Erstellt am: 4. 9. 2010 - 15:29 Uhr
Der Rock und der Roll
Was ist die Essenz des Rock'n'Roll? Wie kann man das dazugehörige Lebensgefühl auf den Punkt bringen, diese Haltung, die im Grunde ganz wenig mit einem bestimmten Sound, aber sehr viel mit einem gewissen Spirit zu tun hat?
Ich würde sagen, es geht neben einem Übermaß an Leidenschaftlichkeit immer auch um verschiedene Formen von Kontrollverlust.
Das kann vom sanftem Sich-gehen-Lassen über Anflüge von Ekstase bis zum rauschhaften Ausklinken reichen. Was wiederum mit einem bewussten Bekenntnis zur Unvernunft zu tun hat, zu niederen Instinkten und dezidierten Fehltritten.
Die Belohnung dafür, dem kleinen Teufelchen im Kopf zu folgen, wenn es einem gerade wieder einmal falsche Entscheidungen zur richtigen Zeit einflüstern will, das sind Momente außerhalb der normierten Alltagsmaschine, dionysische Erlebnisse, Grenzerfahrungen.
UIP
Auf der anderen Seite bewegen sich solche Augenblicke, in denen der Rock'n'Roll das Kommando übernimmt, natürlich immer auch an der Grenze zur Lächerlichkeit. Keiner weiß das besser als Russell Brand. In Großbritannien ist der Ex-Gossenbube mit der Heroinvergangenheit ein gefeierter Comedystar, der die eigene exzessive Vergangenheit in köstlichen Pointen verramscht.
In "Forgetting Sarah Marshall", einer der wunderbarsten Produktionen aus dem Hause Judd Apatow, feierte Brand 2008 sein Hollywooddebüt. Jetzt kehrt seine unfassbare Figur aus diesem Film auf die Leinwand zurück.
Aldous Snow heißt die britische Rock-Ikone, die man sich als gockelhafte Schnittmenge aus Robbie Williams, Pete Doherty und einem Haucherl Mick Jagger vorstellen kann.
Ein junger amerikanischer Plattenfirmenwastl, gespielt vom fantastischen Jonah Hill, muss das in der Versenkung verschwundene Drogenwrack innerhalb von drei Tagen nach Los Angeles bringen. Denn im dortigen Greek Theatre soll Mr. Snow sein Bühnenjubiläum mit einem Comeback krönen.
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"Get Him To The Greek" ist nicht bloß die grandioseste Komödie des Jahres, in der neben dem Dreamteam Brand und Hill auch Elisabeth "Mad Men" Moss begeistert und P. Diddy als Plattenfirmenboss zum Schieflachen reizt. Zusätzlich erweist sich Regisseur Nicholas Stoller als gelehriger Apatow-Schüler, was den emotionalen Mehrwert betrifft.
Wir zerkugeln uns also nicht nur über den Zusammenhang von lustigen Zigaretten und Plüschwänden oder über seltsame Labelmeetings im Zeitalter der untergehenden Musikindustrie.
Dieser Film lässt uns auch Tränen der Rührung vergießen, bringt zum Nachdenken über monogame und polygame Beziehungsmodelle und erklärt dann noch schnell, warum Rock'n'Roll manchmal als Grund ausreicht, das Leben doch nicht hinzuschmeißen.
Dass die deutsche Synchronisation wie bei den meisten Apatow'schen Großtaten diesen ganzen Ambitionen nicht gerecht wird, soll als Manko nicht unerwähnt bleiben.
Man muss sich, um das Ausmaß der Verdoofung zu verstehen, nur die Verleihtitel anschauen. "Forgetting Sarah Marshall" wurde zu "Nie mehr Sex mit der Ex" umgedichtet, aus "Get Him To The Greek" machte man den horribel nach Til Schweiger klingenden "Männertrip".
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Bleiben wir, weil es schließlich wenig Schöneres gibt, noch kurz beim Themenkomplex Sex, Drugs and Röck'n'Röll. Und addieren wir dazu eine nicht zu geringe Dosis Psychedelia und Größenwahn, Weltuntergangs-stimmung und Todessehnsucht.
Bessere Ingredienzen für einen Spielfilm gibt es wohl kaum, dachte sich 1991 der nicht gerade für seine Subtilität bekannte Oliver Stone. Mit dem erfolgreichen Biopic "The Doors" setzte er einer der mythenumranktesten Bands der Rockgeschichte und ihrem jung verstorbenen Sänger damals ein comichaft überzeichnetes Denkmal. Viele Fans, Eingeweihte und Kenner reagierten höchst kritisch auf den plakativen Streifen.
Der US-Indiefilmer Tom DiCillo wagt nun sozusagen die Antithese zu Oliver Stones grellem Epos. "The Doors - When You're Strange" versucht auf dokumentarische Weise hinter den Mythos zu blicken, auch auf den (Alltags-)Menschen Jim Morrison, abseits der grotesken Legendenbildung.
Ganz ohne Klischees kommt auch DiCillos Werk nicht aus. Geht ja auch gar nicht, denn abstruseste Gerüchte und exzessive Geschichterln gehören einfach zu den Doors wie ihre großartigen Songs. Dennoch erweist sich "The Doors - When You're Strange" als so etwas wie ein kleines filmisches Rock'n'Roll-Wunder.
Elmo Movieworld
Aus bekanntem Archivmaterial und vielen unveröffentlichten Originalaufnahmen, unter anderem auch einem Filmprojekt von und mit Jim Morrison, montiert DiCillo eine hypnotische Collage, inklusive der Erzählstimme eines gewissen Johnny Depp.
Anstatt sich wie Oliver Stone auf esoterischen Kitsch einzulassen und das Bild vom Bühnenschamanen Morrison zu bedienen, stürzt sich die Doku auf die diversen Widersprüche, die die Doors bis heute zur Ausnahmeband machen. Der Teenage-Posterboy Jim reibt sich am Poeten, rauer Rock kontrastiert mit einem herrlichen Popgespür, die von den Hippies geliebte Band steht als dunkler Gegenpol zur Flower-Power-Bewegung da.
Meine diversen intensiven Doors-Phasen liegen zwar schon alle hinter mir, aber nach diesem Film bin ich wieder angefixt und mir sicher: Es ist eben nicht der Predigergestus, der Mr. Morrison zu einer solchen Schlüsselfigur macht(e), es geht weder um den verkannten Literaten noch um eine vermeintliche ungeheure Tiefe in dieser Musik.
Die Magie der Doors resultiert gerade auch aus geilen postpubertären Posen, aus genial griffigen Slogans und großartig simplen Ohrwurmrefrains.
Und da, wo sich Jim Morrison als Vorläufer eines Aldous Snow zeigt, wo der Selbstverlust eine alberne, tragikomische Schlagseite bekommt, da ist die erwähnte Essenz des Rock'n'Roll regelrecht greifbar. Zwei tolle Filme, aus denen wir lernen: Wir müssen uns blamieren, um uns zu spüren.
Elmo Movieworld