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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

21. 8. 2010 - 12:02

Kreuzberg baut Mauer wieder auf

Nach Berlin zurück zu kommen ist doch immer wieder schön.

So viel war in der letzten Woche geboten: Zuerst feierte der ehrwürdige linke Verbrecher Verlag sein fünfzehnjähriges Bestehen im Festsaal Kreuzberg, tags darauf gab die bezaubernde Gustav am selben Ort ein tolles Konzert, bei dem man zudem alle Bekannten wieder traf und herrlich zusammen rumstehen und trinken konnte.

Einiges hat sich getan in Kreuzberg.

Pünktlich zum Mauerbaujubiläum hatte man schon am 13. August im Club S036 mit dem Bau einer Schallschutzmauer gegen antimusikalische Elemente begonnen.

Schild mit Text: Baustellenprogramm im SO36 Infocafé ... Trinken auf eigene Gefahr - Barkeeper haften nicht für ihre Gäste!

SO 36

Der akustische Schutzwall, soll - in Anlehnung an den anitfaschistischen Schutzwall - die Existenz des Clubs sichern. Denn weil ein einzelner lärmempfindlicher Nachbar keine Ruhe geben wollte, musste eine 100.000 Euro teure Lärmschutzwand her. Vor allem durch die Unterstützung von Medien, Musikern und den Gewerbetreibenden der Oranienstraße kriegte man das Geld zusammen, sogar die Toten Hosen spielten ein Benefiz -Konzert im SO36. Während der Umbauphase hat jetzt das Baustellen -Café täglich geöffnet und wie in Instandbesetzungszeiten heißt es: "Materialspenden willkommen!"

Rummelsnuff mit nacktem Oberkörper an einer Betonmischmaschine und einem Schild "SO 36 - Vorsicht Baustelle"

SO 36

Das ist nicht irgend ein Kreuzberger Bauarbeiter, sondern das Musiker-Gesamtkunstwerk Rummelsnuff bei der Mauer-Grundsteinlegung im SO36

Nur zwei Straßen weiter, am Mariannenplatz zeigt man im Freiluftkino zwei unbekanntere Kreuzberg-Filme: "24 Stunden Schlesisches Tor" und "Der Adel vom Görli". Dieses Programm brachte zumindest den seltenen Genuss sich Dokumentarfilme über Orte anzuschauen, die keine 1.000 Meter entfernt liegen. 24 Stunden Schlesisches Tor ist ein echter Filmschulenfilm mit den üblichen Längen und Schwächen, interessant sind die Menschen, die am Hot Spot Schlesisches Tor zu Wort kommen.

Burger Imbiss am Schlesischen Tor

Reinegger / De Paoli

Während man sich am Müllmann, der sich nach der Pensionierung seinem Hobby "Schlittenhunde" widmen will, und dem deutschtürkischen Gel-Jugendlichen , der erzählt, er habe vier Frauen fürs Wochenende "klar gemacht" noch freuen kann, nervten, wie im wirklichen Leben, vor allem die klugscheißerischen Erasmus-Studenten aus aller Welt und die amerikanische Jeunesse Dorée, die sich zur Zeit am Schlesischen Tor eingenistet hat und ihre Weltanschauung über diesen kleinen Flecken Kreuzberg kund tat : We feel like Aristocrats in the French Revolution, gazing out of the window!

Viele verschiedene Menschen, mit Fahrrädern und allerlei Gepäck, beim Überqueren einer Straße

Stephan Wissmann

Der zweite Film Der Adel vom Görli beschrieb dann das Phänomen Görlitzer Park - ein Park in Kreuzberg, in dem jede Menge Hunde, Kleinkinder, Alkoholiker, Kiffer, Frisbeespieler, Skater, Dealer, Hare Krsna -Mönche, Techno -Soundsystems, grillende Großfamilien und ein ganzer Kinderbauernhof Platz finden. Der Regisseur ließ Berlinbesucher und das park-ansässige Lumpenproletariats zu Wort kommen, alle preisen den Park als "eine Insel der Toleranz".

Zwei Besucher des Görlitzer Parks

Karl Handke Filmproduktion

Der Adel vom Görli, so sieht er aus

Und so hing man in den recht klammen Liegestühlen auf der feuchten Wiese, die Protagonisten vom Park waren ebenfalls anwesend und begrölten jeden Auftritt ihrer Saufkumpels auf der Leinwand. Und plötzlich stellte sich mal wieder das schöne alte Berlin-Gefühl ein: "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein."