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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

9. 8. 2010 - 14:56

The High Art Of Lässigkeit

Ein paar Notizen zum gestrigen Auftritt von Kasabian in Wien.

Nicht schon wieder, denke ich mir, als die ersten Akkorde von Kasabian über das Gelände der ausverkauften Wiener Sommer-Arena ertönen. Viel zu leise kommt da "Shoot The Runner" aus den Boxen, der Sound ist dünn und verwaschen.

Sofort werden Erinnerungen an einen ähnlichen Konzertbeginn der Briten vor einigen Jahren im Londoner Hyde Park wach. Vor allem aber an den Auftritt von Kasabian im Vorjahr beim FM4 Frequency Festival. Die ganze erste Hälfte schwächelte damals lautstärkentechnisch, vor allem die Gitarren schienen zeitweise im Mix verschluckt.

Fühlte sich das in St. Pölten, bewegungslos eingekeilt in der Menge, höchst frustrierend an, bringt am gestrigen Abend ein hektischer Platzwechsel erstmal viel. Weg vom Mischpult und ran an den Bühnenrand wird es druckvoller.

Glücklicherweise hat der Tontechiker das Geschehen relativ bald im Griff, parallel dazu steigt die Stimmung.

Kasabian

Niko Ostermann

Alle Bilder: Niko Ostermann

So richtig heftig wird es an diesem Abend aber nie werden, bei Kasabian-Gigs brauchen auch sensible Gemüter keine Ohrenstöpsel. Das gehört aber auch zum Programm der Band, ist Teil ihrer Attitude.

Der Rock'n'Roll, den Kasabian verhandeln, bedient sich zwar ausgiebig im Repertoire der maskulin besetzten Stadionposen. Aber keine Sekunde lang steht dabei angestrengte Hitzköpfigkeit im Zentrum, Protzen mit Härte oder spielerischem Können oder kommt es gar zu kathartischen Aggressionsausbrüchen mit hochrotem Kopf.

Kasabian sind Großmeister in einer viel rareren Disziplin. Die Band, die einer Musikerkommune aus dem britischen Leicester entstammt, praktiziert die hohe Kunst der Lässigkeit.

Nun ist das ein Begriff, der sich im Rock-Kontext natürlich einer eindeutigen Definition entzieht. Aber ganz sicher geht es dabei um eine gewisse Zurückgelehntheit, ein ganz leichtes Augenzwinkern, das aber niemals mit Zynismus verwechselt werden darf, ein durchaus souveränes Über-den-Dingen-Stehen, das aber vom eingemotteten Begriff "Coolness" tatsächlich Lichtjahre entfernt ist.

Kasabian

Niko Ostermann

Wirkliche Lässigkeit, wie sie die beiden gestern in Topform herumstolzierenden Frontgockel Tom Meighan und Sergio Pizzorno ausstrahlten, hat wenig mit einem Panzer an Arroganz - Hallo an dieser Stelle an die oft herbeizitierten Brüder Gallagher -, aber enorm viel mit Charme zu tun.

Wirkliche Lässigkeit kümmert sich auch nicht um eventuelle Ausrutscher, egal ob es sich um übermäßig fette Intros, dick aufgetragenes Pathos aus dem Hause Ennio Morricone oder Pink Floyd handelt oder bestimmte Details modischer Natur. Ein kleines Baucherl unter dem knallengen T-Shirt ist auch sowas von wurscht.

Und gerade deswegen, weil hinter all den großen Posen keine kalkulierenden Poseure stecken, sondern euphoriesüchtige Lads von nebenan, ist dann in der Wiener Open-Air-Arena die Grenze von der Lässigkeit zur Sexiness schnell überschritten. Vor allem im Zusammenspiel mit dem wunderbaren Sommerwetter.

Schon ab dem frühen Highlight "Where Did All The Love Go?" wackeln auch im Publikum die Popos beiderlei Geschlechter, macht sich eine Stimmung breit, die eher an einen relaxten Elektronik-Event erinnert als an ein verschwitztes Rockkonzert.

Kasabian

Niko Ostermann

Electro und Pop bleiben auch in den erdigsten Momenten, wo sich Meighan, Pizzorno & Co. an ein Sixties- und Seventies-Erbe anklinken, zwei wichtige Stichwörter. Man spürt auch in den puren Gitarrensongs der Band einen Widerhall ihrer Jugend auf diversen Raves, hört wie bei den Bands der legendären Madchester-Ära die Grenzen zwischen Psychedelia und Acid-House verschwimmen.

Poporientiert, und das ist ein Segen für jemanden wie mich, den man mit instrumentalen Ausritten auf Livebühnen jagen kann, ist dagegen die Herangehensweise an das Songwriting.

Kein einziges Gitarrensolo erlaubt sich der oberlässige Sergio Pizzorno, auch in den herrlich schwebenden, freier anmutenden Teilen folgt im Grunde alles einer strengen Pop-Ökomomie. "Robbie Williams" flüstert mir einer meiner Freunde bei der finalen Zugabe "LSF" ins Ohr. Und er hat nicht ganz unrecht und meint es keineswegs böse.

Kasabian

Niko Ostermann

Ein schöner Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren. Kasabian werden nie eine auch nur klitzekleine Revolution anzetteln, auch wenn sie dieses Wort im Sinne ihrer Vorbilder Primal Scream gerne sloganhaft verwenden. Es geht hier auch nicht um tiefe Ergriffenheit oder atemberaubende Innovation, das machen andere besser.

Aber wir brauchen ja auch nicht ausschließlich Filme, die in traumatischen Wunden wühlen, verstören oder die Existenz erschüttern. Wenn mich persönlich irgendetwas viel entscheidender geprägt hat, dann ist es die unerhörte Lässigkeit, mit der Clint Eastwood in Sergio Leones Italowestern in die Kamera blinzelte, das Charisma eines Bruce Lee, die Oneliner diverser Actionheroen aus den Achtzigern.

Tom, Serge & Co. knüpfen da direkt an. Und das ist kein leichter Job, auch wenn alles so easy aussieht.

Mir fällt auf der Heimfahrt ein Zitat von Michel Houellebecq ein, das, glaube ich, aus "Elementarteilchen" stammt. Manche Konzernchefs, Minister oder Spitzenmanager mögen mehr verdienen als Rockstars, schreibt der Autor sinngemäß. Aber in der sozialen Hierarchie der Begehrtheit rangieren sie weit unter den Rock'n'Rollern. Lässigkeit kann man sich eben nicht kaufen. Aber ein bisschen davon kann man bei einem Konzert von Kasabian aufsaugen.