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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

16. 8. 2010 - 00:10

Sad Songs for Dirty Lovers

Ein Traum-Line-Up für MelancholikerInnen am 17. und 18. August in Graz und Wien: Beach House, Fanfarlo, The Kissaway Trail, The Low Anthem und allen voran: The National.

Menschen lieben es, in alten und vor allem schmerzhaften Erinnerungen zu schwelgen. Wir kramen alte Fotos hervor und zelebrieren die Erinnerung bei Kerzenschein im Dunkeln. Und anstatt die Fotos in die Flamme zu halten, bis sie abgefackelt und Asche sind, betrachten wir sie mit gläsernen Augen, nur um sie dann wieder wegzupacken. Hinein in den Schuhkarton, rein in die hinterste Ecke im Schrank.

17. August: Schloßbergbühne Kasematten, Graz
The National, Beach House, The Kissaway Trail, The Low Anthem

18. August: Arena Open-Air, Wien
The National, Fanfarlo, The Kissaway Trail, The Low Anthem

"It's a terrible love and I´m walking with spiders" heißt es im Opener von "High Violet", dem neuen The National-Album. Die Band aus Ohio steht seit rund 10 Jahren für Sad Songs for Dirty Lovers und liefert Balsam für Wunden und zugleich Nahrung für schmerzhafte Erinnerungen, verpackt in assoziativ-abstrakte Wortfetzen über Geld, das man dem Geld des Geldes schuldet und Kuchen, die man nie gebacken hat. So unverständlich die Texte von Matt Berninger scheinen, so alles umfassend, so ergreifend sind sie. Und obwohl "High Violet" nicht der große Wurf ist, wie es einst "Boxer" war, sind die Songs vor allem im Live-Gewand ein dynamischer Torpedo. "Terrible Love" ist mit Bläserensemble auf der Bühne ein wütender Schrei ins Kaninchenloch ("But I won´t follow you into the rabbit hole") und "Sorrow" beinhaltet live diese entzückende The Edge-Gitarrenmelodie, die auf dem Album keinen Platz fand.

The National

The National

The National

Am 17. und 18. August sind The National nicht nur einfach zu Besuch in Graz und Wien, was ja schon spektakulär genug wäre. Sie sind Headliner zweier Tage, gemacht für BerufsmelancholikerInnen. Für Menschen, die ihre alten Fotos nicht nur rauskramen, sondern auch noch den einen oder anderen Song darüber hören wollen. Neben The National spielen dazu auf: Beach House, Fanfarlo, The Kissaway Trail und The Low Anthem.

"Slow Show"

In Graz (und nur dort) spielen exklusiv als Ergänzung zu The National die in Teen Spirit gehüllten Victoria Legrand und Alex Scally alias Beach House, die mit ihrem Album "Teen Dream" derzeit all jene begeistern, die in süßlich-triefenden Melodien davon driften möchten. Schon die Vorgänger-Alben "Devotion" und "Beach House" waren diesbezüglich grandiose Tearjerker, aber mit "Teen Dream" hat das Duo aus Baltimore den Vogel abgeschossen. Neben den kleinen Radiohits "Norway" und "Zebra" spielen sie in Graz hoffentlich auch "Take Care", den schönsten Song des 10-Song-Zyklus. Check out the sing-along ending, please.

Da Beach House nach Graz leider gleich nach Deutschland weiter müssen, spielen am Folgetag in der Wiener Arena statt ihnen Fanfarlo. Eine Band, die sich nach einem Text von Charles Baudelaire benennt, hat bei mir grundsätzlich gute Karten, aber ihr Album "Reservoir" spricht ohnehin auch für sich selbst. Eine Truppe, der es ähnlich wie The National gelingt mit Trompeten, Violinen und Mandolinen das Herz zu erweichen, es dabei aber gleichzeitig zart und gefühlvoll mit einem Löffel aus der Brust zu heben. Man merke die Ironie. Tolle Band, tolles Album.

"It´s quiet company"

Die Bands, die an beiden Tagen in Wien und Graz aufspielen werden, passen ebenso perfekt ins Programm. Zum einen die Dänen The Kissaway Trail, die mit aktuellen Werk "Sleep Mountain" und vor allem der Single "Beat Your Heartbeat" furchterregende Dämonen der Vergangenheit beschwören. Satter, warmer Sound, der in manchen Momenten an schräge Amerikaner wie Grandaddy oder The Flaming Lips erinnert, andererseits aber dann doch immer den britpophaften Pathos in die Luft wirft. Das sind großartige Hymnen, wie sie diese Abende brauchen.

The Low Anthem

The Low Anthem

The Low Anthem

Zum anderen, last but not least, kommen The Low Anthem aus Rhode Island. Bei uns immer noch ein Geheimtipp. Aber schon seit einiger Zeit liegt ihr Album "Oh My God, Charlie Darwin" bei mir herum und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nie den richtigen Moment fand, um es wirklich zu schätzen. Aber ein guter Wein muss eben etwas altern.

Die Anfangsakkorde von "Charlie Darwin" sind ein Abgesang auf die Evolution der Menschheit, als der Mensch zwar in der Lage ist aufrecht zu gehen, aber die Natur sich dann gegen ihn stellt, die Dämme brechen und ihm das Wasser bis zum Halse steht, bis er ertrinkt: "As far as I can see there is no land". Gesungen von dieser gebrochene Stimme von Ben Knox Miller im Falsett. Live sind The Low Anthem übrigens ein Erlebnis. Nicht nur, dass die Band eine Trillion Instrumente spielt, sie bittet das Publikum auch an ihrer Performance teilzunehmen. Etwa bei "This God Damn House", wo jeder eine Nummer am Handy wählen und dabei den Lautsprecher einschalten soll, damit das Freizeichen als ohrenbetäubendes Piepsen und Tschirpen die ganze Halle erfüllt.

Es stehen also zwei Abende der Superlative für all euch traurige Seelen an. Oder ihr macht es wie ich. Ihr lasst die alten Fotos im Kasten verstauben, bis sie verblassen, und geht mit einer Person zu dem Konzert, die euch wirklich viel bedeutet und die ihr liebt. Und macht damit ein paar neue Erinnerungen. Und vielleicht auch ein paar neue Fotos.