Erstellt am: 9. 8. 2010 - 14:29 Uhr
Unsichtbar
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Am Ende steht ein Bild, weit hergeholt aus einer Phantasie über eine (in unserer Wirklichkeit nicht existierende) Südseeinsel: Ein paar dutzend Männer und Frauen hämmern auf große Steine ein, bis sie zu fast nichts zerfallen. Den Sound dieser vielhändigen musique concrète beschreibt Paul Auster als „sperrige, grandiose Harmonie“. Man könnte diese wundersame Allegorie über die Schönheit von Zufall und Zerfall aber auch als nachträgliche Aussöhnung mit der Vertrauenswürdigkeit der Literatur sehen.
Aber wahrscheinlich ist auch diese schlussendliche Harmonie so trügerisch wie alles, was Auster jemals zwischen zwei Buchdeckel gepackt hat.
Schließlich ist Auster als Trickster bekannt geworden, der die Beschreibung von existentiellen Wendungen seiner Helden mit der planvollen Verunklarung der Erzählposition verbindet. Auch in „Unsichtbar“ geht es also wieder einmal um die Macht des Zufalls und dessen lebensprägende Effekte. Das „Unsichtbar“-machen der Fiktion im Roman und um die Erinnerung an eben diesen Schreibprozess erfolgt hier durch einen Autor, der nicht ohne Grund in vielen seiner Büchern eine Personal-Vorliebe für professionelle Spurensucher wie Detektive und professionelle Fährtenausleger wie Romanciers hegt. Gleichwohl „verschwindet“ der Autor hier genauso wenig wie in seinen anderen Büchern. Im Gegenteil. Gerade, weil Auster doppelte Böden einzieht und uns die Kunst der schönen Lüge wie eine Karotte vor die Nase hält, hält er es mit der Präsenz des Autors vielleicht stärker als in vielen ungebrochen erzählten Romanen.
Beowulf Sheehan
Auch in „Unsichtbar“ steht ein angehender Schriftsteller im Mittelpunkt, der sich am Ende des Romans als bereits Gestorbener entpuppen wird: Adam Walker. Kein erster Mensch, sondern ein aufgeweckter Student zu Zeiten der Vietnamkriegs-Proteste. Wir schreiben das Jahr 1967, in dem auch Auster selbst so wie Adam 20 Jahre alt war. Wie so oft bei Auster wird sich eine zunächst zufällige Begegnung dieser Hauptfigur als schicksalhafte Wendung in diesem nuancenreichen Roman herausstellen. Diesmal ist es ein aufbrausender, dubioser Politologe mit Herrenmenschanwandlungen und möglicher Doppelexistenz als Geheimagent namens Rudolf Born, der Adam zunächst in den Bann zieht und ihn am Ende des ersten Teils in einen Strudel von Sex, Gewalt, Schuld und dunklen Andeutungen geraten lässt.
rowohlt
Ab dem zweiten Teil entwickelt Auster in leichtfüßigem, unprätentiösem Stil sein nicht unprätentiöses Verwirrspiel über Wahrheit und Täuschung kontinuierlich weiter. Zunächst wird ein alter Freund und nun erfolgreicher Schriftsteller zum neugierigen Vermittler des angeblich zweiten Romanteils von Adam. Später muss er die aufgrund einer schweren Krankheit Adams nur mehr notdürftig skizzierten dritten Teile des Romanfragments selbst umschreiben, und am Ende übergibt er die Fackel der Erzählung an die mittlerweile auch schon in die Jahre gekommene Schwester Adams. Sie ist es auch, die die im zweiten Teil noch mit der Vorwarnung „brutal, hässlich und ekelhaft“ versehene (und erfreulich unverschwitzt dargereichte) Inzestgeschichte zwischen ihr und Adam revidieren wird:
Sie hat nur im Kopf von Adam (bzw. Auster?) stattgefunden. Doch auch sie selbst weiß nicht, ob sie den finalen Andeutungen des Schreckens trauen soll, die sie am Ende ihrer und unserer Reise ins Herz der narrativen Finsternis auf der fiktiven Südseeinsel erfahren soll. Dort ergeht sich der mittlerweile greise, angebliche Doppelagent Rudolf Born in vagen Revisionen des Gelesenen: „Ich erzähle dir eine Geschichte, sonst nichts. Ich schildere, wie Mr. X Mr. Y tötet.“