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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

10. 8. 2010 - 19:35

Fire Files Prt. II

Arcade Fire in der Vorstadt: über die größte Band unserer Tage und ihr neues Album ‚The Suburbs‘.

"Teddy told me that in Greek, "nostalgia" literally means "the pain from an old wound." It's a twinge in your heart far more powerful than memory alone." --- Don Draper (Mad Men, #1.13)

6. Sendungsbewusstsein

Wir aufgeweckten Pop-Connaisseure haben ja spätestens im Kindergarten gelernt, politischen Botschaften in Songs zu misstrauen, vor allem jenen, die mit einer gewissen Weltverbesserungspädagogik einhergehen oder die es sich im Unverbindlichkeitswonderland des Generellen gemütlich machen (und wir haben auch tapfer den Anschlägen bemühter Musiklehrer späterer Bildungsinstitutionen widerstanden). Zudem wirkt es verstörend, wenn Konzerttickets rockender Working Class Heroes oder cross metallender Weltrevolutionäre den Jahresmitgliedsbeitrag der lokalen Gewerkschaft um ein Vielfaches übersteigen. Hemdsärmelig in der Millionenvilla frühstücken, das riecht dem prekären Nachwuchsmusikus von heute noch etwas strenger nach Heuchelei als zu Zeiten, wo man sich noch zumindest an der Aussicht von so etwas wie einer Karriere laben konnte. Und zu allem Überdruss gelten musikbeamtete Kreuzritter des Guten in der Regel auch noch als ordentliche Spaßbremsen mit Null Talent zur Selbstironie. Nicht umsonst sind der heilige Bono und der großartige Bruce gern genannte Inspirationsquellen und praktischerweise auch gleich die ernsthaftesten Arcade Fire Fans überhaupt.

Arcarde Fire Bandfoto

Arcarde Fire

Wie alle Popmusiker mit Sendungsbewusstsein können selbstverständlich auch unsere Lieblingskanadier ordentlich nerven. Von der Berufung einen Standpunkt zu beziehen bis zu Anmaßung und Peinlichkeit braucht es oft nur eine Textzeile. Lines wie "Working for the Church while your family dies" aus dem zweiten Arcade Fire Album "Neon Bible" ließen vor allem Rezesenten der angloamerikanischen Sprachheimat der Himmelsstürmer erschaudern ob dieser lyrischen, tiefen Unschärfe. Überhaupt war "Neon Bible" ein Manifest der etwas zu großen Phrasen. Es begegnete neokonservativer Moral und Bigotterie mit liberaler Moral und Bigotterie. Allerdings gruben Win und Co. im kalten Weltklima der Bush Ära keine Tunnel mehr, sondern gaben mitten in der zweiten Amtsperiode alles verloren. Allein die Liebe und der musikalische Taumel, das Fiebern und das Stürmen sorgten für Katharsis im Fall-Out. "Neon Bible" war vor allem ein sonischer Triumph. Ist es nicht herrlich, wie sich Musik gegen die Textintention stemmen kann? Jetzt hätte ich beinahe geschrieben, "ihre Urheber des Selbstbetrugs überführen". Jesus. Das wäre dann doch zu viel.

7. Subject Matter – Die Vorstadt und Varianten der Nostalgie

"In the suburbs I learned to drive. And you told me we'd never survive"

"The Suburbs" ist nun eine Rückkehr von der Weltpolitik ins Private. So liest man allerortens. Und tatsächlich. Arcade Fire lassen ihre Herzen wieder im Nachbarschaftlichen schlagen. Und ja, es handelt sich um eine Rückkehr. Als ich Win Butler im Herbst 2004 zum Release von "Funeral" getroffen und auf das Pathos in der Musik seiner Band angesprochen habe, meinte er - das Thema des aktuellen Albums vorwegnehmend - dass sich dieses Pathos aus der Sehnsucht speist, der Ödnis von Suburbia zu entkommen, aus dem desperaten Grundgefühl des Aufwachsens in den ortskernlosen Mittelklasse-Hochburgen des Nachkriegswestens (Win und sein Bruder Will haben ihre Teenager Jahre in einem Suburb der Kleinstadt The Woodlands in Texas verbracht). Das ist wahrlich nicht besonders originell, sondern vielmehr Ur-Thema der US-amerikanischen Popkultur seit dem Rock & Roll der 50er Jahre. Als jüngeres Beispiel sei hier nur das etwas verklausuliertere Album der auch selten lachenden Indie-Kollgen von The National angeführt. Warum Arcade Fire mit diesem Grundthema trotz Rückblickstendenz an eine brandaktuelle Debatte anschließen können, dazu weiter unten.

miroir noir/ vincent morisett

Ausführlich behandelt wurde in den bisherigen Reviews der Geist der Nostalgie, der durch die Straßen von "The Suburbs" wehen würde. Über die Länge von 16 Songs kehren wir in die Vorstadt verblasster Jugend zurück. Win’s Texte – und "The Suburbs" ist definitiv ein Win-Album - dürften allen Landflüchtigen der (mittelständischen) Erde bekannt vorkommen. Am Anfang steht das Erwachen, das Klagen über die Absenz von Weltgeist. Es folgt die Flucht, zuerst in die Clique, schließlich in die große Stadt. Während und nach adoleszenten Abenteuern und einer soliden, etwas hingausgezögerten Ausbildung erfolgt die milde Rückkehr in Form routinierter Besuche oder gar als Rückführung des Lebensmittelpunktes. Vielleicht schon mit eigenem Nachwuchs am Schoß (an dem man selbstveständlich nicht die Erziehungsverbrechen der Eltern wiederholen möchte).

Doch kaum ist die Tante begrüßt, der alte Freund mit den deutlich kürzeren Haaren pflichtbesucht, ist es mit der nostalgischen Glückseligkeit vorbei. Es stellt sich die Ernüchterung ein: man bleibt hier fremd. Die Orte glorreicher Renitenz haben jetzt Nachrückende besetzt. Ihre Blicke sind feindselig. Du gehörst eindeutig nicht mehr dazu, bist jetzt selbst aktives Mitglied der Ablehnungswürdigkeit und siehst im harten Blick der "Kids" doch nur das weiche Kinn späterer Jahre.

Beinahe jeder Song auf ‚The Suburbs‘ setzt sich mit diesen Widersprüchen auseinander, die mit der Gedächtnisarbeit an den Herkunftsort verbunden sind. Überschwängliche Gefühle des Aufbegehrens, die erste Liebe, der Traum von der großen Freiheit treffen auf das Setting der verhassten Suburbs, das über putzige Fassaden und penibel gemähte Rasen Ordnung und Gemeinschaft simuliert.

Hoch anzurechnen ist es Arcade Fire, dass sie sich nicht von der Nostalgie weichspülen lassen. Jene wird trotz Überstilisierung wie etwa in Regines Prom-Night Hommage "Sprawl II" in Frage gestellt: "Sometimes I can’t believe it, I’m moving past the feeling", singt Butler bereits im eröffnenden Titelstück. Der Zusatz "again" soll uns wohl daran erinnern, dass auch das Gefühl, mit der Vergangenheit, dem wehmütigen Blick zurück, abgeschlossen zu haben, dass auch dieses Gefühl ein trügerisches ist.

Arcade Fire - The Suburbs

Arcadefire.com

8. Zeitgeschehen und Krisenlieder

"They build it up just to burn it back down"

Was schlussendlich bleibt, ist ein tiefes Misstrauen gegen die Umlegung der industriellen Arbeitsteilung in Wohnverhältnisse. Suburbs, in Nordamerika häufig rund um Shopping Malls oder Verkehrsknotenpunkte errichtet, sind für Butler eine Institution non grata, eine abzulehnende Sozialisierungsinstanz. Und wie zur Bestätigung des bereits in jungen Jahren keimenden Verdachts hat die jüngste Immobilien- und Wirtschaftskrise die Vorstadt getroffen wie der schwarze Tod. Was schon immer gefühlt schlecht war, ist nun faktisch vom Untergang bedroht. Ganze Suburbs wurden durch die Subprime Mortgage Crisis entvölkert und zu Ghost Towns. Hier hält die Weltpolitik dann auch wieder Einzug ins Liedgut von Arcade Fire - auch wenn sie in dieser Form für mitteleuropäische Siedlungs- und Vorstadt "Kids" weit weniger Relevanz und dramatische Konsequenzen besitzt.

Die Krise ist unterschwelliges oder offensichtliches Thema in Songs wie "The Suburbs" ("And all of the houses they build in the seventies finally fall"), "Half Light II" ("When we watched the markets crash, the promises we made were torn."), "City With No Children" ("A garden left for ruin by a billionaire inside of a private prison"). Allerdings tritt Butler hier teilweise als übergeordneter Erzähler auf, wechselt häufig die Perspektive innerhalb eines Verses oder betritt verschiedene (manchmal historische) Zeitebenen. Er bleibt somit ungreifbar.

Leider wird auch auf dieser Platte immer wieder der Versuchung zur Plattheit nachgegeben. In "Ready To Start"‘ kann Win wohl eher nicht die eigene Karriere gemeint haben: "If the businessmen drink my blood. Like the kids in art school said they would". Die alles andere als subtile Medien/Internetkritik in "We Used To Wait" gemahnt an die Zeit, als besorgte Ärtze vor der Verformung des Gehirns durch Zugfahrten warnten: "I used to write letters, I used to sign my name... Now our lives are changing fast, hope that something pure can last". Das Web killt alles "Echte"? Und mit Zeilen wie "Feels like I’m losing the feeling", möchte man Butler tatsächlich back to school schicken. An anderer Stelle zeigt sich allerdings sein Talent, über kleine Beobachtungen den großen Zusammenhängen auf die Schliche zu kommen, so wie in "Sprawl I (Flatland)", dem vielleicht traurigsten Song des Jahres: "Cops showing their lights, on the reflectors of our bikes. Said, do you kids know what time it is? Well sir, it's the first time I've felt like something is mine".

Doch zurück zum großen Thema: "The Suburbs" ist also ein Album zur Zeit, vielleicht das erste, das sich auf breiterer Basis ernsthaft mit der Krise befasst und es setzt dort an, wo jene (noch immern) den größten Schaden anrichtet. Auf Textebene ist das dritte AF-Werk in vielerlei Hinsicht noch dunkler als der Vorgänger "Neon Bible". Erlösende Momente sind eher selten. Die vordergründige Weichzeichnung durch die Nostalgie verdeckt den lyrischen Rundumschlag, der hier vor allem durch Win erfolgt. Vater, Mutter, Kind – alle bekommen ihr Fett ab. Schuld ist nicht mehr bloß der böse Mann "da oben" (im Himmel oder Washington) sondern auch der kleine Kreditnehmer, der sich ein faules Geschäft aufschwatzen hat lassen und jetzt selbstgerecht mit seinem Schicksal hadert ("City With No Children"). Dass die (An)Klage allerdings nicht vorm eigenen Spiegelbild Halt macht, kann man dem Arcade-Texter ruhig als Fortschritt anrechnen.

Im Schlussstück, einer Reprise des Titelsongs, verabschiedet man sich dann doch noch schweren Herzens: "If I could have it back all the time that we wasted, I'd only waste it again". Und abermals: "Sometimes I can't believe it, I'm moving past the feeling again. Sometimes I can't believe it..."

Was das "Continued" im Zusatz des Songtitels bedeuten soll, Aufbruch oder Forsetzung, darüber darf man ruhig noch eine Weile grübeln.

Was bleibt, ist die Musik. What's next, Arcade Fire?

Fortsetzung folgt