Erstellt am: 10. 8. 2010 - 15:06 Uhr
Skandal!
"Das wird teuer", zittert Österreich, "Jetzt will uns die EU mit einer Europa-Steuer drangsalieren!", jammert Bild. Und mehrere meiner Facebook-Freunde, sonst boulevardesken Kampagnen eher abgeneigt, wünschen sich neue "Bauernaufstände" herbei.
EU-Finanzkommissar Lewandowski hat vorgeschlagen, eine Finanztransaktionssteuer, eine Luftverkehrssteuer oder die Erlöse der Versteigerung von CO₂-Verschmutzungsrechten zur Finanzierung eines Großteils der EU-Ausgaben heran zu ziehen.
Die EU finanziert sich derzeit zu 76% über die Budgets der Mitgliedsländer. Eine direkt eingehobene EU-Steuer würde natürlich auch die nationalen Haushalte entlasten, was gerade in Nettozahlerländern wie Deutschland oder Österreich ins Gewicht fällt.
Dass sich der bürgerliche "Hilfe! Schon wieder eine neue Steuer!"-Reflex jetzt auch schon in meinem (Facebook-)Bekanntenkreis breit macht - und zwar durchaus auch bei Menschen, die sich für politisch reflektiert halten, oder das Reflektieren gar zu ihrem Beruf gemacht haben - das war ja zu erwarten. Warum sollen sich die Erfolgreichen unter den Musikern, Comedians und Wissenschaftlern (und die sind es, die hier mit Bild und Österreich mitjammern) den Reflexen der besitzenden Klasse auch entziehen können?
Da wird dann eben gerne auch die Bild zitiert, anstatt darüber nachzudenken, dass z.B. eine Finanztransaktionssteuer, eine Besteuerung von Flugbenzin oder die Versteigerung von Verschmutzungsrechten nur EU-weit wirklich Sinn macht, dass damit die Einführung solcher (vor allem von Linken immer wieder geforderten) Abgaben über die EU-Schiene natürlich deutlich realistischer ist, als wenn sie in 27 Ländern auf der nationalen Ebene durchgeboxt werden müssten. Oder dass das eine Chance wäre, den Einfluss des EU-Parlaments auf die Budgetgestaltung der EU, und damit die öffentliche Kontrolle der EU-Finanzen, deutlich zu verstärken.
Im Übrigen ist die Idee einer direkt von der EU erhobenen Steuer keine neue, sie taucht jedes Mal auf, wenn die Rahmenbedingungen einer neuen Finanzperiode ausgehandelt werden. Dass die EU sich selbst finanzieren soll, steht von den Römischen Verträgen bis zum Vertrag von Lissabon auch in diversen EU-Grundgesetzen drin.
Nun gut, Reflexe sind Reflexe. Und der Weg vom Vorschlag zur Umsetzung ist ja auch in der EU traditionell ein weiter. Genug Gelegenheit, das Thema gründlich durch zu denken.