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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

5. 8. 2010 - 15:23

Bevor ich schlafen kann

In ihrem neuen Roman erzählt Monika Helfer von einer verletzten, verstörten Frau und baut gleichzeitig ein feines Denkmal für ihre Tochter Paula Köhlmeier, die 2003 bei einer Wanderung tödlich verunglückt ist.

Weitere Buchrezensionen

"Das Glück (...) wenn es überhaupt kommt, kommt nur einmal, höchstens zweimal, und wenn es tatsächlich zweimal kommt, dann vergeht vom einen zum anderen Mal eine ziemlich lange Zeit. Beim Unglück sieht es anders aus. Es kommt immer zweimal oder dreimal oder viermal sogar, und immer kommt es kurz hintereinander."

buchcover - schwarzweiss bild frau sitzt an einem tisch u raucht

Deuticke im Paul Zsolnay Verlag

"Bevor ich schlafen kann" ist im Deuticke Verlag erschienen

Das Unglück im Fall von Josi Bartok, einer Fachärztin für Psychiatrie am Wiener Otto Wagner Spital, lässt sich schnell zusammenfassen: nach der Diagnose Brustkrebs müssen beide Brüste amputiert werden, sie gibt den Job auf und ihr Mann Tomas erklärt ihr nach 20 Jahren Ehe, dass er eigentlich Edgar liebt und mit ihm zusammenleben will.
Josi zieht sich in eine eigene Wohnung zurück und versucht, während sie mit den Möbeln spricht, für ihre Person eine neue Rolle zu erfinden.

Sie, die zarte, kleine verstörte Frau will nur mehr Herrenanzüge tragen - vorzugsweise einen Stresemann.
"Du siehst aus wie ein zarter Herr. Und ein bisschen wie Laurie Anderson," meint ausgerechnet Edgar.
"Aber Laurie hat ja Lou, der sie tröstet. Ich muss mir dringend einen geeigneten Lou Reed suchen." Nimmt sich Josi vor und hat doch keine Ahnung wo sie suchen soll.

Autorin Monika Helfer

Annette Pohnert / Carl Hanser Verlag

Monika Helfer, geb. 1947, lebt als Schriftstellerin mit ihrer Familie in Vorarlberg. Sie hat Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht, darunter: Eigentlich bin ich in Schnee geboren (1977), Die wilden Kinder (1984), Oskar und Lilli (1994)

"Bevor ich schlafen kann" ist der erste Roman, den Monika Helfer nach dem Tod ihrer Tochter Paula Köhlmeier veröffentlicht hat.

In ihrer Einsamkeit tröstet sie sich mit einer CD, die ihr die Kollegen zum Abschied geschenkt haben: Die Sagen des Klassischen Altertums, gelesen von Michael Köhlmeier. Ausgerechnet. Das, nun ja, verwundert sehr, ist Monika Helfer doch seit Jahrzehnten mit Michael Köhlmeier verheiratet. "Die Stimme des Erzählers genügte ihr, sie hing ihren eigenen Gedanken nach, die Stimme machte etwas Luft in ihrem Kopf."

Josi, die Wert darauf legt, nicht Tschosi genannt zu werden, war bei ihren Anorexiepatientinnen beliebt, "weil ich sie nicht geliebt habe." Im Gegenteil, erklärt sie ihrer Tochter Karla, sie könne sehr böse sein. Und weil sie mit ihrem Gefühlsrepertoire gegenwärtig nicht klar kommt, fragt sie die 26jährige Karla, wann man merkt, ob ein Mann etwas von einer Frau will und wie man guten Sex erkennt.
"Zum Beispiel, wenn es dir dreimal hintereinander kommt und er es hinkriegt, dass es dir noch ein viertes Mal kommt."

Lesungen:
o-toene: Museumsquartier: Hof 8 Boule Bahnen
Wien
05.08.2010

Schauspielhaus
Wien
16.09.2010

Theater am Kornmarkt
Bregenz
29.09.2010

Literaturhaus Salzburg
Salzburg
09.11.2010

Durchaus mit dem Vorsatz, diese Theorie in die Praxis umzusetzen, reist Josi nach Griechenland – die Reise ist ein gemeinsames Geschenk ihrer Kinder und Tomas und Edgar. Damit sie abgelenkt wird, auf andere Gedanken kommt, neue Leute kennen lernt. Auf Hydra, bei Erzähltagen mit dem, naheliegend, Schriftsteller Michael Köhlmeier.
Aber nicht nur der, auch seine "besonders liebe Frau" und deren Kinder sind auf der Insel und Josi freundet sich mit Paula Köhlmeier an. Die offene Zwölfjährige kann nicht nur jedem Blick standhalten, sie sieht Dinge mit einer bestechenden Klarheit, redet nicht drum herum sondern fragt direkt und sie tut auch, was sie will. Und damit wird sie zur starken Frau, zur eigentlichen Hauptfigur, an der Josi und ihre Umgebung mehr und mehr verblassen. Letztendlich bleiben nicht Josi, ihre Familie oder ihr Geliebter in Erinnerung, sondern Paula.

Die Paula, die 2003 bei einer Wanderung in Hohenems tödlich verunglückt ist. "Liebe Paula", schreibt da Josi in einem E-Mail "so geht das: Kaum bist Du zur Tür hinaus, fehlst Du mir schon."

Monika Helfer hat ein feines Denkmal für ihre Tochter gebaut – diese Passagen überzeugen mehr als das Liebesleben von Josi.