Erstellt am: 2. 9. 2010 - 19:10 Uhr
"You'll never smoke alone"
Text: Georg Pitschmann
Foto: Roland Bengtsson
Es begann mit einem Loch im Zaun. Einem Loch, das Bewohner des Kopenhagener Stadtteils Christianhavn 1971 in den Zaun der leerstehenden Baadsmandsstraedes-Kaserne schnitten, um endlich den lange geforderten Spielplatz für ihre Kinder zu verwirklichen. Die Kinder bekamen ihren Spielplatz, und es dauerte nicht lange bis das zuvor verwaiste Gelände von Aussteigern, Hippies und Autonomen bevölkert wurde.
Das Ziel der Besetzer war die Errichtung eines selbstverwalteten Stadtteils, mit einem entsprechenden Manifest war die Freistadt Christiania geboren. Die zahlreichen Versuche der Behörden, das Gelände zu räumen, scheiterten am erfolgreichen Widerstand der stetig wachsenden Besetzerzahl. Schließlich wurde das Projekt als Art soziales Experiment zumindest geduldet. Vor allem der offene Handel sowie Konsum weicher Drogen in der Pusher Street, der Hauptstraße der Freistadt, brachte in regelmäßigen Abständen die Befürworter einer Räumung auf den Plan.

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Kicken für Christiania
Anfang der 1980er Jahre beschlossen einige Fußballbegeisterte aus Christiania, mit einer eigenen Mannschaft in den Ligabetrieb einzusteigen. Da die Vereinsgründer befürchteten, unter dem Namen Christiania keine Aufnahme in den konservativen Kopenhagener Fußballverband zu erhalten, schrieb sich der Verein als Christianshavn Soccer Club ein. Mit wechselndem Erfolg spielen die Teams des CSC seither im dänischen Unterhaus. Walter Huusfeldt, langgedienter Torhüter des CSC, erklärt die Vereinsphilosophie: "Der Klub wurde zwar in Christiania gegründet, unsere Spieler kommen aber aus allen Teilen Kopenhagens. Es sind halt alles Typen, die die Idee hinter Christiania gut finden und vor allem gerne kicken."
Inzwischen in Christiania Sports Club unbenannt, ist der Verein aufgrund seiner Herkunft innerhalb der Liga nicht unumstritten, zu Anfeindungen oder gar Übergriffen kam es jedoch nur in den seltensten Fällen. Einzig die Männer in Schwarz waren den Kickern aus der Freistadt nicht immer positiv gesinnt, wie Werner berichtet: "Es gab mitunter Schiedsrichter, die ihre ablehnende politische Haltung durch so manchen Pfiff gegen uns zeigen wollten."
Fußballschuhe für Sansibar
Das Klubhaus des CSC befindet sich in einer Seitengasse der berühmten Pusher Street. Freundlich, aber bestimmt werden neugierige Touristen per Tafel darauf hingewiesen, dass nur Mitglieder Zutritt zum Lokal haben. Im schmalen Vorgarten befindet sich ein kleines Spielfeld mit einem Netz, das für spontane Fußballtennis-Matches verwendet wird. Im Lokal hängen Trikots nationaler und internationaler Teams von der Decke, ein Pool-Tisch und ein Wuzzler sind fixer Bestandteil der Einrichtung. An der Wand hinter der Bar hängt ein eingerahmtes Foto, das eine afrikanische Mannschaft in den gelb-roten Trikots des CSC zeigt. "Das ist der Champions Sports Club, unser Partnerverein in Sansibar", erklärt Werner. Bereits seit einigen Jahren besteht die Freundschaft mit dem Verein aus Ostafrika. Regelmäßig führt der CSC Sammlungen durch, um die Kollegen in Form von Schuhen und Trikots materiell zu unterstützen. Derzeit greifen sie dem Champions Sports Club beim Bau eines Klubhauses auch finanziell unter die Arme.
In einer großzügigen, zentral platzierten Vitrine befinden sich allerlei Devotionalien des CSC. Ein Schal trägt die Aufschriften "You’ll never smoke alone" und "Joint the club", Anspielungen an den liberalen Umgang mit leichten Drogen in Christiania. "Dieser Schal wurde von einem Freund von uns gestaltet. Die Aufschriften sind zwar witzig, wir kicken aber sicher nicht bekifft herum. Wir gehen mit ausreichendem Ernst und dem entsprechenden Ehrgeiz an die Sache", sagt Werner. Und natürlich wollen die Kicker des CSC jedes Spiel auch gewinnen. "Wenn wir drei Punkte geholt haben, ist die Stimmung hier im Klubhaus einfach besser", meint der hünenhafte Kollege Werners hinter der Bar.
Revanche für die Räumung

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Dieser Text erschien auch in der aktuellen Ausgabe des ballesterer Nr. 55 (September 2010), ab sofort im Zeitschriftenhandel!
Weiters in dieser Ausgabe:
- Österreichische Lösung: Ein Anstoß zum Pyrogesetz und dessen Handhabung
- Kameras, Gefährderansprachen und Verbote: In der Sicherheitszone Fußball werden die Freiräume knapp
- Ein neues Heim für das Wunderteam?: Die Wohnung von Hugo Meisl könnte zum Museum werden
- Partyoten und neue Deutsche: Der neue deutsche Patriotismus soll vieles sein, nur nicht politisch
- Dr. Pennwiesers Notfallambulanz: Die Prostataentzündung
- Groundhopping: Wodka im Wald und Luxus in Elche
Ganz und gar nicht gut war die Stimmung in Christiania Anfang 2004, was jedoch weniger sportliche als vielmehr politische Gründe hatte. Nach jahrzehntelanger sozialdemokratischer Vormachtstellung war nach den Wahlen von 2001 eine rechtsliberale Minderheitsregierung dank der Unterstützung der ultrarechten Dansk Folkeparti an die Macht gekommen. Neben den Ausländern, die mit einem Einwanderungsgesetz von Fekter’schen Ausmaßen bedacht wurden, waren auch die Christianiter von der "Allianz der Braven und Tüchtigen" als Feindbild auserwählt worden.
Vor allem das Treiben auf der Pusher Street war der Regierung ein Dorn im Auge. Im Zuge einer verschärften Vorgehensweise kam es zu regelmäßigen Razzien, Verhaftungen und Beschlagnahmungen. Im Frühling 2004 wurde die Pusher Street schließlich von Spezialeinheiten geräumt und die Verkaufsbuden abgerissen. Während die harte Gangart von Politik und Polizei in einigen Bevölkerungsschichten auf breite Zustimmung stieß, wirkte sich die Aktion alles andere als positiv auf die Drogensituation in Kopenhagen aus. Durch die Schließung der Pusher Street breitete sich der jetzt wieder uneingeschränkt illegale Haschhandel über die gesamte Hauptstadtregion aus, und bald folgten gewalttätige Auseinandersetzungen um die Vormachtstellung am äußerst lukrativen Verteilungsmarkt.
Wie es der Zufall wollte, spielte die Seniorenmannschaft des CSC in der gleichen Liga wie der Polizeiverein Politiet IF. "Nach den zahlreichen Konfrontationen in den Monaten davor waren diese Spiele eine Möglichkeit, den Cops in einer fairen Konstellation gegenüberzutreten", sagt Werner. Das Interesse am ersten Match nach der Räumung war dementsprechend enorm, mehr als 500 Zuschauer wollten an der brisanten Begegnung teilhaben. Zum Rückspiel in das Stadion des damaligen Zweitligisten BK Frem kamen sogar 1.200 Zuschauer – für die achte dänische Leistungsstufe wohl ein Rekord für die Ewigkeit. Das hart erkämpfte Unentschieden war für viele Fans zumindest eine kleine Genugtuung, und seither sind die Duelle mit dem Politiet IF die Höhepunkte der Saison.
Keine Freunde für die Cops
Im Moment sieht es für die Zukunft Christianias dennoch eher schlecht aus. Letztes Jahr sprach ein Gericht dem dänischen Staat das alleinige Nutzungsrecht an dem Areal zu, woraufhin rechte Politiker prompt eine baldige Räumung forderten. Die aktuellen Entwicklungen lassen Werner jedoch kalt: "In Christiania leben knapp 900 Personen, darunter zahlreiche Kinder. Im Falle einer Räumung würden die von einem Tag auf den anderen auf der Straße stehen. Das kann sich die Regierung nicht leisten."
In sportlicher Hinsicht wird hingegen durchaus eine Luftveränderung angestrebt. "Der Aufstieg ist sehr wohl realistisch", sagt Werner. Sollten die Christianiter ihr Ziel in der kommenden Saison erreichen, würden die Spiele gegen Politiet IF zumindest für ein Jahr der Vergangenheit angehören. Von den Vorschlägen, im Falle eines Aufstiegs die Duelle mit den Polizisten als regelmäßiges Freundschaftsspiel zu institutionalisieren, hält der CSC aber wenig. Und das unterstreicht Werner mit Vehemenz: "Freundschaftsspiele haben etwas mit Freundschaft zu tun. Und die Cops zählen wir sicherlich nicht zu unseren Freunden."