Erstellt am: 17. 8. 2010 - 17:15 Uhr
FM4 reist weg: Mein Rügen
"Am Meer bin ich ganz ganz", sagt Claudia Rusch im Interview. Die Autorin ist ein typisches Ostsee-Kind, eine permanente Meer-Sehnsucht begleitet sie, so sie nicht an irgendeiner Brandung steht.
Ich kenne das von Freundin M., die in Rostock aufgewachsen ist. Das Wasser fehlt diesen Menschen auf eine essentielle Art, im Landesinneren krabbeln sie, so wie einige Krebsarten, zwar munter umher, ganz in ihrem Element sind sie aber nicht.
Hier Lese- und Hörprobe.
Mare Verlag
Diese maritime Leidenschaft spürt man in Ruschs Buch - und noch viel mehr. "Mein Rügen" ist wie ein Liebesbrief an die Insel ihrer Kindheit. Auch sie selbst war überrascht: "Wie stark es mir offenbar doch Bedürfnis war darüber zu schreiben. Es ist wirklich mein persönlichstes Buch, und das, das ich mit der größten Freude und Innigkeit geschrieben habe.“
Auf knapp 200 Seiten erzählt die Autorin aus ihrem Leben, vornehmlich dem Heranwachsen, beschreibt auf erlebbare Weise die Schönheiten der Insel - ihre liebsten Ecken und Enden - und fesselt mit Naturbeschreibungen. Claudia Rusch lässt aber auch Touristisches nicht außen vor, und so funktioniert ihr Buch ebenso gut als Reiseführer. Sagen, Wissenschaftliches oder Geschichtliches über Rügen fließen ein. Und obendrein kriegt man eine Menge DDR-Alltag mit.
Rusch ist Jahrgang 1971, durch ihre Elten kam sie schon als Kind mit oppostionellen Kreisen in Berührung - die Mauer fiel, als sie 18 war.
Keine Historikerin
FM4 reist weg
Man kann auch daheim bleiben und dennoch weite Reisen unternehmen. Kopfreisen – mit der richtigen Literatur.
Darauf angesprochen, dass sie auch viel über den ehemaligen Osten mitliefere, meint Claudia Rusch, dass ihre ersten beiden Bücher diese Thematik wesentlich stärker streifen würden. In „Mein Rügen“ habe das einfach mit Ort und Zeit ihrer Kindheit zu tun. Und weil sie von diesen Jahren erzählt, verlangt es an vielen Stellen eben Erklärungen dazu, sind Geschichten, in denen auch die politische Seite der DDR eine Rolle spielt, eingeflossen.
Mathias Bothor
"Wenn ich Bücher über die DDR schreiben würde, wären die weitaus weniger komisch", sagt Rusch, und weiter, "ich bin eine Geschichten-erzählerin und keine Lehrerin."
Damit hat sie ihren Stil auch schon angerissen, der insgesamt sehr witzig und ironisch, immer wieder auch sehr emotional ist.
Mich hat sie mit dieser Erzählweise – flapsig gesagt - sofort gehabt. Gut, ich war besonders anfällig, weil ich gerade von einer Rügen-Reise zurückgekehrt war. Dennoch: "Mein Rügen" hat mir Lust auf mehr Rusch gemacht und so habe ich parallel dazu auch ihre beiden ersten Bücher gelesen. Den Bestseller "Meine freie deutsche Jugend" sowie das 2009 erschienene "Aufbau Ost. Unterwegs zwischen Zinnowitz und Zwickau". Eine Lektüre als völliges Eintauchen in die Welt einer Autorin.
Claudia Rusch ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie hat lange fürs Fernsehen gearbeitet, bevor sie sich der Schriftstellerei zuwandte. 2003 ist zunächst ihr Besteller "Meine freie deutsche Jugend" erschienen.
fischer verlag
Im letzten Jahr hat Claudia Rusch "Aufbau Ost. Unterwegs zwischen Zinnowitz und Zwickau" herausgebracht.
S. Fischer Verlag
Beide Bücher Fischer Verlag.
Zurück zur Insel
Freunde, die nach Rügen reisen, bekommen von Claudia Rusch normalerweise eine alte Landkarte mit auf den Weg. Eigentlich gekauft als Orientierungshilfe für Fahrradtouren erwies sich der Inselplan für diesen Zweck als unzulänglich. Und so zeichnete Rusch darauf alles ein, was ihr wichtig oder insgesamt von Bedeutung schien.
Mit "Mein Rügen" bekommen wir nun alle diese Karte.
Eine beliebte Frage eines bestimmten Schlags von Touristen sei ja, wo Rügen am schönsten ist. Das wäre so aber nicht zu beantworten, sagt und schreibt Rusch, weil Rügen derart unterschiedlich und vielseitig sei, dass es eben davon abhinge, was man suchen würde. Im Interview wage ich mich dennoch vor: Was denn in ihren Augen das absolute MUST-SEE sei?
Darauf Claudia Rusch: "Rügen ist eine sehr zerklüftete Insel, besteht aus mehreren großen und vielen winzigen Halbinseln, dem Inselkern... wer die drei wichtigesten Sehenswürdigkeiten sehen will, muss alle drei großen Halbinseln besuchen. Nämlich Wittow wegen Kap Arkona, Jasmund wegen der Kreidefelsen, und Mönchgut wegen der malerischen Boddenlandschaft."
Zur Erklärung: Bodden nennt man die vom offenen Meer durch Landzungen abgetrennten Küstengewässer an der Ostsee.
Meer-Empfehlungen
Die Kreidefelsen haben es Claudia Rusch besonders angetan. "Die sind der Hammer", sagt sie. Das Spezielle an Jasmund sei nämlich, dass dichter Wald und offenes Meer selten so nah zusammentreffen und derartige Lichtspiele samt Geräuschkulissen präsentieren würden.
Ansonsten macht sie noch Lust aufs Hühnergötter-Sammeln, FKK-Baden, Schwedenfähre-Benutzen oder Sassnitz-Besuchen. Eine Stadt, die sie selbst erst spät entdeckt hat.
Die Ostseebäder kommen bei Claudia Rusch nicht ganz so gut weg; sie sind aber auch nichts wirklich Rügenspezifisches.
Wer diese Ortschaften selbst sieht, wird sich mitunter vielleicht an Jesolo erinnert fühlen.
Viel hätte ich anders gesehen, vielleicht auch mehr, hätte ich "Mein Rügen" vor meiner Reise gelesen. Allein, bin ich nicht allzu weit von Österreich entfernt, halte ich es gerne mit der Kulturtechnik des "Verirrens" (wie im so-namigen Buch von Kathrin Passig und Aleks Scholz proklamiert). Auch Frau Rusch reist übrigens ohne Reiseführer.
Nach dem Lesen will ich nun nichts dringender als wieder nach Rügen zu fahren. Ein Inselbesuch kann aber sowieso nicht reichen, um das Erzählte auch zu erfahren. Schließlich spricht aus Claudia Rusch ein Leben und nicht ein dreiwöchiger Urlaubs-Abstecher.