Erstellt am: 13. 8. 2010 - 13:16 Uhr
Schlaraffenland ist abgebrannt
Diesen Sommer macht das FM4 Jugendzimmer vier Mal Platz für Visionen in die Zukunft der Bildung, der Wirtschaft, der Demokratie und der Natur. Heute redet der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister über Europa und die Wirtschaftskrise.

wifo.ac.at
Stephan Schulmeister im Gespräch mit Elisabeth Scharang heute um 19 Uhr im Jugendzimmer
Das dicke Ende kommt zuletzt
Robert Pechter, einer der großen amerikanischen Wirtschaftsberater, ist überzeugt, dass die Weltwirtschaft innerhalb der nächsten sechs Jahre komplett zusammenbricht. In der Vergangenheit lag Pechter mit seinen Prognosen zumeist richtig. In einem Interview mit der New York Times sagte er kürzlich: Wenn ich recht habe, wird das so ein Schock, dass die Leute noch ihren Großenkeln in vielen Jahren sagen werden: Hände weg von Aktien!
Die große Krise steht uns noch bevor, schreibt auch Stephan Schulmeister in seinem neuen Buch. Der Wirtschaftsforscher analysiert seit den Achtziger Jahren die realwirtschaftlichen Konsequenzen von Spekulationen an den Finanzmärkten und leitet daraus längerfristige Prognosen für die Entwicklung der Weltwirtschaft ab. In einem langen Gespräch zieht Schulmeister einen historischen Bogen von Roosevelts Wirtschaftsprogramm der Dreißiger Jahre bis zu Griechenlands Niedergang und dem von ihm prognostizierten Ende des Neoliberalismus.
Als Arbeit noch mehr wert war als Geld
Aber schauen wir zurück, bevor wir ein Bild der Zukunft zeichnen. "Der Realkapitalismus ist an seinem Erfolg zugrunde gegangen", sagt Stephan Schulmeister. Nach dem Börsencrash in den Dreißiger Jahren und dem Zweiten Weltkrieg waren die Fünfziger und Sechziger Jahre geprägt von Aufbau. Es gab Arbeit ohne Ende, es wurde produziert und die Lebensqualität erreichte nach all dem Elend ein menschenwürdiges Niveau. Arbeitskraft war ein wertvolles Gut. Arbeitnehmer erkämpften neue Rechte, die Gewerkschaften erlangten politischen Einfluss und Macht. Dazu kam der gesellschaftliche Aufbruch und Umbruch der 70iger Jahre und der Zusammenschluss der Arbeiterschaft mit den Studenten und Intellektuellen. Die kapitalstarke Elite verlor zusehens an Macht, wurde an den Rand gedrängt, verlor an gesellschaftlichem Einfluss und begann dem Realkapitalismus eine Finanzwelt gegenüber zu stellen, die ihre Regeln bis heute weitgehend selbst bestimmt.
Jugendzimmer-Spezial-Sommerreihe:
"Vier mal nach vorne geschaut. Ein Blick auf die Welt, wie es sie noch nicht gibt"
30.7. Elisabeth Scharang im Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler Karl Heinz Gruber
6.8. Claus Pirschner diskutiert mit dem Ökologen und Naturschützer Ulrich Eichelmann über die Umwelt im Jahr 2030
13.8. Elisabeth Scharang im Gespräch mit dem Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister.
27.8. Claus Pirschner befragt den Politikwissenschafter Vedran Dzihic über Demokratie und Demokratieverständnis in Europa in zwanzig Jahren
jeweils Freitag von 19 bis 20.30 Uhr
In jedem von uns sitzt ein kleiner Spekulant
Aus Geld Geld machen. Das Geld für sich arbeiten lassen. Wie viele von uns haben nicht tatsächlich an das Schlaraffenland geglaubt, in dem Geld auf Bäumen wächst und sich wundersam vermehrt? Wir können doch nicht wirklich geglaubt haben, dass dieses System nicht darauf basiert, dass es Verlierer produziert? Dass es auf Ausbeutung und ungerechter Verteilung aufgebaut ist? Aber die Gier ist eben ein Hund. Und wir können den Finanzkapitalismus nicht einmal zum Teufel schicken, sind doch unsere Renten alle in Fonds und Aktien angelegt, haben doch unsere Elter das bisschen Ersparte in gemischte Fonds investiert – oder sind gar unserer eigenen bescheidenen Rücklagen auf dem internationalen Finanzmarkt unterwegs?

Picus Verlag
In Stephan Schulmeisters neuem Buch "Mitten in der großen Krise. Ein New Deal für Europa" beschreibt der Wirtschaftsforscher den Werdegang der aktuellen Finanzkrise und - was das wirklich Lesenswerte ist - er stellt eine Alternative, einen Ausweg in den Raum: einen New Deal. Warum es der genau verkehrte Weg ist, dass Staaten radikale Sparkurse fahren; warum jetzt die richtige Zeit ist, in die Gemeinschaft zu investieren, in Bildung, Infrastruktur und in alternative Energien, und wie all das zu bezahlen wäre. Schulmeister lässt in seiner These keinen Bereich unseres Lebens aus - und es klingt nicht wie eine Utopie. Es hat Boden und es hat Voraussicht, was er vorschlägt. Und die Wut auf Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft wächst bei jeder Seite, die ich lese, weil klar wird, was man ohnehin weiß, wenn man es wissen will: Die herrschenden Herren und Damen wissen von dem Desaster, in das sie uns reiten; und sie kennen die Alternative. Aber diese würde ihren Einfluss vermindern, diese würde ein Eingestehen von Fehlern bedingen - und ein Abrücken von einer Weltanschauung.
"Der Neoliberalismus ist als gemeinsames Fundament einer Gesellschaftspolitik untauglich. Da aber die Eliten in Europa den Neoliberalismus zur Grundlage ihrer (wirtschafts-) politischen Empfehlung gemacht haben, wird ihnen diese Einsicht schwer fallen", schreibt Schulmeister.