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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 8. 2010 - 20:39

Fußball-Journal '10-41.

Fünf europäische Momente. Der Weimann-Incident und andere Tiefpunkte. Viermal Rücksturz in die tiefste Provinz.

Egal ob Meisterschaft, Cup, Medienverhalten und Umfeld oder das "europäische Geschäft": das Fußball-Journal 10 begleitet die Saison mit ungeschöntem Blick.

Ein paar nachtragende Worte zu den vier österreichischen Europacup-Begegnungen dieser Woche.

1.) Die beschirmten Corner.

Es war in der 15. Minute des Juve-Spiels von Sturm im schönen Grazer Stadion, als mir der Spaß den das Match zuvor gemacht hatte (das Debut des kleinen Kainz! die Amauri-Wucht! die Pepe-Crosses! die Bukva-Übersicht!) verging. Diego schritt zur Ausführung eines Eckballs und konnte das nur machen, weil ein Ordner einen riesiger Sonnenschirm aufspannte, an dem die Wurfgeschosse abprallten - eh nicht alle, einiges schlug rund um den kleinen brasilianischen Spielmacher, einen echten Weltstar mit Flair, ein.

Die österreichische Fußball-Öffentlichkeit mag sich an diese grausige Unsitte gewöhnt haben, bei der mit schlechten Genen ausgestattete und mittels misslungener Sozialisation zu destruktiven Dreckspatzen mutierte asoziale Psychopathen es als ihr Recht betrachten Fußball-Akteure, für deren Auftritt sie bezahlt haben, mutwillig und in Verletzungs-Absicht attackieren zu dürfen.
Ich kann und will das nicht.
Ich vertrete den Grundsatz der sofortigen Anklage wegen Körperverletzung (oder deren Inkaufnahme), also sofortiges juristisches Einschreiten. Inklusiver lebenslanger Stadionverbote für jeden Werfer und potentiellen Körperverletzer - eine Selbstverständlichkeit.

In Österreich ist man nicht nur von solcher Handhabe weit entfernt, man versucht das Übel durch Wegschauen und Totschweigen wegzuwischen.
Eine Vorgangsweise für Volltrottel; aber das einzige, was Vereine, Liga, ÖFB und Medien in dieser Angelegenheit tun.

In Momenten wie diesem Diego-Regenschirm-Moment wünsche ich mir dann eine sofortige Bestrafung. Und sowas funktioniert im Fußball am besten durch ein Gegentor.

Ich wurde erhört. Danke

Weil die angesprochenen Figuren, von den Vereinen beschönigend als "einige wenige" und "Fans" bezeichnet werden, nicht einige wenige und schon gar keine Fans sind, lernen sie aus solchen Schnellgerichts-Szenen nichts und sind sie natürlich übers gesamte Stadion verteilt.

In der Nachspielzeit des nämlichen Spiels wollte Alessandro del Piero, einer der größten Spieler der letzten 20 Jahre, wieder tun, wofür er bezahlt wird: einen Corner ausführen. Nicht etwa an gleicher Stelle wie eineinhalb Stunde zuvor Diego, sondern am weitest möglich entfernten Punkt des Stadions. Weil es in Graz (wie auch sonstwo) natürlich nicht "einige wenige" sind, sondern eine Mehrheit unter den Besuchers, die sich als Ultras verstehen, kam wieder ein Schirm zum Einsatz und wieder schlugen links und rechts neben del Piero Wurfgeschosse am Feld ein.
Und wieder dachte ich mir... und wieder geschah es.
Und wieder war es richtig und gut.

Dass Menschen wie Diego, Del Piero, Sissoko oder Martinez dieses Erlebnis (dass sie in Österreich bei der Ausübung eines Corners angebrunzt werden) in ihre Heimat mitnehmen und diese Geschichten dort in das Bild von Österreich einfließen, also Teil der Folklore werden wird, ist nur ein langsam wirkender Neben-Effekt dieser Idiotie.

Das ist so provinziell wie der heimische Fußball.

2.) Der beschämende Weimann-Incident.

Nun passieren die Grazer Widerlichkeiten auch deshalb, weil die diversen Menschen, die sich als Ultras im Dienst von Sturm betrachten, sich was bei den Vorbildern im Weststadion abschauen.. Den diversen Rapid-Ultras, die österreichweit die Maßstäbe setzen.

Dort sind die unausführbaren Corner bereits Folklore, unbeeinsprucht, ohne Reaktion der Verantwortlichen. Im übrigen ist dafür nicht die Westtribüne verantwortlich, sondern die "einigen wenigen", die "Fans" die auf Nord- und Süd-Tribüne die Nähe der West suchen, sich aber nicht den dort herrschenden strengen Ritualen unterwerfen wollen; das sind noch wesentlich unkontrollierbarere Figuren.

Dass das Herz der Rapid-Ultras, die West-Steher direkt hinter dem Tor (also Menschen, die sonst den gegnerischen Tormann mit einem Geschoß-Hagel eindecken) gestern beim Spiel gegen Aston Villa einen direkt vor "ihrem" Territorium abtransportierten Verletzten des Gegners von der Bahre fetzen wollen und ihn samt Rot-Kreuz-Leuten mit Wurfgeschossen und Bierduschen eindecken, hat nur Naive und sich bewusst Blödstellende wirklich überrascht.

Natürlich ist es egal, ob der Verletzte eigentlich ein Rapidler ist wie der junge Andreas Weimann (der sich seit gestern wohl überlegt hat mit einer Rückkehr in seine alte Heimat) oder sonstwer.
Allein die grundsätzliche Idee der Inkaufnahme von körperlicher Versehrtheit eines sportlichen Gegners ist ein Ausschluss-Grund.

Immerhin: nach dem Weimann-Incident kommt der Rapid-Präsident Edlinger und spricht via Aussendung von Entsetzen, das Rapid ergriffen hätte, von bösen Taten einiger weniger etc.

Das ist eine perfide Augenauswischerei, eine konsequenzlose allemal.

Denn Rapid hat sich längst (wie auch die Austria Wien, bei der auch noch eine politische Dimension, mit Rauslappen in die faschistische Internationale, mitschwingt) in die Geiselhaft der Besucher, die sich für Ultras halten, begeben; egal ob die organisiert sind, oder nicht.

Diese Besucher wissen, dass sie komplette Narrenfreiheit haben, dass niemand (weder der Verein, noch die Liga, noch der ÖFB, schon gar nicht die alles verschleiernden Mainstream-Medien) etwas unternehmen wird.
Denn: sie werden gebraucht. Für die Stimmung, als Zirkus-Attraktion, als Zugpferd einer sportlich stimmungslosen Zehner-Liga. Ohne sie, die Besucher, die sich (großteils irrtümlich) für Ultras halten, aber letztlich nur Hooligans sind, bricht das, was Rapid aktuell darstellt, zusammen; und damit indirekt auch die Liga.

Wenn die LASK-Fans, nur in der kaum gesehenen Sky-Übertragung und vorort feststellbar, antisemitische Chöre aufwärmen, dann taucht das nicht einmal in den lokalen Medien auf - man ist sich im Totschweigen gern einig.

Deshalb wird alles, was diese Pseudo-Ultras an Scheiße bauen, beschönigt, verschwiegen, weggeredet. Nur wenn sich in ORF-Live-Übertragungen besonders Krasses abspielt, dann wird es ein paar Tage Aufruhr, ein paar öffentliche Empörungen geben - und keine Konsequenzen, eh klar.

Auch hier: die Peinlichkeit gegen die B-Mannschaft von Aston Villa weniger erreicht zu haben als im Vorjahr gegen das A-Team, das ist die einzige Sofort-Strafe, die funkioniert.

Was von diesem Spiel in England überbleiben wird, wo sich Berichterstatter über das Anschütten von Österreichern durch Österreicher lustigmachen: der zweite Beleg für den hiesigen Provinzialismus.

3.) Die peinliche Jelavic-Posse.

Die Worte, die für den Weimann-Vorfall angebracht gewesen wären, die fand Rapid gestern durchaus. Allerdings für einen Spieler, der gar nicht mehr gespielt hat. Da waren sich Präsident, Sportdirektor, Wichtigtuer und Experten einige: das was sich Nikica Jelavic da geleistet habe, das wäre Verrat, menschlich letztklassig, ein Affront, ein Skandal. Vom "Schock" den die Rapid-Familie da erlitten hatte, war die Rede. Gerade dass dieser Schock nicht als Ausrede für den Weimann-Vorfall herhalten mußte...

In Wahrheit sind die einzigen Wahrheitsverdreher die Rapid-Offiziellen selber: wie Präsident Edlinger gestern (in einem Anfall von versehentlicher Offenheit im TV-Pausengespräch) zugab, war in den letzten Tagen, als man offiziell jede Verhandlung mit den Glasgow Rangers leugnete und Durchhalte-Parolen ausgab, die eher an Kriegs-Rhetorik als an Information gemahnte, eigentlich schon einig war. Es hakte nur an der Einigung von Jelavic und den Rangers.

Wir halten fest: in den Tagen der Rapid-Familienbeschwörung hatte man mit den Rangers eine Einigung erzielt. Also nicht nur die Wahrheit verborgen, sondern auch das Gegenteil davon öffentlich vor sich hergetragen. Bewußte Irreführung kann man das nennen.

Nun ist das nicht so tragisch: wenn es um viel Geld geht, wird halt taktiert und auch gelogen; paßt schon.

Was nicht passt: der schwarze Peter, der jetzt dem "Verräter" Jelavic zugeschoben wird. Denn der ist nur ein Bauer in einem Spiel, dass Könige und -Innen, Türme, Springer und Läufer bestimmen.

Natürlich ist es gut und auch billig (sogar sehr sehr billig) einen Sündenbock auszurufen - so machen es auch die populistischen Politgegner des Präsidenten.
Bloß: so eine Vorgabe macht erst Dinge wie den Weimann-Incident möglich. Denn: wenn es der Präsident mit Worten darf, dann nehmen es sich die Besucher, die sich für Ultras halten und doch nur Hools sind, selbstverständlich das Recht einen draufzusetzen und dann auch in echt gewalttätig zu werden, heraus.

Das ist unvermeidlich.
Dass diese Art von Vorbildwirkung ausgesprochen undurchdacht, peinlich und hochprovinziell ist, muss ich nicht extra erwähnen.

4.) Der Flügelschlag des Schmetterlings.

Huub Stevens ist ein Mann der alten Schule (20. Jahrhundert also). Die Null muss stehen, hinten muss alles dicht sein. Am besten mit klassischen Verteidigern auch im Mittelfeld. Und nicht zuviel von diesem neumodischen Außenverteidigere.

Nun hat Stevens bei RB Salzburg (wohl eher versehentlich) die beiden besten Außenverteidiger der Liga: den Schweizer Schwegler rechts und Andreas Ulmer links. Über ein Backup verfügt Salzburg nicht, trotz Millionen-Kaders. Fallen Schwegler/Ulmer aus, dann müssen Innenverteidiger oder umgebaute Mittelfeldler einspringen. Stevens heraft und herzogt, was diese Position betrifft.

Nun ist Andi Ulmer langfristig ausgefallen - und es gibt kein Back-Up. Stevens hat auch keine Anstalten gemacht jemanden nachzubesetzen, er wolle das Loch entweder mit der defensiven (Dudic) oder einer offensiven Variante (Svento) stopfen.

Verblüffenderweise war es Svento, der im entscheidenden Spiel im Champions League-Playoff gegen Hapoel Tel Aviv links hinten spielen sollte.
Svento ist toll und alles mögliche, aber kein Linksverteidiger.
Und so befand er sich auch im Vorwärtsgang in der ersten Minute, als es einen Ballverlust der Salzburger und einen weiten Ball auf einen schnellen Israeli namens Shechter gab. Der rannte auf der linken, Ulmer/Svento-freien Abwehrseite los, Afolabi nieder und erzwang im Duell mit Schiemer einen Elfer -> Tor, Rückstand und letztlich Heim-Niederlage.
Und die einzige Null die noch steht, ärgert sich an der Outlinie.

Es gibt diese schöne Chaos-Theorie-These, das der Flügelschlag des Schmetterlings den Tornado auslösen kann.
Oder dass eben das Nicht-Nachdenken über die Sinnhaftigkeit modernen Außenverteidiger-Spiels in das vierte Scheitern was die Champions-League-Ambitionen betrifft, münden kann.

Ob es erstaunlich ist, dass sich ein Holländer alter Schule so schnell an den österreichischen Provinzialismus anpasst, kann ich nicht sagen. Mit Frenk Schinkels gibt es ja durchaus negative Vorbilder.

5.) Der Tatar-Effekt.

Tatar hatte in einem beeindruckenden Plädoyer in der sonst zum Abnickertum bekannten Sky-Sendung Talk und Tore dem staunenden "Experten" Stöger, Trainer Kogler und einem nichtskapierendem Moderator erklärt, dass man nur über die technisch-taktische Entwicklung eines Spiel-Systems ansatzweise an Europa herankommen wird.
Wobei man nichts auf lachhafte Kurzfrist-Showmaßnahmen zu geben habe, sondern gnadenlos beharrlich und langfristig ein modernes Spiel anzustreben habe.

Dass die einzige positive Erwähnung dieser europäischen Woche eine Mannschaft betrifft, die verloren hat, mag Laien überraschen. Wer allerdings den Tatar-Effekt kennt, der weiß, dass momentane Resultate hinter der Ausbildung einer Handschrift, eines Systems, einer Philosophie zurückstehen.

Trotzdem, was die junge Truppe der Austria Wien im dienstäglichen Auswärtsspiel auf den Platz brachte, war beeindruckend.
Vor allem die U21-Viererbande in der Zentrale: Heinz Lindner im Tor, Dragovic (trotz Kopfball-Mißgeschick beim Gegentor) und Margreitter in der Abwehrzentrale und das neue Herz des Teams, Julian Baumgartlinger im Mittelfeld.

Da wird technisch gutklassig und in hohem Tempo gespielt, der Ball erobert, gesichert und dann klug verteilt - und auf diesem Backbone ruht die aktuelle Austria-Mannschaft, die zuletzt zurecht die meisten Nationalspieler stellte.

Es ist bei weitem nicht so, dass ich alles, was Trainer Daxbacher unternimmt für der Weisheit letzten Schluss halte - aber der Wille die Austria Wien mit den bestmöglichen Mitteln dorthin zu bringen, wo man (historisch gesehen) schon einmal war, ist unverkennbar. Da er ohne Populismus, ohne Großmannssucht und ohne widerliche Phrasen von eh nur verlogenen Familienwerten auskommt, ist das aktuell der interessanteste Weg nach Europa.