Erstellt am: 27. 9. 2010 - 11:00 Uhr
Die Kunst des Verschwindens
"Fast jeden Tag müssen wir uns irgendwo anmelden, beteiligen uns an der nächsten Welle von Sites und Services, die etwas Anderes, Neues versprechen. Und so lange diese permanente Revolution weitergeht, ist es sehr schwer, im Internet von Nachhaltigkeit zu sprechen."
So lautet die Kurzanalyse des niederländischen Sozialwissenschafters Geert Lovink im Interview mit FM4 auf die Frage, wie stabil und beständig die gegenwärtige Struktur des Web ist. Lovink kann gute Vergleiche ziehen: Er beschäftigt sich bereits seit den frühen 1990er Jahren mit Online-Gemeinschaften und Kommunikationsdynamiken im Internet.
Kurze Halbwertszeiten
Warum Online-Communities und Social Web-Portale - etwa MySpace - oft schnell große Erfolge feiern, um dann wenige Jahre später ihre Relevanz wieder zu verlieren, ist schwer zu sagen. Noch viel prekärer wird die Situation, wenn Web-Plattformen zu einem ganz konkreten Zweck gegründet werden. Das Projekt "Uni brennt", diesjähriger Preisträger in der Kategorie "Digital Communities" beim Prix Ars Electronica, kämpft seit dem vergangenen Jahr für eine von Studierenden und Lehrenden selbstbestimmte Universitätsverwaltung. Nun ist man jedoch an einem schwierigen Punkt angelangt: Den nächsten wichtigen Schritt zu machen und dabei nicht an Boden zu verlieren, ist eine große Herausforderung.
"Das Problem ist, dass es nach zwei Monaten vorbei war. Diese Community ist nicht im klassischen Sinne zerfallen und in einem großen, heroischen Kampf der Fraktionen fragmentiert worden. Die Leute sind einfach gekommen, haben es benutzt und sind verschwunden. Diese Kunst des Verschwindens, die Jean Baudrillard auch in seinen Arbeiten so wunderschön auf den Punkt gebracht hat, sieht man immer mehr in den Online-Communities."
Geert Lovink
Wunsch nach Stabilität
Wie bei der eigenen Familie, Partnerschaften oder der teuren Waschmaschine ist auch im Web der Wunsch nach Stabilität groß. So sehr uns die dauernden Innovationen und Verbesserungen von Softwareanwendungen Euphorie und Begeisterung in uns hervorrufen, so stark ist auch die Sehnsucht nach ein paar wenigen, quasi-perfekten, digitalen Dingen, auf die man sich verlassen kann. Wir sind hin und hergerissen: Immer nur jene Applications zu nutzen, die wir bereits kennen, ist praktisch und zeitsparend. Andererseits profitieren meist einige, wenige Firmen von unserer Bequemlichkeit, immer dieselben, vertrauten Tools zu verwenden.
twentytwenty
Geert Lovink ist Keynote-Speaker beim ersten Termin des Zukunftsymposions "twenty.twenty" am 29. September im ORF Radiokulturhaus in Wien.
So oder so ist der Kurzlebigkeit von Software und Online-Plattformen aber ohnehin nur schwer beizukommen. Seit unsere Daten größtenteils in der viel gepriesenen Cloud auf den Servern von privaten Konzernen wie Google oder Yahoo schweben, wird das Gefüge zunehmend instabiler. Nachhaltigkeit und Langlebigkeit scheinen manchmal genauso aus dem Fokus zu geraten wie Privatsphäre und Datenschutz. Doch auch, wenn wir kaum noch regelmäßige Datensicherungen auf lokale Speicher vornehmen - unser Tun und Schaffen im Netz können wir dennoch abspeichern. Geert Lovink Rät zum Festhalten und Archivieren durch eigenes Teilnehmen, Beobachten und Aufschreiben.
"Wir sollten die Geschichte des Internets als Teil der Gesellschaft sehen. Das bedeutet aber auch, dass wir uns hinsetzen und diese Geschichten aufschreiben müssen."