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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

4. 9. 2010 - 05:04

Ein Haus, das noch nicht ist

Lokalaugenschein an jener Site, die zwei Blocks entfernt von Ground Zero ein Muslimisches Kulturzentrum werden soll und bereits ein Hot Spot für NY-Touristen und andere Menschen mit Absicht geworden ist.

Beten und Blitzen

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Draußen wird mit Händen und Füßen diskutiert. Drinnen riecht es muffig nach altem Büro. Was viele nicht wissen: in 45-51 Park Place wird bereits gebetet. Mal schnell Reinschauen ist trotzdem kein Problem, meint der Mann hinter der Glastür. Ich müsste bloß die Schuhe ausziehen und mein Aufnahmegerät ausschalten. Der in einen Kaftan Gewandete erklärt, dass er hier hergekommen sei, um mit seinen Brüdern den Beginn des Fastenmonats Ramadan zu feiern. Mit der Betreiberorganisation Park 51 habe er ebenso wenig zu tun wie der selbstberufene Hüne am Eingang. Jener steht mit breiten Armen vor dem Gebäude und bestätigt einem älteren Touristenpaar aus Texas so ziemlich jedes Angstklischee, das man sich von FoxNews und Co. die letzten Jahre über abholen konnte. This gentlerman looks scary. Ja, tut er durchaus. Die Texaner wollten hier, "keinen Stunk machen", verlieren sich aber bald in einem Streitgespräch mit einer Gruppe hiesiger Studentinnen. Eine von ihnen bemüht Jesus als Verkünder von Verständigung und peace. Eine andere Touristin bellt im breitesten Südstaatendialekt zurück: piece of ass - he would kick you in your butt!. Da hat wohl jemand nicht nur die guten Manieren zuhause gelassen, sondern auch den Religionsunterricht mehr als nur einmal geschwänzt.

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Glaubensschwestern sind übrigens auch im Gebetsraum. Sie knien auf dem grauen Spannteppichboden in dem für Frauen vorgesehen Bereich. Ein Schild weist ihnen höflich aber bestimmt diesen Platz zu - in sicherer Distanz zu den Männern. "D'oh!" schreit das Gutmenschelnde in mir. Wir leben in komplizierten Zeiten. Sonst befinden sich an diesem Donnerstagnachmittag kaum Personen im provisorischen Gebetsraum. Da ertönt eine männliche Singstimme. Wahrscheinlich ein Gebet. Kommt das aus dem Kassettenrekorder, der am Boden steht? Egal. Gemeinsam mit dem New York Korrespondenten der Corriere della Sera und seiner Frau wundere ich mich, warum in dieser seit Wochen hitzig geführten Debatte um das hier geplante Zentrum, kaum je an die Öffentlichkeit dringt, dass sich im Erdgeschoss der ehemaligen Burlington Textilfabrik mit der Hausnummer 45-51 Park Place bereits seit geraumer Zeit Muslime zum Gebet treffen. Und auch darüber, dass vom Debattierknäuel vor der Tür kaum nur wenige den Schritt über die Schwelle wagen. Möglicherweise hat es mit dem von einschlägigen News-Organisationen, Politikern und BloggerInnen gestreuten Narrativ zu tun, der sich die letzten Wochen über sehr erfolgreich als Mehrheitsmeinung etabliert hat. Davon aber ein andermal.

Demnächst: Wie die New Yorker die Diskurshoheit über das Muslimische Community Center verloren haben.

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Wieder draußen am Boardwalk ist alles typisch New York, also ein bisschen durchgedreht. Ein schuhloser Bummelphilosoph versucht sein Weltverschwörungsbuch an die wenig interessierten Streithähne und die Touristenschar zu bringen. Gelegentlich schickt er jungen Bankern, die gerade auf dem Weg nach Hause oder in die Dive Bar nebenan sind, Flüche nach. Sichtlich angeheiterte Bauarbeiter vom nahen Ground Zero machen sich über das Szenario lustig. Ein ehemaliger Soldat, der in Deutschland stationiert war, brüllt in Köpfe wendenden Anfällen "Nurnborg" und "Dresdn – Deutschalnd uber alles! No Nazi bigots at Ground Zero!". Erheiterte Touristen im "I Love New York T-Shirt" schießen Fotos. Sie sind nicht umsonst gekommen. Da kann man zuhause etwas erzählen.

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Das Texanische Paar hat sich kopfschüttelnd von den Studentinnen gelöst, die jetzt einen adrett gekleideten Evangelisten belagern. Recht ist für die beiden nicht immer richtig. Die Texanerin sagt - nun wieder mir zugwendet: It ain't right, so close to Ground Zero. Sure they can pray, but not here. It ain't right. Selbst ein "arabisch aussehender" Taxifahrer hätte ihnen bestätigt, dass man mit "denen" nicht so nachlässig umgehen darf. Natürlich wären nicht alle Muslime böse, aber der Schmerz von 9/11 säße einfach zu tief. Die Anschläge hätten immerhin der ganzen Nation gegolten. Jetzt müssten sie aber weiter, rüber zum geheiligten Boden von Ground Zero. Dass sich in unmittelbarer Nähe davon auch ein Strip Club und ein Wettbüro befinden, hätten die beiden nicht gewusst. Wieder Kopfschütteln. An ihrer Meinung zum Zentrum ändert das natürlich nichts. It ain't right.

New York

Christian Lehner

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Ein hippiesker Soziologielehrer hat seine Klasse angeschleppt. Manche Schüler hören den Aggitatoren aufmerksam zu und mischen sich sogar in die Gespräche ein. Bevor der Lehrer meine Fragen beantwortet, wird er fast eine Stunde lang von einer Japanischen Journalistin befragt. Am Ende habe ich den Eindruck, dass die beiden auf einem Date sind. Ein junges, muslimisches Paar, das aussieht wie frisch von der Hipster Meile Williamsburg gekommen, verbreitet Optimismus und weist auf einen weiteren Umstand hin, der es auch nicht in den Topic Bereich des Themas geschafft hat. Muslims pray for the victims of 9-11 as well. Why shoudn't they? Die 20jährige Studentin Atqiya fühlt sich in erster Linie als Amerikanerin und nimmt das mit der Religiosität überlicherweise nicht so genau. Aber jetzt sei sie gefordert, für ihren Glauben aufzustehen. Ihr Vater hätte im World Trade Center gearbeitet aber zum Glück frei gehabt, als die Anschläge passierten. Sie kenne viele muslimische Familien in New York, die ihre Angehörigen verloren haben. I do hate al-Qaeda, of course I do!

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Direkt vor dem abgelebten Gebäude mit den obligatorischen Feuertreppen steht ein junger Kerl, der seinen Namen mit Matt Sky angibt. Der Webdesigner aus dem East Village ist in den letzten Wochen zum Poster Boy der Zentrumsbefürworter geworden. Kaum ein TV-Beitrag oder Foto in den Zeitungen und Blogs ohne sein Konterfei und das Schild mit dem Spruch "Support Freedom Of Religion". Er komme jeden Tag hierher – für mindestens acht Stunden. Wie aus der Pistole geschossen, weil wahrscheinlich schon Dutzende Mal in ein Mikrofon gesprochen, rattert er sein Mission Statement herunter. Es ist jenes zentrale Argument, das auch Bürgermeister Bloomberg, der frei sprechen kann, was er denkt, weil er sich keiner Wiederwahl mehr stellen muss, immer und immer wieder ins Treffen führt, nämlich dass das in der Verfassung verbriefte Recht auf Religionsfreiheit nicht teilbar sei: this debate defines how we all will live together in the future. That's the bigger picture.

Mosque Ground Zero New York

Christian Lehner

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtet ein holländischer Tourist das Treiben vor dem geplanten Center. Er sei gekommen, weil sich der Holländische Rechtsaußen-Politiker Geert Wilders am 11. September als Gastredner einer Anti-Mosque-Gruppe angesagt hätte. Das hält der pensionierte Bauingineur für keine gute Idee. Er verweist auf eine große Dame, die gar nicht so weit von Ground Zero und dem geplanten Zentrum entfernt stoisch eine Fakel hält. We just came from the Statue Of Liberty, ey, so why shouldn't there be liberty for Muslims in ths country?