Erstellt am: 24. 8. 2010 - 12:30 Uhr
Fußball-Journal '10-42.
Egal ob Meisterschaft, Cup, Medienverhalten, das "europäische Geschäft" oder die National-Mannschaft: das Fußball-Journal 10 begleitet die Saison mit ungeschöntem Blick. Heute mit einem Sidestep zu Moritz Leitner.
Gestern abend im Bochumer Ruhr-Stadion geschah Erstaunliches. Ein 17jähriger Bursche, Mutter Österreicherin, Vater Deutscher, nahm in seinem Liga-Debut das Spiel seiner Mannschaft in die Hand.
So beherzt, dass es dem Sport1-Kommentator erregte Gurrlaute entlockte. Gut, man kann sagen, es ist nur 1860 München, zweite deutsche Liga.
Aber ich fordere ja auch keine sofortige Einberufung in die Nationalmanschaft; sondern "nur" den Blick aufs Wesentliche dieser Szenerie: die Spielkultur.
Moritz, lieber Moritz
Dass Leitner vom ÖFB bislang nur unzureichend gefördert wurde, ist ein anderes Thema - hat vielleicht auch mit seiner Halb-Deutschheit und der Angst, dass er sich später vielleicht umentscheidet, zu tun. Leitner war in der U17 aktiv, aber etwa für die U19-EM gar kein Thema (obwohl er, wie er aktuell beweist, mit den Älteren locker mitkann). Das hat mit der leider durchaus verheerenden Kommunikations-Situation und der inexistenten Jahrgangs-Übergabe-Politik der Nachwuchs-Coaches zu tun. Man nimmt einander lieber Spieler weg oder fordert Ausschlüsse anstatt gemeinsam zu fördern: die Praxis zwischen Herzog, Heraf und Stadler besteht aus Ego-Getue und Ignoranz, hat wenig Aufbau im Sinn.
Moritz Leitner (so heißt der 17einhalbjährige) ist ein kreativer Mittelfeldspieler, der als Sechser eingesetzt wird und das tut, was moderne Mittelfeldspieler heutzutage tun: gleichzeitig nach hinten und vorne denken und arbeiten, schnellstmögliches Umschalten inklusive.
Zudem ist Leitner, ein eher schmal gebauter und nicht sonderlich großer Floh, einer, der den Drang nach vorne, der den Fußball ausmacht, auch auslebt - weil er es kann; weil er Spielkultur hat, weil er sich Dribblings zutraut, weil er immer einen Mann (oder zwei) überspielen kann, weil er den intelligentest-möglichen Pass spielt.
Gestern abend erinnerte er ein wenig an Lionel Messi - immer wieder nach vorne ziehen, außen oder innen, den Ball sichern aber gleichzeitig das gute und effektive Abspiel im Auge behalten.
Das war eine Augenweide.
Und vor allem: so unösterreichisch.
Kein in Österreich ausgebildeter junger Spieler (und Leitner hat seinen Schliff, seine Ausbildung eben in München bekommen) traut sich sowas.
Weil man's ihnen ausgetrieben hat.
Leitner ist selbst für die Deutschen, deren Wissen um die Bedeutung des 6ers (ich sage nur Khedira und Schweinsteiger) völlig klar ist, eine auffällige Erscheinung. Und selbst der Münchner Boulevard-Zeitung fiel das auf: im vorwöchigen Cupspiel, als Leitner in der Pause reinkam und da mit seiner moderneren Interpretation des Sechser-Spiels für Aufmerksamkeit sorgte. Und sowas möcht ich einmal von einer österreichischen Boulevard- oder auch nur Mainstream-Zeitung sehen...
Der Spielkultur-Mangel im A-Team
Dietmar Constantini hat das Spiel wahrscheinlich nicht gesehen, und selbst wenn: ich bin nicht sicher ob er das einzuordnen verstanden hätte.
Genau da aber liegt das Problem der seiner Verantwortung unterstehenden Nationalmannschaft. Dass dort die beiden Sechser vorsintflutlich definiert werden, dass von Abräumern und Wegputzern die Rede ist, als wäre Robert Pecl noch aktiv. Und so spielt man dann eben auch: kulturlos, spielkulturlos.
Das Loch zwischen den rein defensiv agierenden 6ern und der Angreifern ist überlebensgroß; auch wenn mit Junuzovic zuletzt ein Mittelfeldspieler, ein kreativer noch dazu in diesem zentralen Vakuum ordnen sollte. Der wird, und auch das ist einzig die Schuld des Trainerteams viel zu weit vorne, als sogenannte "hängende Spitze" platziert.
Und weil die defensiven Mittelfeldspieler quasi Mittellinien-Überquerungsverbot bekommen, sieht das österreichische Spiel dann aus, wie es aussieht: stillos in jeder Hinsicht.
Der ÖFB-Kader:
Tor - Gratzei (Sturm), Gspurning (Xanthi/GRE), Macho (Panionios/GRE), letztere ohne Spielbetrieb.
Abwehr - Dag (Besiktas/TUR), Dragovic, Klein, Ortlechner (Austria), Christian Fuchs (Mainz/D), Pogatetz (Hannover/D), Prödl (Werder/D).
Mittelfeld - Alaba (Bayern/D), Baumgartlinger
(Austria), Schiemer, Nicht-Killer Leitgeb, Jantscher (Salzburg), Kavlak (Rapid), Korkmaz (Frankfurt/D).
Angriff - Harnik (Stuttgart/D), Hoffer (Kaiserslautern/D), Janko (Twente/NED), Linz (Austria), Maierhofer (Duisburg/D), Wallner (Salzburg).
Inoffiziell auf Abruf: Kienast (Sturm).
Verletzt: Hölzl (Sturm) Junuzovic (Austria), Beichler (Hertha/D).
Zur U21 dürfen: Arnautovic (Werder/D), Pehlivan, Drazan (Rapid), wohl auch Shooting-Star Djuricin (Hertha/D).
Alaba, Baumgartlinger, Dragovic, Jantscher und Kavlak kann sich Herzog für sein letztes entscheidendes EM-Quali-Spiel wieder einmal aufmalen.
Der heute vormittag präsentierte ÖFB-Kader für das EM-Quali-Spiel gegen Kasachstan ist noch eine deutliche Spur trauriger. Junuzovic ist verletzt, und weil Ivanschitz ja geblacklistet ist und Kavlak und auch Alaba von Pacult und Constantini aufgrund deren strategischer Schwachsichtigkeit (ein Gludovatz etwa sah das anders...) zu reinen Seitenspielern reduziert werden, wird das Loch das gegen die Schweiz schon so eklatant war, gegen Kasachstan riesenhafte Dimensionen annehmen.
Nun ist das ein Gegner, wo Spielkultur womöglich nicht vonnöten ist - aber diese Zufälligkeiten können nicht über die Plan-, Philosophie- und Kulturlosigkeit des ÖFB-Trainerteams hinwegtäuschen.
Krone/Bild-Kultur
Das äußert sich bei der rituellen Pressekonferenz vorm Länderspiel auch in Banalitäten.
Constantini sagt auf Anfrage, dass er den wieder einberufenen Maierhofer nicht beobachtet habe (oder lassen habe); das wäre nicht nötig.
Constantini sagt, dass er "in der Krone" gelesen habe, dass Rapid-Trainer Pacult aktuell einen langen Stoßstürmer suche, und dass dies für ihn der Beleg für die Bedeutung von "Langen" wie Janko oder eben Maierhofer wäre.
Co-Trainer Zsak erzählt in drei holprigen Volksschul-Aufsatzsätzen, was er in Hannover gesehen hat (Pogatetz nämlich) und dass auch "die große Bild-Zeitung" ihm gute Noten gegeben hatte.
Kulturlose können keine Kultur entwickeln.
Trainer, die öffentlich angeben, dass sie sich im regelfall erst kurz vor dem Spiel die Marschroute überlegen (und nicht wie "junge" = offensichtlich depperte Coaches) schon eine Woche vorher, sicher auch nicht.
Teamchefs die vom EM-Quali-Gegner nach eigener Angabe genau ein (1) "Video", eine "CD" haben, schon gar nicht.
Coaches, die erzählen, dass sie diesmal "auch der Mannschaft" Bilder vom Gegner zeigen werden und damit bestätigen, dass sie das sonst nicht tun, ganz sicher nicht.
Die "Video-CD", die er da bei sich hat und nicht kommenierten, sondern (im Scherz) nur herborgen würde, enthält ein WM-Quali-Spiel gegen die Ukraine vom 10 Juni 2009. Kasachstan hatte in der Zwischenzeit noch ein paarmal gespielt; aber so wichtig scheint das mit dem Video-Studium halt einfach nicht zu sein.
Aber will man von jemandem, der regelmäßig vergißt Elferschützen zu benennen, so etwas wie seriöse Vorberitung erwarten?
Der wieder erschreckend unabgesprochene Kader für das entscheidende U21-Quali-Match gegen Schottland (Constantini war sogar "entfallen", dass Alaba eigentlich dort spielen wollte...) wird erst morgen bekanntgegeben.
In diesem Umfeld erstickt jeglicher innovative Ansatz schon im Keim.
Da würde auch der nächste Moritz Leitner nichts ändern.
Den würden die Krone-Leser Constantini, Bild-Zeitungs-Fan Zsak, der - selbst wenn er spricht - stumme Peischl und ihre Kumpane schon sorgen. Die haben auch bisher allen Talenten, die das einbringen hätten können, die Spielkultur ausgetrieben.
Darin sind sie nämlich tatsächlich Europameister.