Erstellt am: 19. 8. 2010 - 16:11 Uhr
Digital Bee-dermeier
Birds do it, die Bienen aber schon nicht mehr, denn die sind ausgestorben in der nahen Zukunft, die Douglas Coupland in "Generation A" entwirft. Umso größer verständlicherweise der Bahö, als eines Tages Zack, während er nackt durch ein Maisfeld in Iowa fährt, von einer Biene gestochen wird. Und bald darauf Sam in Palmerston, North, Neuseeland, Julien in Paris, Diana in Ontario und Harj in Trincomalee, Sri Lanka.
Coupland ist nicht nur Autor und bildender Künstler, er hat auch eine Modekolletion entworfen. Außerdem hat er für den Guardian diesen empfehlenswerten Artikel verfasst: Papal Attraction: Coupland trifft Morrissey
Dass ein Autor mal das Bienensterben thematisch aufgreifen würde, darauf hab ich ja gewartet. Nur mit Douglas Coupland hab ich nicht gerechnet. Er entwirft eine nahe Zukunft, in der Obst, selbst winzige, schrumpelige Äpfel zu Luxusartikel geworden sind und Heroin der Vergangenheit angehört, denn it required poppy seeds. Was also verbindet Sam, Julien, Harj, Diana und Zack, dass sie gleichsam zeitgleich von dem ausgestorben geglaubten Insekt gestochen werden?
Erzählt wird die Geschichte von den Gestochenen selbst; die Fünf sind die sich abwechselnden Erzähler des Romans. Und weil Coupland sich mit detaillierten Figurenschilderungen ohnehin nie aufhält, weil die Figuren stets durch ihre Interaktion mit der Welt, die Auswahl ihres Essens und ihres Betriebssystem geschildert werden, ist man Zack ganz dankbar dafür, dass er uns eine Blitzschilderung der vier anderen Bienenstichler gibt:
“Sam was a fox, Julien looked like a snotty arcade rat, Diana looked like a dental hygienist and Harj looked like a mild-mannered 9/11 hijacker with a heart of gold.”
A brand is a friend
Für die fünf Wonka children folgt Quarantäne. Man will rausfinden, was sie gemeinsam haben. In isolation units gibt's seltsames Essen und keine weiteren Auskünfte. Blut wird ihnen literweise abgenommen, während sie sich in einer Welt befinden, die die Antithese zu Couplands literarischem Universum ist: Kein TV, keine Musik, kein Internet, keine Bücher. Noch nichtmal Markennamen finden sich auf den Möbeln in ihren Quarantänezellen. Ein Raum reingewaschen von Pop- und Konsumkultur. Ein Entzug für die Sinne, weil, das muss man erst mal aushalten können, so lange alleine mit den eigenen Gedanken.
David Weir
Betitelte Douglas Coupland 1991 nicht nur seinen Roman, sondern gleich eine ganze Generation mit "Generation X", so borgt er sich hier den Titel aus; nicht bei irgendwem, sondern bei Kurt Vonnegut. Genauer: Kurt Vonneguts Rede im Jahr 1984 vor den Studenten der Syracuse Universität, in der Vonnegut wiederum den Begriff "Generation X" verwendet. Referenzperpetuum mobile. "Now you young twerps want a new name for your generation? Probably not, you just want jobs, right? Well, the media do us all such tremendous favors when they call you Generation X, right? Two clicks from the very end of the alphabet. I hereby declare you Generation A, as much at the beginning of a series of astonishing triumphs and failures as Adam and Eve were so long ago."
Buy! Click! Watch!
"Generation A" ist weder Fortsetzung noch Prequel, es ist ein ironisiertes Diagnose-Update der Zustände, eine weitere Skizze des freundlichen Monsters namens Popkultur, das uns alle beständig auffrisst, wiederkäut, ausspuckt und eine Melange aus Bewunderung und Verachtung der Technologie und den Medien gegenüber. So weit, so Coupland, der seit Anfang der 90er Jahre seine Figuren zwischen Konsumkultur und dem Sehnen nach etwas nicht greifbarem Anderen zerreibt. Einsamkeit diagnostiziert Coupland stets, sie schleicht sich fast zwangsläufig ein, egal wieviel von der bunten Spaß- & Shoppingwelt wir in uns hineinstopfen. Und natürlich gaukelt uns der alte Onkel Internet auch Vernetzung und Interaktion nur vor. Was bei anderen Autoren leicht ein jaulendes Lamento auf bessere, alte Zeiten (Bei Coupland heißt es schon in "Generation X": Nostalgia is a weapon) sein könnte oder ein Kreieren eines eierlegenden Wollmilchsau-Sündenbocks, der für alle Wehwechen der Gegenwart verantwortlich ist, ist bei Coupland eine Bestandsaufnahme ohne erhobenen Zeigefinger oder Wertung. Coupland konnte und kann die Welt der Fast Food Meals, Shopping Malls und Internetzeitfress-Aktivitäten ja auch nur deswegen so am Punkt erfassen, weil er selbst bis zum Hals drinsteckt und sich stets mit Faszination annähert und gleichzeitig weiß, dass das jetzt aber doch nicht alles gewesen sein kann. Und während der Sinnsuche guckt man sich eben nochmal Videos von putzigen Nagetieren auf Youtube an und twittert den Link, genau das macht nämlich Coupland auch.
Tropen Verlag
Enoble your life with stories
Die Rettung aus der Misere, der kruden Melange aus Isolation, Medienzudröhnung und das lästige Wissen um die eigene Sterblichkeit ist bei Coupland stets eines: die Narration. "When you hear a story, when you read a story, it somehow enobles our life. (...) We were born, and then all this things happen to you, and then you die (...) in order so we don't go crazy, we imagine our lifes have to be stories", so Coupland hier im Interview.
Und so bringt Coupland in der zweiten Hälfte von "Generation A" seine Figuren auf einer kanadischen Insel zusammen und lässt sie einander Geschichten erzählen. An der Stelle fällt der Roman leider in zwei Hälften und schließlich in sich zusammen. Eco-Thriller und Science Fiction nehmen überhand, die Pharmaindustrie spuckt noch in die Showdownsuppe und während man das Gefühl hat, das wäre eventuell eine recht suprige "Futurama"-Episode (da gibt's jetzt übrigens eine sechste Staffel!) gewesen, lässt einen der Roman unbefriedigt zurück.
Wo "Generation A" zu Beginn sich auf die Stärken von Couplands Sprache und Beobachtungen verlassen kann und die nahe Zukunft nur anhand von Randbemerkungen zu erahnen ist, so, als würde man eben durch ein Schlüsselloch lugen und kein komplettes Bild geliefert bekommen, wird der Schluss zu groß, zu masterplanig. Coupland ist ein guter Beobachter, Chronist und Prophet einer von Pop und Konsum vollgesogenen Welt und vor allem entwirft er treffende und entlarvende Skizzen von den Leerstellen im Leben, vom Aufblitzen von Sehnsüchten nach Spiritualität. Was ihm bei "Generation A" nur mäßig gelingt, ist der Entwurf des großen Bogens. In den Geschichten, die sich Zack, Sam, Diane, Harj und Julien erzählen, finden sich natürlich Gemeinsamkeiten, die etwas zu bedeuten haben, aber der zweite eingezogene Erzählboden entwickelt keinen Sog, wirkt beständig nur wie eine lästige Unterbrechung.
Unbefriedigend ist auch, dass für einen als Leser Couplands Idee von der Erzählung als möglicher Rettungsreifen (oder zumindest Gegengift) für die Welt nicht aufgeht; die Geschichte, die "Generation A" erzählt, und die Geschichten, die in "Generation A" erzählt werden, sind nicht kräftig, nicht einwickelnd, nicht schlüssig genug, um dem hohen Anspruch, den ihr Schöpfer an sie stellt, gerecht zu werden: "One of the few defenses we have against the constant bombardment of the senses in a digital world." Um in Couplands Metapher zu bleiben: Gegen dieses Bombardement ist "Generation A" höchstens Schutz in der Größe eines Cocktail-Schirmchens.