Erstellt am: 2. 8. 2010 - 18:05 Uhr
Fußball-Journal '10-34.
Die WM ist vorbei, die U19-EM auch, jetzt ist Alltag, also Fußball-Journal 10.
Weil dieses Fußball-Journal auch Leute lesen, die sich in politischer Begrifflichkeit nicht gar so auskennen: das ist ein nützlicher Idiot.
Louis Van Gaal, dem Trainer von Bayern München ist unlängst der Kragen geplatzt. Weil sein Team, das wegen TV-Übertragung und Startgeld für ein überflüssiges Pimperl-Turnier gemeldet war, zu wenige Spieler (die WM-Teilnehmer haben noch frei) am Start hatte. Ein Skandal, schrie der Coach, und beschwerte sich bei dieser Gelegenheit auch gleich über den Länderspiel-Termin am 11. August.
Was er nicht erwähnte: um für den Test 16 Spieler zusammenzukriegen, zog er gleich sechs Akteure der Bayern-Amateure ab.
Gag am Rande: unter den sechs Bayern-Bubis war auch Deniz Mujic, U20-Teamspieler, ein wilder Stürmer, ein Rohdiamant, den Hermann Gerland, der Mann mit der goldenen Pranke für Nachwuchs-Herausbildung vom 1.Liga-Absteiger FC Dornbirn geholt hatte. Und zwar recht spät. Denn die gesamte österreichische Szene, Coaches wie Sportdirektoren waren schlicht zu deppert dafür. Auch so ein Fingerzeig zum Thema heimischer Ausbildungs-Politik.
Nur: die hatten zeitgleich zu tun, und zwar nicht bei einem Pimperl-Match, sondern bei einem Meisterschafts-Spiel in der 3. Liga. Weil sich dann dort zwei Akteure verletzten, musste der Ersatztormann als Feldspieler auflaufen. Auch darüber regte sich Van Gaal auf - obwohl daran ausschließlich er und sein Ego, seine Eitelkeit schuld waren.
Weil diese kleine Nebenbei-Posse in Deutschland passiert, kommt Van Gaal mit seinem Schmäh nicht durch.
Seine Tirade wird medial vermerkt - seine eigene Schuldhaftigkeit aber auch.
In Österreich gehen die Uhren anders:
Ich steige mit dieser kleinen Geschichte ein, weil dieses zentrale Korrektiv hierzulande, in Abwesenheit einer Sport/Fußball-Presse, die diesen Namen auch verdienen würde, fehlt.
Hierzulande funktioniert nur Teil 1: Trainer X liefert Stoff - und die Medien plustern das auf und bilden es dankbar ab. Nach/hinterfragen? Fehlanzeige.
Das ist aktuell am Beispiel von Frenk Schinkels festzumachen.
Schinkels, Holländer mit österreichischen Team-Einsätzen, NÖ-Wohnsitz und aktuell Trainer der Vienna, lief am Freitag nach einem Tor der gegnerischen Mannschaft von seiner Bank aus aufs Spielfeld um den Schiedsrichter anzumachen.
Ein Platzsturm, eine Hooligan-Aktion.
Nachdem er auf die Tribüne verwiesen wurde, konnte er sich in den Interviews nach dem Spiel auch nicht beherrschen und nannte den Schiri (der im Vorfeld des Tores etwas übersehen/falsch gepfiffen haben soll) eine Rotzpipn.
Die Bundesliga trägt selber auch einen teil zum Runterspielen des Vorfalls bei: die Strafe, die Schinkels ausfaßt, ist geradezu lächerlich.
Schinkels ist damit der Held der Stammtische - und auch der der Sport/Fußball-Medien, die in Österreich gar nicht den Anspruch haben über reines Stammtisch-Niveau hinauszukommen.
Der Held der Stammtische
Schinkels Rechtfertigung in den Tagen danach liest sich wie ein falsch verstandener Traum aus Inception: es wäre doch seine "Rolle", seine "Aufgabe" als Coach für "Show" zu sorgen, "man", also die Öffentlichkeit würde das doch von ihm einfordern. Er verstünde die Empörung nicht, wenn er diese Rolle dann erfüllt.
Schinkels war Coach bei unterklassigen Vereinen und (wegen seiner lustigen Sprüche) TV-"Experte", als er deswegen (wegen der lustigen Sprüche) von Frank Stronach für die Austria Wien engagierte (the blind leading the naked).
Schinkels zweite Trainerstation von Relevanz war dann in Kärnten, beim Retortenclub Austria, noch zu Zeiten des Jörg Haider.
Es ist also kein Wunder, dass Schinkels so ist, wie er ist. Schinkels ist ein Produkt seiner Erfahrungen, also des Wahnsinns der Marke Stronach und des Chuzpe der Marke Kärnten.
Und weil die heimischen Medien jede seiner Kasperliaden zu jeder Zeit nur begleitet, aufgeblasen und benutzt, ihn aber nie darüberhinaus analysiert haben, glaubt der kleine Holländer den Unsinn den er von sich gibt, mittlerweile selber (das funktioniert ganz simpel, so wie Von Schirach das schön erklärt).
Das fleischgewordene Dilemma
Und kann etwas von der doch prächtig erfüllten medialen Erwartungshaltung daherfaseln, ohne dafür medial abgewatscht zu werden - wie das etwa in Deutschland sofort und zurecht passiert wäre.
Frenk Schinkels ist also das fleischgewordene Dilemma des österreichischen Fußballs.
Weil in einer kleinen Inzucht-Szene keiner dem anderen wehtun will und weil vor allem niemand einen "Lustigen" verlieren mag, wird sein Hooligan-Akt zu einer witzigen Posse heruntergespielt.
Das auch deshalb, weil es die Fußball-Medien sind, die derlei erst möglich machen.
Die nörgelnde Draußensteher-Position, in deren Faulbett sich die meisten Medien während der WM zurechtgekuschelt haben, hat die latente, vom Substanziellen ablenkende und rein populistische "Der Schiedsrichter ist an allem schuld!"-Sündebock-Stimmung aufgebaut. In den ersten Runden der Meisterschaft hat sich das verfestigt: Da hat sich eine Koalition aus Coaches/Club-Verantwortlichen sowie Medien und ihren Experten auf dieses Schiri-Bashing festgelegt. Wurscht was passiert ist - es gibt einen Schuldigen, auf den man sich einigen kann.
Der Referee ist quasi der Asylant des Fußball-Bereichs.
Der Referee als Sündenbock, als Quasi-"Asylant".
Unlängst habe ich ein Mail aus Brasilien bekommen, das meine Kritik an den österreichischen, international unvermittelbaren Coaches zwar tendenziell unterstützt, aber im Detail widersprechen muss. Demnächst mehr dazu.
Dabei sind Österreichs Schiedsrichter (neben ein paar Spielern) der einzige Export-Artikel. Die Coaches/Sportdirektoren und die Experten sind international unverkäuflich und unvermittelbar.
Ein Trainer, der übers Feld läuft und den Schiedsrichter anpflaumt, fliegt in Deutschland sofort hochkant aus der Liga.
Hierzulande ist alles genau andersrum.
Die Coaches, die sich mit Themen wie der permanenten Verbesserung von Spielern, Niveau und Trainingslehre beschäftigen, werden angegafft wie der Yeti.
In diesem Zusammenhang Pflichtlektüre: der aktuelle Ballesterer zum Thema.
Entsetzlichen Anschauungs-Unterricht gab es diesbezüglich in einer Diskussionssendung vor einer Woche auf Sky, als Alfred Tatar, einer von vielleicht drei Experten, die diese Bezeichung in Österreich auch verdienen, auf eine Entwicklung hinweisen wollte, die ihm bei Austria Wien aufgefallen war.
Weil er sich dabei nicht mit Platitüden begnügt wie Peter Schöttel zeigte Tatar eine Szene vor einem Gegentor; mit der Anmerkung, es wäre manchmal besser, wenn "das richtige zum Falschen" führe.
Der unverstandene Tatar
In der Szene versuchte ein durch eine Überzahl an Gegenspielern unter Druck gesetzter Julian Baumgartlinger den Ball nicht unkontrolliert wegzudreschen, sondern die Situation spielerisch zu lösen. Das misslang, der Ball gelangte irgendwie zu Aufhauser, der dann den Anschlusstreffer schoss.
Tatars Aussage dazu: Auch wenn daraus ein Tor entstanden ist - im Ansatz ist das richtig. Und: Nur wer den Ehrgeiz hat, sich spielerisch zu befreien, wird besser werden können. Aktuell sei die Austria da schon das deutlich beste Team der Liga.
Sowas anhand einer Art paradoxen Intervention zu beschreiben, ist schon sehr clever von Tatar (einem der wenigen Österreicher, die auch im Ausland Coaching-Erfahrungen gemacht haben).
Nur: Seine Mitdiskutanten setzten dem die österreichische Realität entgegen, ein Realität auf Steinzeit-Niveau. Der Moderator, zugegebenermaßen der intellektuell schwachbrüstigste des Abo-TV, verstand Tatars Ansatz auch bei der zweiten Erklärung immer noch nicht. Und ihm, sagte "Experte" Peter Stöger, wäre allemal lieber gewesen, der Spieler hätte den Ball weggedroschen.
Wer braucht sowas wie eine Verbesserung?
Mir nicht, setzte Tatar nach, weil er nämlich an der Verbesserung der Spieler und des Spiels und damit des österreichischen Fußballs interessiert sei. Und nicht an kurzfristigen billigen Pointen, die ihm an den Stammtischen Beifall bringen - das sagte er nicht mehr, aber so handelt Tatar.
Die anderen lächelten und beschlossen zum nächsten Punkt überzugehen. So etwas Absurdes wie "die Verbesserung von Spielern, Spiel und heimischem Fußball" hatten sie lange nicht mehr gehört.
In dieser medialen Welt sind die Schinkeliaden die Normalität, während das Tatarismus das Fremde darstellt. Und so werden die beiden auch behandelt: der eine als Held, der andere als "strange".
PS: Strukturell steht diese Debatte etwa so schief da wie die zum Thema Einwanderungsland Österreich. Auch da wird ein Konstrukt, eine Fiktion, ein Schmäh als "echt" abgefeiert, während die, die die Fakten zusammenzählen bestenfalls als "seltsam" gelten.