Erstellt am: 19. 8. 2010 - 04:28 Uhr
Rüge vor dem Sturm
Ich mag den Messetrubel - trotz aller Widrigkeiten. Man ist ständig dazu gezwungen, sich selbst und seine Pläne zu sortieren und dabei einigermaßen alle Sinne beisammen zu halten. Für nichts ist wirklich Zeit und doch soll vieles erledigt werden. Dementsprechend arbeits- und koordinationsintensiv, aber auch kurzweilig gestaltet sich der Tagesablauf.
In Köln startet die junge europäische Vorzeigemesse für Computer- und Videospiele gamescom für die Öffentlichkeit erst heute, Donnerstag - hinter den Kulissen werden aber schon seit Montag früh Vorträge gehalten, Treffen arrangiert, Messestände bevölkert und Games präsentiert. Mitten in der Entwicklerkonferenz "GDC Europe" platzt der Dienstag als Pressekonferenz-Marathon und der Mittwoch als Fachbesuchertag. Zeit genug, sich über Selbstüberschätzung und Geschmacklosigkeit mancher Firmen zu wundern, große Game Design-Legenden beim eleganten Schwafeln zu erwischen und durchgedrehte Kreativdirektoren beim virtuellen Schwertfechten zu erleben. Was geht und was geht gar nicht, im Rahmen einer unsortierten Liste im Vorfeld des Kölner Videospielewahnsinns.
Gut: Facebook-Spiele mit Gewissen
Bitte keinen nervigen Spam mehr aus den Statuszeilen all der Farm und Zombie liebenden Freunde! - Das denken sich nicht nur Skeptiker von vielen erfolgreichen Social Games sondern mitunter auch ihre eigenen Entwickler. PopCap Games, Hersteller und Heimat von Dauerbrennern für Zwischendurch wie "Bejeweled" oder "Plants vs. Zombies", sind sehr dezent in den Markt der sonst eher wenig subtilen Facebook-Games eingestiegen. Hausethos: Nicht jeden Unsinn der anderen mitmachen und dafür kurzfristig auch mal auf den schnellen Dollar verzichten. So etwas gibt es heutzutage!

Robert Glashüttner
Böse: Das Hirn nicht einschalten
Epic Games-Chefdesigner Cliffy B. ("Gears of War", usw.) soll endlich aufhören, seine Mitmenschen mit seiner verschmitzt und blöd grinsenden Fratze, aus der ständig die plattesten US-amerikanischen Klischees purzeln, zu infizieren. Diese quälen dann nämlich Journalisten auf der gamescom. Einmal noch "bad-ass" oder eine von diesen doofen Superwummen und es kracht wirklich mal im Zuschauergebälk. Ebenso geistlos, aber durch den seriösen Anspruch ernsthaft fragwürdig, sind jene Affen, die realistisch anmutende Militär-Shooter entwickeln oder promoten und damit nach eigener Aussage die US-Army würdigen wollen. Auf einer Pressekonferenz eine Spielszene zu zeigen, bei der ein Linkin Park-Mitglied ("awesome soundtrack!") von einem Hubschrauber aus ein Dorf im Nahen Osten von nicht näher identifizierbaren Feinden "säubert", ist ziemlich daneben und definitiv jenseits.
Gut: Der erfolglose Spieleentwickler, der trotzdem lacht

Robert Glashüttner
Vortragende, die unorthodox in ihrem Wesen und Auftreten sind, damit aber nicht ihr Ego stärken wollen sondern tatsächlich eine nachhaltig gesellige Art haben, sind höchst rar. Umso begeistender ist es, wenn man so einer Spezies in der freien Wildbahn begegnet. Jason Vandenberghe, Creative Director bei Ubisoft, hat sich von der Tatsache nicht unterkriegen lassen, dass sein (von der Presse hochgelobtes) Schwertschwinger-Spiel "Red Steel 2" sich nur mäßig verkauft hat. Er hat die Ursachen ergründet und präsentiert daraufhin mit vollem Körpereinsatz die unterschiedlichen Interpretationen der scheinbar simplen Spielanweisung "to swing". Nun wurden alle Typen beobachtet, analysiert und dargestellt: Der Dartanion, der Conan, der Samurai und Frauen, die nach anfänglichem Zögern beim virtuellen Schwertkampf genüsslich ihre Machtfantasien ausleben. Vandenberghes Erkenntnis: "You girls should hit some stuff more often!"
Böse: Die Pressekonferenz als überzogene Show
Kein großer Konzern aus der Unterhaltungsindustrie will bei einer Pressekonferenz bloß in einem schnöden Zimmer sitzen und vom Zettel ablesen. Verständlich. Doch wie kommt man als Journalist dazu, nach ausgiebigem Studium der Straßenkarte langwierig vom einen Rand der Stadt an den anderen zu reisen, nur um dort in weiteren (in der Miete vermutlich kostengünstigen) Riesenhallen von auditivem Bombast und parareligiösen Jubelmantras diverser Marketing-Abteilungen zugedröhnt zu werden? Manchmal wartet man vorab auch mal bis zu zwei Stunden, dass es beginnt und hofft am Ende des Tages irgendwie wieder in die Stadt zurückzukommen.

Robert Glashüttner
Gut: Aufmüpfige Journalisten
Die Spielepresse mag mitunter aus vielen bloggenden Teenagern und geifernden Fanboys bestehen, doch nicht wenige proben dann und wann zumindest den sanften Aufstand. Ob Verweigerung des überzogenen Event-Wahnsinns oder sorgsame Auswahl der Titel, Themen und Veranstaltungen, die man wahrnimmt: Manchmal merken die Promotion-Abteilungen mit ihrer teils seltsamen Auffassung von Kreativität dann doch, dass nicht jeder Unsinn bei Journalisten den Pawlow’schen Effekt in Bezug auf das zu bewerbende Produkt hervorruft. Neben fieser Berichterstattung können manchmal auch mitgebrachte Gegenstände dann und wann dem akut verspürten Ärger spontan Luft machen.

Robert Glashüttner
Böse: Der Ableser

Robert Glashüttner
Niemand mag Zeitgenossen, die uns mit zu vielen "Ähs" und zu wenig kompletten Sätzen beglücken wollen. Das ist aber immer noch sympathischer als so mancher slick inszenierte Vortrag, der offenkundig von der Autocue heruntergelesen wird, die gleich hinter dir an der Plastikmauer hängt. Da hilft auch kein gut eingeübter Augenkontakt mit dem Publikum. Hinten beim großen Geländer hängt übrigens gleich noch ein Bildschirm. Keiner kann zaubern, niemand soll wegen einer einmaligen Pressekonferenz etwas auswenig lernen müssen. Aber eine lebendig wirkend wollende Präsentation ist eben weder ein TV-Nachrichtenprogramm noch eine Dauerwerbesendung. Sollte man glauben.
Gut: Perfekte Widersprüche

Robert Glashüttner
Spieleentwicklerkonferenzen leben davon - so wie auch quasi alle Beraterbücher, zu welchem Thema auch immer -, einem zu suggerieren, dass der vorliegende Inhalt ein bestimmtes, höchst komplexes Problem in Windeseile lösen würde. Alleine die sehnsüchtige Hoffnung darauf macht einen zumindest für kurze Zeit glücklich. So sind auch Vorträge über "gutes" und "richtiges" Game Design immer wieder besonders beliebt. Schön, wenn manche ehrlich genug sind, inhaltliche Widersprüche zu kommunizieren und dabei trotzdem präzise die eigenen Erfahrungen wiederzugeben - wie die schlauen dänischen Entwickler von Playdead, die gerne auf diese Weise über ihr famoses, gerade erst erschienenes Game "Limbo" sprechen.

Robert Glashüttner
Böse: Alte Säcke und schwafelnde Stars
Es gibt zwei Kategorien von Vorträgen bzw. Vortragenden, die auf Spieleentwicklerkonferenzen gehörig nerven: Stagnierende Design-Opas, die jedes Jahr aufs neue von den guten, alten Tagen des Atari 2600 und Hexfeldstrategiespielen aus Mitte der 1980er Jahren schwärmen. Und namhafte Game Design-Stars, die langweilige Allgemeinplätze verbreiten und dabei glauben, sie hätten Weitblick und wären besonders richtungsweisend. In der letzten Kategorie wechseln sich bei westlichen Konferenzen Peter Molyneux und Warren Spector (er war dieses Jahr dran) ab. Sie feiern regelmäßig die verblüffende Erkenntnis, dass Videospiele über ein eigenes Wesen und eigene Regeln verfügen. Die Riege der vergangenheitsbeflissenen Silverstars ist inhaltlich etwas bescheidener, dafür personell besonders hartnäckig. Der Vorstand ist nun schon seit einigen Jahren mit dem Triumvirat Bob Bates, Dan Danglow und Bruce Shelley besetzt.
Gut: Auf gesellschaftliche Stigmatisierung hinweisen, ohne dabei weinerlich zu sein

Robert Glashüttner
Videospiele werden von vielen sonst meist klugen Menschen weiterhin gerne alle in einen Topf geworfen und bekommen einen geringeren Stellenwert zugewiesen als, sagen wir, Filme oder bildende Kunst. Ein gutes Beispiel dafür sind die Richtlinien des Jugendschutzes beim Bewerten der Inhalte eines Spiels. David Cage, Chefentwickler vom Games-Blockbuster "Heavy Rain", hat in seinem Vortrag dafür nicht nur wunderbare Beispiele parat sondern stampft in seinen Ausführungen verbal allgemein ziemlich auf den Boden. Von Jammern oder Klagen keine Spur, dafür sind große Portionen Selbstsicherheit und Humor auszumachen.
Die gamescom läuft bis inklusive Sonntag, 22. August. futurezone.ORF.at berichtet ebenfalls.

Robert Glashüttner