Erstellt am: 31. 7. 2010 - 19:00 Uhr
Toy Stories
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Ja, aber wo soll man denn ansetzen? Der Fluch der Originalität, der jagt mich schon wieder ebenso wie das Kino der Gegenwart, das meint eine nie gesehene schlechte Idee sei wünschenswerter, als eine großartige häufig Gesehene. Ein dramatischer Irrtum: um einen solchen zu vermeiden, werde ich heute einfach über das schreiben, was ein anderer schon vor mir getan hat. Letztes Wochenende ist in der Presse am Sonntag, oder PamS, wie sie humorfixierte Zeitgenossen nennen, ein sehr lesenswerter Artikel meines sehr liebenswerten Kollegen Christoph Huber erschienen, in dem er, ausgehend vom nahenden Kinostart von Toy Story 3, die Darstellung von Spielzeugen, guten wie bösen, im Kino durchdenkt. Ein Thema, das auch mir sehr am Herzen liegt, vor allem, da sich "Demonic Toys" wie ein roter Faden durch das Horrorkino ziehen. Zuerst aber ein paar Worte zum Anlassfilm.
Träume
Warner Bros
Was habe ich nicht schon wieder alles über Lee Unkrichs "Toy Story 3" gelesen (und diesbezüglich teile ich nicht die Meinung von Kollegen Huber): es sei nur ein neuerlicher Aufguss derselben Formel, ein Malen nach Zahlen, ein Durchs-Bild-Ziehen der bekannten Figuren. Stimmt alles. Und? Bedeutet das, das der Film mich nicht mehr so unterhalten kann wie vor zehn Jahren? Oder ist es nicht eher der unsere Zeit prägende Originalitätszwang, der einem einredet, dass alles Gute neu und alles Neue gut sein muss? Ich musste schon ein wenig in mich hineinkichern, denn dieser Freitag, der war für mich der spannendste Kinotag des Jahres – zumindest auf österreichischem Boden. Auf der einen Seite findet sich Christopher Nolans solider, aber schon vor Start wüst überschätzter Science-Fiction-Thriller Inception: ein Film, so damit bemüht originell und innovativ zu sein, dass er zumindest für mich - und ich glaube, auch für einige andere - nach der ersten Stunde zur Mühsal wurde.
Plastic Planet
Auf der anderen Seite eben "Toy Story 3": wenn man so will, klassisches "Lass mich dir eine Geschichte erzählen"-Fortsetzungskino mit allen Qualitäten, die man sich nur wünschen kann. Hervorragend geschriebene Charaktere, denen die Pointen nur so aus dem Plastikmund plumpsen, eine Story, die gleichzeitig intelligent und uneingeschränkt emotional daher kommt und ein inszenatorisches Gespür für Action-Choreografien, das ich nicht zuletzt bei Nolan’s "Inception" schmerzlich vermisst habe. Geht es nur mir so, oder denken bei der "Toy Story"-Reihe (und überhaupt bei den meisten Pixar-Produktionen) auch andere an die großen humanistischen Komödien des klassischen Hollywood? Die ewig wahren, gesellschaftspolitisch bissfesten und gleichzeitig unverschämt unterhaltsamen Komödien etwa von Preston Sturges oder Ernst Lubitsch?
Disney
Die Geschichte jedenfalls, die ist klassisches Märchenmaterial. Andy, der Vorstadt-Junge aus den früheren Filmen, ist mittlerweile 17 Jahre alt und bereitet sich auf seine College-Jahre vor. Wie alle Jugendlichen in diesem Alter fehlinterpretiert er seine innige Beziehung zu den vermeintlich leblosen Plastikpuppen, Dinosauriern und Sparschweinen als nicht altersgemäß und plant, seine Spielsachen auf dem Dachboden zwischenzulagern, bis seine eigenen Kinder daran Interesse finden. Durch eine Verwechslung (auch das ein altes Motiv der amerikanischen Komödie), landen Cowboy Woody, Buzz Lightyear und seine skurrilen Freunde dann allerdings im Kindergarten Sunnydale: der rosarote, nach Erdbeeren duftende Kuschelbär Lotso verspricht ein ballastfreies Dasein ohne Spielzeugbesitzer mit nie enden wollendem Nachschub an Bälgern, die sich einem annehmen. Aber das Plüschtier leidet selbst an einem gebrochenen Herzen, ist ein klassisch-tragischer Bösewicht: selbst wurde er ausgesetzt, nun setzt er in Sunnydale seine Fröhlichkeits-Diktatur mit eiserner Faust um. Wer nicht spurt, der landet im Gefängnis.
Disney
In den USA liefen Eltern sogleich Sturm gegen die der Geschichte immanente Gesellschaftskritik: dass hier Kindern gelehrt wird, dass unter der glänzenden Oberfläche der amerikanischen Produktwunderwelt Psychoten die Fäden ziehen, dass in "Toy Story 3" erwachsene Themen wie die Angst vor Vernachlässigung und Einsamkeit verhandelt werden, das war zu viel für einige Erziehungsberechtigte.
Chuckling Chucky
MGM
Die Leblosigkeit von Spielzeugen und ihre gleichzeitige Menschlichkeit haben viele Autoren und Regisseure zum Ausgangspunkt genommen, um über verdrängte Gefühlsschichten und Ängste zu sprechen. Die nach wie vor populärste Darstellung eines "evil toys" ist wohl Chucky, die Mörderpuppe: Regisseur Tom Holland (Drehbuch von Don Mancini) setzt die abstruse wiewohl poetische Idee einer Serienmörderseele, die sich mittels Voodoo-Ritual verselbständigt und sich im lupenreinen, unschuldigen Körper einer Plastikpuppe der Marke "Child’s Play" (so der Originaltitel des Films) einnistet, als Hochspannungsthriller um, der insgesamt vier Fortsetzungen nach sich zieht.
MGM
Die Beste davon ist Bride of Chucky von Ronny Yu, in dem der Gift und Galle spuckende Chucky eine ebenso verrohte Mitspielerin (gespielt und gesprochen von der großartigen Jennifer Tilly) zur Seite gestellt bekommt. Die Horrorkomödie benennt sich nicht zufällig nach James Whales unantastbarem "Bride of Frankenstein": das aus Leichenteilen zusammengesetzte Monster ist im Grunde nichts anderes als eine Puppe, Zeugnis für das manische Bemühen des Menschen, sich selbst nachzuformen. In den "Child’s Play"-Filmen ist von Anmut und Traurigkeit der Frankenstein-Monstren nicht mehr viel übrig geblieben: die Mörderpuppen wirken als amoralischer Gegenpol zu den sauberen Oberflächen in denen sie wüten, nutzen es aus, dass sie die Menschen alle als harmlos einstufen. Die perfekte Maskerade für einen Psychopathen also.
Child's Play
Jahr: 1988
Regie: Tom Holland
Darsteller: Catharine Hicks, Chris Sarandon, Alex Vincent, Brad Dourif
Fassung: In den USA ist vor wenigen Monaten die erste Blu-ray von "Child's Play" erschienen. Die Special Features sind dieselben wie auf der DVD-Edition, die 2008 anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Horrorklassikers erschienen ist. Hinweis: die Fortsetzungen sind ebenfalls in den USA in einer "Killer-Collection" auf DVD erschienen. Zu haben ist die schon für ungefähr 10 Euro!
Hollywood, ein Puppenhaus
MGM
MGM
kinowelt
koch media
mgm
Eine vergleichbare Variation des Themas inszeniert Stuart Gordon mit Dolls: der Regisseur, der es wie kaum ein anderer versteht, mit schauerlichen Geschichten die Schauerlichkeit der eigenen Lebenswelt zu beweisen, erzählt von einer herrlich unsympathischen Neureichenfamilie, die mit ihrer Luxuskarre irgendwo im Nirgendwo, gleichsam allerdings in der Vorstellungswelt ihrer kleinen Tochter, hängen bleiben. Die fantasiert sich in ihrem Angstzustand gleich zu Beginn herbei, wie ihre Eltern von einem mannsgroßen Teddybären (mit Reißzähnen!) aufgefressen werden: später begegnen sie in einem alten Spukhaus zwei pensionierten Spielzeugherstellern, die für ihre bezaubernden Puppen einfach Menschen verkleinern.
Koch Media
Im Besonderen in den Achtziger-Jahren, als sich Hollywood nach dem durchschlagenden Erfolg der "Movie Brats" George Lucas und Steven Spielberg zu einer neuen Kindlichkeit - selbst in erwachsenen Produktionen - hinreißen lassen hat, turnte irgendwann mal ein besessenes Spielzeug durch so gut wie jeden fantastischen Film. Am bekanntesten ist wohl der diabolische Harlekin aus Tobe Hoopers Poltergeist, in Roland Emmerichs Spielberg-Emulation Joey sorgt eine Bauchrednerpuppe für Angst und Schrecken. Eine solche verstört auch Anthony Hopkins in Richard Attenboroughs sehenswertem Psychothriller Magic.
Dolls
Jahr: 1987
Regie: Stuart Gordon
Darsteller: Ian Patrick Wilson, Carolyn Purdy-Gordon, Carrie Lorraine
Fassung: "Dolls" ist bisher nur in den USA auf DVD ohne Extras erschienen.
Poltergeist
Jahr: 1982
Regie: Tobe Hooper
Darsteller: Craig T. Nelson, JoBeth Williams, Dominique Dunne, Heather O'Rourke
Fassung: "Poltergeist" liegt in mehreren Fassung in guter Qualität vor. Unlängst ist eine Blu-ray des Films erschienen.
Joey
Jahr: 1985
Regie: Roland Emmerich
Darsteller: Joshua Morell, Eva Kryll, Jan Zierold
Fassung: In Deutschland ist der Film auf DVD erschienen. Die Qualität ist gut, außerdem ist die englisch-sprachige, andere Schnittfassung enthalten.
Magic
Jahr: 1978
Regie: Richard Attenborough
Darsteller: Anthony Hopkins, Burgess Meredith, Ann-Margret
Fassung: Koch Media hat den großartigen Thriller in Deutschland auf DVD herausgegeben.
Verschollene Landstreicher
Domenico Modugno
Allerdings sind nicht immer die besten Filme zum Thema die augenscheinlichsten. Der wenig bekannte italienische Regisseur Hugo Fregonese dreht 1956 ein magisches Melodram über einen umherziehenden Marionettenspieler und seine Frau, deren einfaches Geschäft zuerst von einem Mädchen durcheinander gewirbelt wird, der sie eine Heimstatt geben, das schließlich von einem Magier herausgefordert wird, der der Puppenbühne mit seinen Tricks die Schau und die Zuschauer stiehlt. Peter Ustinov spielt den "puppeteer" darin mit manischem Gehabe: unbändig ist sein Wunsch, den handbewegten Marionetten mehr Attraktivität zu verleihen, damit sie dem Tohuwabohu von Nebenan etwas entgegenzusetzen haben. Sein Furor bringt sein kleines Familienunternehmen zum Zusammenbrechen, die Seele wird zum Trümmerhaufen, die Puppen verbrennen in der finalen Feuersbrunst.
Fregonese, ein großer Stilist des italienischen Kinos, nennt seinen Film I girovaghi, "Die Landstreicher" (Film nicht auf DVD erhältlich) und irgendwie schimmert in dem dunklen Märchen auch die Geschichte von "Pinocchio" durch, der Puppe, die unbedingt Mensch werden will. Gerade bereitet Über-Geek Guillermo del Toro mehrere Projekte vor: zum einen will er Frankenstein neu verfilmen, zum anderen Pinocchio wieder erzählen. Erneut verschränken sich die Welten des Horrorkinos mit dem Spielzeug. Übrigens: auch "Child’s Play" wird neu verfilmt. Geplanter Kinostart ist 2011.