Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Zeit zu Lesen, aber kein Geld für Bücher? "

17. 8. 2010 - 16:56

Zeit zu Lesen, aber kein Geld für Bücher?

Bei den offenen Bücherschränken in Wien gibt es die Möglichkeit, gratis in den Lesegenuss zu kommen.

Open Mike:
FM Workstation

  • Mehr über den offenen Bücherschrank gibt es am Mittwoch, dem 18. August, ab Mitternacht in einem Open Mike. Alle Details zur Sendung gibt's hier.

Die Sendung entstand im Rahmen der FM4 Workstation, dem Sommerausbildungs-
programm von FM4.

von Daniela Derntl

Bücher geben. Bücher nehmen. Kostenlos und ohne Anmeldung. Rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr. Das ist das unkomplizierte Prinzip der offenen Bücherschränke, von denen es in Wien bereits zwei gibt. Das Konzept der unentgeltlichen Büchertauschbörsen entstand Anfang der Neunziger in Deutschland und der Künstler Frank Gassner brachte diese charmante Idee nach Wien. Er initiierte und finanzierte die offenen Bücherschränke im 7. sowie im 16. Wiener Gemeindebezirk. Die anfänglichen Befürchtungen, dass es zu Vandalismus oder zum Missbrauch des Tauschhandels kommen könnte, erwiesen sich als unbegründet - unter anderem weil die Bücher mit Aufklebern markiert wurden, um sie dauerhaft dem Warenverkehr zu entziehen. Kinderkrankheiten wie z.B. zu wenige Bücher im Schrank oder Benutzer, deren soziale Ader im krassen Gegensatz zu ihrem Bücherverbrauch steht, wurden überwunden.

Zwei Personen schmökern im "offenen Bücherschrank"

Daniela Derntl

Im Februar und März, als sich der Schrank noch in der Anlaufphase befand, waren die Regalböden eher dünn besiedelt. Doch mittlerweile leidet das literarische Stadtmöbel gelegentlich an Überfüllung. In diesem Fall greift Frank Gassner regulierend ein und sorgt somit für eine konstante Quantität des Bestandes, während es zu gravierenden qualitativen Schwankungen kommt. Doch einen Anspruch auf hochwertige literarische Ergüsse gibt es nicht. Die eingestellten Bücher sind ein Abbild der Literaturvorlieben der Nutzer. Frank Gassner vergleicht den Inhalt des Schranks mit einer ganz normalen Buchhandlung: die Hälfte der Bücher ist Schund à la Readers Digest und Konsalik, die andere Hälfte durchaus lesenswert und reicht von Klassikern über Popliteratur bis hin zu nerdigen Special-Interest-Schmökern. Die hohe Nutzungsfrequenz belebt den Kastenkreislauf und sorgt dafür, dass sich ständig neue Bücher im Schrank befinden.

Der offene Bücherschrank als literarisches Stadtmöbel an der Straßenecke

Daniela Derntl

Der offene Bücherschrank in der Westbahnstraße

Offene Bücherschränke
in Wien:

  • Westbahnstraße Ecke Zieglergasse, 1070 Wien
  • Grundsteingasse Ecke Brunnengasse, 1160 Wien

Die Büchertauschbörse ist für die Nutzer die willkommene Alternative, um sich von literarischen Altlasten auf soziale Weise zu befreien. Es reisen sogar regelmäßig ältere Damen aus Klosterneuburg mit dem Bus nach Wien, um hier ihre Bücher zu entsorgen. Das berichtet Fritz Plöckinger, der Besitzer des Plattenladen Market, vor dem sich der Schrank befindet.

Neben Gassner und Plöckinger hat eine Schar Freiwilliger ein Auge auf das Projekt. Dadurch erfüllt sich auch das von Gassner angedachte Konzept der gesellschaftlichen Selbstverwaltung des öffentlichen Raums. Obwohl er die beiden Tauschbörsen selbst finanziert hat (im 16. Bezirk in Kooperation mit dem Architekturbüro Grundstein), sieht sich Gassner keineswegs als alleinigen Verantwortlichen. Er stellt lediglich die Infrastruktur zur Verfügung, die von den Nutzern zum Leben erweckt wird.

Der offene Bücherschrank versteht sich auch als Gegenpol zum zunehmend kommerziell überladenen urbanen Raum. Die Begeisterung für das Projekt hat sich mittlerweile in andere Stadtteile übertragen und mehrere Bezirksvorsteher wollen auch in ihrem Wirkungsbereich offene Bücherschränke realisieren, sobald die Finanzierung geklärt ist. Doch daran scheiterten schon Einige. Bis Ende des Jahres sollen zumindest zwei weitere Tauschbörsen umgesetzt werden, hofft Frank Gassner.