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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 8. 2010 - 16:26

Fußball-Journal '10-36.

Warum das Hofmann-Loch nicht im Mainstream ankommen wird.

Nach der WM und der U19-EM ist wieder schnöder Fußball-Alltag, der hier im Fußball-Journal 10 begleitet wird.

Vor ein oder zwei Jahren im Rahmen einer Podiums-Diskussion hat mich der damalige TV-Sportchef (mittlerweile ist er in Pension, kein Golden Handshake, sondern ganz regulär) drauf angesprochen, öffentlich: auf das (unsabsichtliche) taktische Spezifikum bei Rapid, dessen Entdeckung er mir zuschrieb.

Das Hofmann-Loch entsteht in Rapids 4-4-2, weil der offiziell meist im rechten Mittelfeld aufgestellte Steffen Hofmann diese Vorgabe im Regelfall komplett ignoriert und dort spielt, wo er will - also meist zentral.

Die so völlig verwaiste rechte Angriff-Seite muss so vom rechten Verteidiger mitübernommen werden, was dazu führt, dass der - in den letzten Jahren war es Andreas Dober, der diesen sauren Apfel schmecken musste - zwei Jobs auf einmal zu erledigen hat.

Aussehen tut das etwa so:

Rapid, taktisch.

blumenau

Weil der rechte Verteidiger zwei Aufgaben (nämlich auch den Job des rechten Mitelfeldspielers/Flügels erledigt, spielt man eigentlich zu zwölft.

Allerdings ist weder Dober noch ein anderer Österreicher Maicon oder Dani Alves oder Sergio Ramos - also jemand der das kann. Auch ist dieses schiefe, wie ausgeronnen wirkende System keine taktische oder strategische Absicht, sondern Zufall, der aus einer Art Gewohnheitsrecht eingefroren ist. Argentinien hat in seinem ersten Spiel etwas Ähnliches gemacht: keinen rechten Mittelfeld-Spieler, sondern Lionel Gutierrez als die gesamte rechte Seite beackernder Hybrid. Mit diesem Trick wurde das Auftaktspiel gegen Nigeria glatt gewonnen.

Bei Rapid steckt kein System dahinter. Das ist schon allein aus der Tatsache, dass der rechte Verteidiger regelmäßig als Pacults Blitzableiter und Watschenmann fungiert, abzulesen.

Ein Coach, der das Hofmann-Loch absichtlich inszeniert, weiß um die Schwierigkeit/ Unmöglichkeit der Aufgabe des Akteurs dahinter und wird ihn aufbauen und unterstützen und nicht wie Pacult mit Füßen treten.

Eine der unterstützenden Maßnahmen würde etwa sein, dass der rechts angesiedelte defensive Mittelfeld-Spieler - im Regelfall Heikkinen - entsprechende Rechts-Defensiv-Arbeit erledigen muss. Das ist aber nicht der Fall - was wiederum mit dem Heikkinen-Problem zu tun hat.

Das Heikkinen-Problem liegt zum einen in seiner Überschätzung, zum anderen in seiner Unlust für Rapid zu spielen. Heikkinen hat um Vertragsauflösung gebeten, durfte aber nicht weg. So kommt zu seiner ohnehin schon nach unten zeigenden Formkurve auch noch der immer wieder aufblitzende Unwillen. Heikkinen lebt von seinem guten ersten Jahr bei Rapid - mittlerweile ist er (auch wegen seiner Rolle im Rechtsverteidiger-Problem) eher Bremser der Entwicklung der Mannschaft.

Es handelt sich dabei um das Hofmann-Loch (detaillierte Erklärung nebenan). Das habe ich natürlich weder erfunden noch erstentdeckt, es ist nur davor allen einfach wurscht gewesen - auch weil man sich im Mainstream mit sowas wie Strategie nicht beschäftigt hat.

Das Hofmann-Loch also, die spielerische Schieflage von Rapid aufgrund der Abwesenheit einer echten rechten Angriff-Seite, wenn dort Hofmann nominiert ist (was immer noch der Rapid-Regelfall ist, vom 4-4-2 steigt Pacult nur selten runter; was angesichts dessen internationalen Aussterbens natürlich auch ganz schön traurig ist, aber das ist wieder eine andere Geschichte), wird aber nicht - wie andere Schieflagen, die uns bei der WM vorgezeigt wurden, absichtlich und als strategische Variante eingesetzt, sondern sie passiert halt.

Diese Schieflage ist (gemeinsam mit ein paar anderen, ebenso aus der schieren Abwesenheit eines taktischen Konzepts entsprungene Sünden und Unsinnigkeiten) schuld an der gläsernen Decke, an die Rapid Wien immer wieder stößt, wenn es darum geht, sich international zu bewähren.

Wenn man auf gleich starke, aber taktisch eben besser ausgebildete Gegner (etwa aus Zypern oder Israel) trifft, dann ist es vorbei. Das, was gegen arrogant auftretende Teams aus besseren Ligen (Villa, Celtic, HSV) wegen des Überraschungs-Effekts funktioniert (wobie man sagen muss, dass Rapid in diesen Spielen meist mit einem 4-2-3-1, also mit einem zentralen Hofmann angetreten ist) klappt bei gut präparierten Gegnern, die im Vorfeld nach Schwächen suchen, eben nicht.
Weil diese Schwäche auch so offensichtlich und evident ist - für jemanden, der ein bissl genauer schaut; also genau dem
Gegenteil der heimischen Mainstream-Medien.

Taktisch arbeiten hieße arbeiten müssen

Nun lebt aber Fußball-Österreich nicht nur im Glauben, dass Steffen Hofmann, Torschützen-König und Assist-Gott sakrosankt ist - wogegen ja gar nichts zu sagen wäre - sondern auch noch im Glauben, dass es völlig wurscht wäre wo und wie er eingesetzt wird.

Das ist natürlich purer Schwachsinn - auch ein Messi ist nur so gut wie seine taktische Position über die die allerbesten Coaches ihre Köpfe rauchen lassen.

Hierzulande wird das, was den guten Spieler noch besser (und somit international konkurrenzfähig) macht, allerdings gern als "taktischer Zwang" abgetan, den man durch das völlig frei floatende Spiel unterlaufen kann; weil man sich in Österreich eben gern auf den Darwinismus, der schon für die Durchsetzung des Genies sorgen wird, setzt.

Hintergrund: die Fußball-Szene, die Coaches und Experten wollen sich nicht allzu viel Arbeit machen, Laissez-Faire soll alles von selbst regeln, ein "am Ball"-Bleiben was internationale Standards betrifft - viel zu anstrengend.
Das Resultat sieht man in der Anzahl heimischer Coaches im fußballrelevanten Ausland (0, Null, niemand) und den Schwierigkeiten, die selbst unsere Stars haben, wenn sie bei echten Fußball-Vereinen mit auf der Höhe der Zeit angelegten Trainings (die dem heimischen Niveau leider immer Jahre voraus sind) konfrontiert werden.

Schuld daran ist eine Sport-Presse, sind Sport-Medien und Fußball-Redaktionen, die ihren Namen nicht verdienen, weil sie nicht analysieren, auf- und erklären, sondern die populistische Vernebelungs-Politik der Vereine, des Verbandes, der Ex-Kicker, der Coaches und "Experten" als reine Erfüllungsgehilfen unreflektiert übermitteln.

Der Teufelskreis der medialen Untätigkeit

Die Problematik um das Hofmann-Loch war also durchaus einigen (den reflektierteren halt) Pressemenschen bewusst - eine analytische Aufarbeitung gab es allerdings nicht. Mir sind zwei oder drei Andeutungen bei Live-Kommentierungen von Rapid-Spielen bekannt - die allerdings aus Angst vor der Komplexität angesichts eines womöglich wenig gut ausgebildeten Publikums nur verschämt ausfielen. Desgleich im Print-Bereich: intelligente Redakteure trauen sich nur im Ansatz über solche Analysen, weil sie ihre Leser nicht mit Dingen überfordern wollen, die die nicht gewohnt sind.

Man hat also Angst vor der Blödheit des Mainstream-Fußball-Publikums.
Weshalb man dann nichts unternimmt, um es mit Futter zu versorgen, seine Aufmerksamkeit zu schärfen, es zu bilden. Weshalb man dann mit einem immer weiter nach unten nivelliertem Ausgangswissen zu tun bekommt. Weshalb man dann nur noch mit purem, platten Populismus reinfahren kann.
Und fertig ist der Teufelskreis.

Klar ist das, was ich da fordere, schwer und mühsam.
Ich merke das selbst bei intelligenten Zeitgenossen, die dann, wenn ich ihnen im Gespräch ein bissl mehr als nur "Hofmann, eh super, oder? - und, Arnautovic, Star oder nicht?" abverlange, ihr Hirn auf Durchzug stellen, weil sie es nicht gewohnt sind, die Einschätzungs- und Analyse-Fähigkeiten, die sie sonst auszeichnen, auch in diesem Feld anzuwenden.

Das kann aber keine Ausrede sein, sich dem allgemeinen Dumpfgummitum zu ergeben und als ein Flachmann von vielen einfach nur mitzuschwimmen.

Und jetzt die schönen Skizzen...

Und deshalb steig ich auch nicht runter von Themen wie diesen. Und male immer wieder hopperdatschige Taktik-Tafeln auch um den Menschen die Angst davor zu nehmen und womöglich Lust drauf zu machen.

rapid, taktisch nach seitlhuber

seitlhuber

Nun war die ernsthafte Aufarbeitung von Fußball-Systemen bislang ausschließlich dem Untergrund, also den Blogs vorbehalten. Auf den diversen Soccerboards wird neben viel Schas auch qualifiziert diskutiert, und manch einer setzt sich in aller gebotenen Ausführlichkeit mit einzelnen Teams auseinander - wie hier am Beispiel Rapid zu sehen.

Die nebenstehende Grafik ist diesem Blog entnommen. Und zeigt etwa auch auf, wie z.B. Heikkinen den Rechtsverteidiger strukturell im Stich lässt und wie unabsichtlich linkslastig das Rapid-Spiel ist.

Alles nur um Steffen Hofmann freizuspielen.

Nun bekomme ich gestern den Hinweis, dass sich eines der beiden großen Sport-Webportale unter dem Titel "Taktik-Tüftler: Pacults Sieg-Strategie" unter anderem auch des Hofmann-Lochs angenommen hat; um den Last-Minute-Erfolg gegen Salzburg aufzuarbeiten.

Und auf der zehnseitigen Analyse von Chart 4 ist folgende Grafik zu sehen:

Sportnet.at zeichnet die aktuelle Rapid-Taktik mit dem in die Mitte ziehenden Hofmann auf.

Sportnet

Die Rapid-Aufstellung mit dem Hofmann-Loch auf Sportnet.at

Dass Heikkinen eben nicht hinten rechts absichert oder dass Saurer sehr wohl ein echter linker Außenspieler ist, sehen wir hier nicht, aber immerhin findet sich bei Hofmann ein deutlicher Pfeil in die Mitte.

Ist das Hofmann-Loch also endlich im journalistischen Mainstream angekommen? Natürlich nicht.
Denn wirklich erklärt wird hier weiter nix. Dass etwa Jelavic öfter rechts Flankengeber war als Hofmann, das kommt nicht vor. In Österreich begnügt man sich mit der Messung von Ballkontakten und angekommenen Passes, nicht mit Raumaufteilung, einer Analyse der Laufwege oder der Pass-Effizienz, wie das international (wo man wie immer zwei Schritte weiter ist) üblich ist.

Dass das auf Chart 4 angesprochene Verschieben der Verteidigung, wenn sich der Rechtsverteidiger (aktuell wird U21-Teamspieler Tanju Kayhan auf dieser Doppel-Position verbrannt) nach vorne orientieren muss, nicht klappt, wenn Fix und Foxi die Innenverteidigung bilden, und dass man da erst auf ein Duo Sonnleitner-Soma warten muss, ist auch kein Thema.

Klar, man kann argumentieren, dass so eine Grafik, so eine Skizze in Österreich bis vor kurzem undenkbar war (die Live-Ticker bei laola1 bilden da eine Ausnahme - und allzu oft sind sie auch nicht richtig) und dass das allein schon ein enormer Fortschritt ist.

Solange der Medien-Mainstream aber weiter nur oberflächlich drüberfährt und sich einer echten Analyse verschließt, nützen diese Aufstellungs-Charts aber gar nichts.
Und das Wissen um das Hofmann-Loch wird weiter Herrschaftswissen bleiben, das sich eine Szene nur gegenseitig erzählt ohne ihrer Informations-Pflicht dem Leser/Seher/User gegenüber nachzukommen.

Vierlmehr steht etwas wie eine Verdummungs-Pflicht, ein Verblödungs-Zwang, wie ihn einige Vertreter kommerziell orientierter Medien tatsächlich als Anspruch vor sich hertragen, höchst praktisch im Raum.