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Mari Lang

Moderiert, beobachtet und probiert aus – neue Sportarten, Bücher und das Leben in der Ferne. Ist Ungarn-Fetischistin.

15. 8. 2010 - 15:14

Gut durchmischt!

Das Sziget Festival schafft es, alles mögliche zu vereinen: Roma Musik, Heavy Metal und Indie, kommerzielles Branding und liebevoll gestaltete Einzelstücke.

Da stehen sie und starren in den Himmel. Die Münder sind offen und die Augen leuchten wie sonst nur bei Kindern vor dem Christbaum. Die Gruppe junger Holländer ist fasziniert von der Bar, die auf einem Kran in rund 50 Meter Höhe hängt. Fünfundzwanzig Menschen sitzen da oben, haben eine perfekte Aussicht auf das Festivalgelände und einen Becher Bier vor sich - übrigens die einzige Marke, die man beim Sziget Festival kaufen kann. „As long as it tastes good, it’s fine“, meint einer der Holländer und reiht sich in die Schlange ein, die auf Einlass in die Skybar wartet.

bar in der luft

marilang

Dass das Bier, genauso wie vieles andere am Festival monopolisiert ist, stört die meisten offenbar nicht. Auch nicht, dass es vor Markennamen und Sponsorhinweisen nur so wimmelt. Tja, mittlerweile ist das beim Sziget Festival auch keine Neuheit mehr. Seit Jahren reiht sich ein Verkaufsstand neben den anderen und bietet T-Shirts, Schuhe, Taschen und dampfendes Essen im Überfluss an. Sogar einen richtigen Supermarkt und eine Apotheke gibt es auf dem kilometerlangen Areal. Was vor 18 Jahren als kleine, von Studenten organisierte Liebhaber-Party begonnen hat, folgt heute eindeutig den Regeln der Kommerzialisierung. Cleveres Marketing suggeriert uns, dass wir auch bei 30 Grad im Schatten einen Wollpullover brauchen und ein eigenes Festivalhandy. Diese Neuerung hat schon viele Fans gefunden. „The phone is so great. You really need it, because if you lose your friends here, you will never find them again,“ sagt eine Britin euphorisch und spielt mir ihren Klingelton vor. “Everyone has the same one now. That's a bit confusing." Dass man in den vorherigen Jahren auch ohne billiges Wegwerf-Handy am Sziget Festival nicht verloren gegangen ist, sage ich ihr nicht. Dafür sind die Mitarbeiter der zahlreichen NGOs zuständig, die sich verteilt über das gesamte Festivalgelände in kleinen Ständen präsentieren. Sie informieren über die Obdachlosensituation in Budapest, die Gefahren von Diabetes oder über neue Formen von Yoga.

paar vor sziget hauptbühne

marilang

Es ist eine interessante Mischung, die sich auch in diesem Jahr am Sziget Festival präsentiert - eine Art Spiegel unserer Gesellschaft. Thematisch ebenso wie musikalisch. Auf den fünf großen und über 50 kleineren Bühnen findet man jede Musikrichtung, die irgendwann von irgendjemandem als Musik definiert worden ist. Selbst das Line-Up auf der Hauptbühne, in der Mitte der Insel Óbuda, ist bunt durchgemischt. Ska-P stehen da neben The Hives und Faithless neben Bands wie Papa Roach, Mika, Iron Maiden und The Cribs.

the cribs auf der bühne

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Die drei Geschwister Jarman und der Ex-The Smiths Gitarrist Johnny Marr haben sich wacker gegen die Iron Maiden-Fans geschlagen, die schon am späten Nachmittag die erste Reihe vor der Bühne in Beschlag genommen und mit "Maiden"-Schlachtrufen auf sich aufmerksam haben.

Eine Bühne sticht aus dem zugebrandeten Umfeld heraus. Rund um das Roma-Zelt, in dem seit neun Jahren Musik von ungarischen und osteuropäischen Gypsie-Bands gespielt wird, findet sich kein einziger Sponsorname. Aber nicht, weil man ein Zeichen gegen Kommerzialisierung setzen möchte, sondern weil sich auch in diesem Jahr kein Sponsor finden ließ. „Keine Firma möchte mit Roma in Verbindung gebracht werden,“ sagt Marina Pommier, die Kuratorin der Roma Bühne. In einem Land wie Ungarn, aus dem man immer wieder von Diskriminierung von Roma und regelrechte Hetzjagden gegen sie hört, verwundert das eigentlich nicht. „Die Zigeuner sind als Musiker beliebt, aber sonst will man mit ihnen nichts zu haben,“ meint Pommier, die selbst zwei Roma Bands managt.

Beobachtet man das Treiben rund um das Roma-Zelt, fällt auf, dass hier noch weniger ungarische Wortfetzen zu hören sind, als am Rest des Festivalgeländes. „70% unserer Besucher sind Ausländer,“ bestätigt die Kuratorin den Eindruck. "Denn für viele Ungarn ist der in den letzten Jahren gestiegene Festival-Eintrittspreis zu teuer geworden, und nur wenige sind generell an der Musik der Roma interessiert."

roma zelt

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Guten Zulauf hingegen bekommt das Hungarikum Dorf, das es seit dem Vorjahr gibt und in dem traditionelles Handwerk und Lebensmittel ausgestellt werden, auf die manche Ungarn besonders stolz sind. Honig wird da neben Paprikapulver und Stickdecken präsentiert, Folklore-Tanzvorführungen neben Brezel-Backworkshops angeboten. Im Umkreis von nur ein paar Metern trifft Tradition beinhart auf Moderne. Denn gleich neben dem Hungarikum Dorf hat es sich ein Ableger des WAMP-Designmarktes, der einmal im Monat im Budapester Zentrum stattfndet und jungen ungarischen Designern die Möglichkeit bietet sich einem breiteren Publikum vorzustellen, gemütlich gemacht. Kleider aus recyceltem Material hängen neben Pullis, die zu Taschen umfunktioniert werden können. Das Budapester Parlament ist kreativ auf Postkarten verewigt und die ganze Stadt auf Ohrringen abgedruckt. Hier bekommt man noch Einzelstücke, während man an vielen Ecken des Festivalgeländes von großen Firmen zugemüllt und zum Untergang in der Einheitsmasse aufgefordert wird.

designermarkt im dunkeln

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WAMP - Liebevoll gestaltetes Designerzeug

Aber genau das ist die Kunst des Sziget Festivals - allem und jedem einen Platz zu geben und so ein Schlaraffenland zu schaffen, in dem jeder selbst entscheiden kann, was er gut findet.