Erstellt am: 4. 9. 2010 - 12:51 Uhr
Ars Electronica 2010 - Teil 2
Burstup
- Der FM4 Videoblog von der Ars Electronica 2010
- new.aec.at/repair
- Ars Electronica 2010 auf FM4
"Oh, im 5. Stockwerk gibt's hier auch noch was!" Ich rede schwer atmend mit mir selbst. Wenig Schlaf und so, ihr wisst schon. Eigentlich ist aber eh alles so gekommen wie erwartet, nur intensiver. Von meinen ersten Eindrücken und Begegnungen mit Künstlern habe ich hier berichtet. Danach hatte ich - im Gegensatz zum Tag der Anreise - viel Zeit, mich auf Projekte und Ausstellungen einzulassen. Zum Beispiel auf das Animation Festival der Ars Electronica: Diese Veranstaltung allein wäre eigentlich schon genug für einen ganzen Tag. In Dutzenden Mini-Kinos im gigantischen Bau 1 der Tabakfabrik werden Trickfilme internationaler Filmakademien und Produktionsteams gezeigt. Wie etwa der großartige Logorama des französischen Teams H5, in dem sich Ronald McDonald, das Michelin-Männchen und Schnurrbart tragende Pringles-Figuren ein Egoshooter-Gefecht liefern, dass die Logo-Wolkenkratzer von Microsoft und Colgate nur so wackeln.
H5
Ein Stockwerk weiter stoße ich auf diese seltsame Installation des Spaniers Félix Luque Sánchez: "The Discovery" beginnt in einem halbdunklen Raum mit Videoleinwänden, gefolgt von einer stockdunklen Halle mit, hmm... einem zehn(?)seitigen Würfel (RPG-Spieler können das sicher auf den ersten Blick sehen), Kantenlänge etwa ein halber Meter. Die Kanten in der Mitte leuchten horizontaler Abfolge auf. Im Rhythmus dazu ertönt ein merkwürdiges Geräusch, als würde das Ding gerade verschmoren oder einen Ganzkörperscan mit gefährlichen Alienstrahlen durchführen.
Burstup
Ich trete näher, die Geräusche werden lauter, die rotierenden Lichter wandern zu mir und tauchen mich in gleißendes Licht. Huaah. Als ich den Raum wieder verlasse, blicke ich noch einmal auf die Videoleinwände im halbdunklen Vorzimmer. Die machen jetzt viel mehr Sinn: Der zehnseitige Würfel im Wald. Der zehnseitige Würfel in einer Raumstation. Was Herr Sánchez da wohl entdeckt hat? Oder sind wir es, die entdeckt wurden?
Burstup
Burstup
Im "Event Space" arbeiten die Künstler des Crowd2Cloud Projekts. Die New Yorker kombinieren Motion Tracking, Ballspiel und Videogame. Kameras, die an der Decke der Halle montiert sind, registrieren die Bewegungen im Raum - allerdings nicht die Bewegungen der Spieler, sonder der Bälle. Bis zu hunder Bälle können exakt erfasst werden. Die Daten werden visuell aufbereitet und - je nachdem, auf welche Spielmechanik und welche Regeln man sich vorher geeinigt hat - auf Videoleinwänden dargestellt. Crowd2Cloud ist also nicht nur technisches, sondern vor allem ein soziales Experiment. Die Künstler lernen über die komplexen Interaktionen von Menschen in einem Mix aus MMO, Ballspiel und Augmented-Reality-Anwendung. Aber auch ganz grundlegende Dinge überraschen, wie z.B. das Verhalten der Menschen in verschiedenen Ländern, wenn sie einen Ball zum Spielen kriegen: "Europäer treten zuerst einmal hin, in New York wird eher danach gegriffen und geworfen", sagt Christoph Bregler von Crowd2Cloud.
Expanded Interface
Burstup
"Expanded Interface - The Campus Exhibition", nennt sich die Ausstellung diverser Fachhochschulen und Unis. Ein Surface-PC zieht mich in den Bann. Surface-PCs werden mit Multitouch-Gesten bedient (ähnlich wie ein iPad), es gibt sie seit 2007. Das Ausstellungsstück "Umami" ist allerdings nicht von Microsoft oder Apple, sondern selbstgebaut, und es dient den vom Kochen begeisterten Studierenden als interaktiver Küchenratgeber - vielleicht demnächst in deiner WG, nahtlos eingefügt in die Einbauküche?
Burstup
Einige Schritte weiter fasziniert das Studentenprojekt Sirius, eine alternative Computersteuerung für Menschen, die ihre Hände nicht bewegen können. Der Mauszeiger wird durch Bewegungen des Kopfes gesteuert, ein brillenähnliches Gestell und eine auf den Monitor befestigte Wii-Fernbedienung erfassen die Bewegungen. Auch Mausklicks und Funktionen wie Copy+Paste werden dank eines schlau programmierten Interfaces ausschließlich mit dem Kopf durchgeführt.
Teamfunk
Teamfunk ist ein Kommunikationssystem, das die Zusammenarbeit von räumlich getrennten Personen unterstützt - auf verbaler, wie auch nonverbaler Ebene. Das System berechnet automatisch einen sogenannten Verfügbarkeitsstatus, abgeleitet von der momentan benutzten Software, der Häufigkeit des Blickkontakts zumm Teamfunk-System sowie dem physisch messbaren Stresszustand einer Person.
Repair is a creative challenge
Die niederländische Platform21 hat der Ars Electronica 2010 mit ihrem Repair Manifesto sozusagen ihren thematischen Stempel aufgedrückt.
Make your products live longer! Things should be designed so they can be rapaired. Repair is a creative challenge. Repaired things are unique. Elf Glaubenssätze dieser Art werden präsentiert, auf Postkarten verteilt und diskutiert. Mehrere Repair-Workshops laden zum Mitmachen ein, sei es um die alten Sneakers reparieren zu lassen und dabei etwas zu lernen, oder um an elektronischen Gadgets herumzubasteln. Und: "Werde zum Hacker" ist ja quasi auch eine altbekannte Forderung der Menschen nebenan:
Burstup
In der Ausstellung des Metalab wird geschraubt, gelötet und präsentiert. In dem Wiener Hackerspace nahmen einige der Grundideen für den Makerbot seinen Anfang, ein ursprünglich aus New York stammendes, aber von den Wienern mitentwickeltes Open-Source-Gerät, mit dem 3D-Objekte aus Plastik gedruckt werden können. Die kleine "Fabrik für zu Hause" entwickelt sich seit Jahren kontinuierlich weiter und zieht die Menschen mehr und mehr in den Bann.
Burstup
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Hinter dem Metalab hat sich die #unibrennt Bewegung aufgestellt. In ihrem Bestreben, das marode Hochschulwesen in Österreich zu reparieren, nützte die #unibrent-Cloud die unterschiedlichsten Formen von "Social Media" für ihre Proteste: Text, Bild, Ton und Video wurden via SMS, Email, Twitter, eigenes Wiki, Livestreams und Chat ebenso, wie per Flugblatt, Sticker, Buttons, Transparenten und einer Zeitung nach außen getragen. Dafür wurde ihr der Ehrenpreis der Ars Electronica in der Kategorie „Digital Communities“ verliehen.
Burstup
Burstup
Geschichte und kukturhistorische Hintergründe japanischer Roboter Art gibt es auf der Ausstellung Robo-Tism des Japan Media Art Festival. Filmvorführungen, Schautafeln, Konzeptzeichnungen von Mangaserien und hunderte Modelle von Robotern sind zu sehen.
In der Magazinhalle tobt sich einstweilen der japanische Experimentalkünstler Ei Wada auf seinem selbstgebastelten Instrument aus. Der erfahrene Schlagzeuger nützt die elektromagnetischen Eigenschaften alter Röhrenfernseher, Videorecorder und des eigenen Körpers.
Ei Wada
Bei Berührung erzeugen die Bildschirme verzerrte String- oder Percussion-Sounds und tauchen die Szenerie in surreales Licht. Eine unglaubliche Performance, von der es im Lauf des Wochenendes etwas in unserem Videoblog zu sehen gibt. Mehr von der Ars Electronica 2010 gibt es außerdem heute Nachmittag live aus Linz in FM4 Connected, ab 13 Uhr.