen wir dann Woche für Woche, Länderspiel für Länderspiel, in einer Handschrift des geringsten Widerstands.
Weshalb die österreichischen Coaches außerhalb unserer Grenzen auch in etwa so beliebt sind wie Hundstrümmerl, die man sich im Schuh eingetreten hat.
Dort zählt nämlich nicht (ausschließlich) die durch Gegengeschäfte und Liebesdienste mit dem Medien-Boulevard erschlichene Popularität, sondern das Können und die Bereitschaft sich mit dem Hier und Jetzt (oder, noch besser: der Zukunft) auseinanderzusetzen.
Die Be/Verhinderer lauern auf den Bänken
Die EM-Qualifikation, die der vom Teamchef so geschimpfte Kurier jetzt in einer verdächtig überschwänglichen verbalen Wiedergutmachung geradezu herbeiredet, ist - wenn man sich die Fähigkeiten der Spieler im Vergleich zu ihren Kollegen aus der Türkei und Belgien ansieht - schwer genug; und eigentlich nur durch das Abrufen des gesamten Potentials, durch Glück und übermenschlichen Willen möglich.
Die schlimmsten Be- und Verhinderer bei diesem ohnehin schon fast menschenunmöglichem Unterfangen sind jedoch die Vercoacher, die lernresistenten Bewahrer einer Kultur der Diskurslosigkeit und Denkarmut, die auch weiter viel dazu beitragen werden, dass Talent versickert, dass sich weder Spielkultur noch pfiffige Philosophien entwickeln werden, weil sie an nichts als dem eigenen Image interessiert sind.