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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

22. 8. 2010 - 15:00

Der Penis im Norden Europas

Allgemeinbildung und Internetforen

Einmal hockte ich zu einer im Zeitempfinden redlicher Arbeitnehmer schon eher späten Stunde mit einer Freundin vor einer populären Schank. Sie ist keine gute Freundin - wir sehen uns nur alle paar hundert Monde - sondern eine mittelprächtige. Sie hielt mir eine Münze vor die Augen und sprach: „Schau, da ist ein Penis, so merkt man sich das mit Norwegen.“

Dem Verständnis der Interessierten ist es wohl nicht abträglich, diese Anekdote mit einigen Bonusinfos zu würzen.
Jeder Mensch hat im Keller seiner Allgemeinbildung einige Leichen. Bei mir gemahnt dieser Keller an ein Massengrab. Das liegt mitunter daran, dass ich noch nie verstanden habe, warum man gewisse Dinge einfach wissen muss.

marccarnal

Natürlich wäre es interessant, ob man hier Brillen, Erfolg, günstige Telefonate oder den Ramsch im Schaufenster bekommt. Das scheinbare Mehrweg-Geschäft zu betreten und nachzufragen, würde freilich den Zauber der Spekulation zerstören.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen die Chance geben, mich nach der Hauptstadt von Kirgisien zu fragen.
Da flattert schon ein Fax von jimihendrix87 herein! „Marc, wie heißt eigentlich die Hauptstadt von Kirgisien?“, möchte er wissen.
Die Antwort lautet: Bischkek, ehemals: Frunse. Mit diesen zentralasiatischen Hammerfacts komme ich jedem, der von mir irgendwelche anderen Hauptstädte außerhalb Europas wissen will, denn die Zahl derer, die ich kenne, kann man an den Füßen von Reinhold Messner abzählen.

Warum genau sollte ich das wissen?
Bei „Stadt, Land, Fluss“ punkte ich mit geographischen Eigenkompositionen und bei der Millionenshow gab man sich wahrscheinlich noch nie die Blöße, eine derartig uninspirierte Frage wie die nach einer Hauptstadt zu stellen. Wenn ich ferne Länder bereise, lese ich einen Reiseführer, dessen längstes Kapitel wohl die Hauptstadt behandelt. Grundsätzlich aber weiß ich nicht, warum ich 182 seltsame Wörter memorieren sollte.

Hauptstadt-Fans, die ich selbst mit Bischkek nicht beeindrucken kann, besiege ich meist endgültig mit dem exklusiven Wissen, dass die Schweiz de jure eigentlich gar keine Hauptstadt hat. Immer mit dem schmucken Terminus: de jure. Dann geben sie auf und weinen heiße Tränen.

Nicht nur mir nicht gemerkt, sondern bis vor einigen Wochen einfach nicht gewusst habe ich, dass Norwegen kein Mitgliedsstaat der EU ist. Eine kurze Testreihe im Bekanntenkreis zeigte, dass ich in dieser Hinsicht nicht der einzige Banause europäischer Provenienz bin. Die mittelprächtige, allgemein betrachtet aber sehr empfehlenswerte Freundin, von der eingangs die Rede war, wusste es allerdings und zeigt mir daraufhin eine 2 Euro – Münze. Auf dieser ist ein abstrahiertes Europa zu sehen, bei dem jene Staaten ignoriert wurden, die nicht im erlesenen politischen Bündnis sind. Deshalb sieht Skandinavien wie ein Penis mit Hoden aus. Sie meinte, so könne man sich das merken.

2 Euro Münze

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Wenn ich also in Zukunft gefragt werde, ob Norwegen Mitglied der EU ist, werde ich in meinem Portemonnaie kramen, eine Münze unter die Lupe halten und sagen: „Wart mal kurz… Hier! Ein Penis! Nein, Norwegen ist natürlich nicht dabei!“

An dieser Stelle ist Platz für meinen aktuellen Lieblings-Wortwitz: Norwegen, Schweden und Finnland heißen kombiniert Skandinavien, es handelt sich also um Kombi-Nationen.

Bis zu diesem sympathisch harmlosen Jokus werden die meisten gar nicht gelesen haben, weil sie schon vorher wütend ins Forum geschrieben haben, dass ich doch einmal sorgfältiger recherchieren solle, es gäbe doch 194 und nicht nur 182 Staaten.
Weiß ich doch! Ich wollte nur prüfen, wie viele vorschnell googeln.

Wahrscheinlich weniger, als man denkt!
Es ist bemerkenswert, dass jene Generation, von der man behauptet, sie würde die Möglichkeiten des technischen Fortschritts „so selbstverständlich“ nutzen, dies eben nicht tut. Es gibt ungefähr drei Kategorien von Beiträgen in Internetforen:

1. Was soll der Scheiß denn schon wieder? So ein Text hat doch eher was in einer Schülerzeitung verloren!
2. R.I.P.
3. Wie heißt eigentlich die Hauptstadt von Kirgisien?

Gerade die dritte Kategorie findet man trotz der Weltherrschaft von Google irritierend oft. In den meisten Fällen würde es genügen, ein bis zwei Wörter in ein Suchfeld einzutippen, was laut einer aktuellen Studie weniger Knochenverschleiß bedeutet, als eine ausformulierte Frage zu posten.
Doch man lässt lieber recherchieren.

„Weiß jemand einen Link zu dem Interview?“, „Gibt es den eigentlich auf DVD?“, „Hat der nicht mal bei Innsbruck gespielt?“ oder „Wird dieser vor sich hinplätschernde, unrunde, allerhöchstens Diskussionsimpulse gebende, aber keinesfalls erhellende Artikel langsam mal ein Ende finden?“
Foren sind voll von derlei Fragen, die selbst ohne Internet ohne großen Aufwand zu beantworten wären.

Eine Ausnahme bildet die letzte. Die Antwort lautet: Ja!