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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 7. 2010 - 20:26

Das Stadion-Faszinosum.

Wie man in eine Leichtathletik-EM reinkippen kann. Und wie lähmend fad nationaler Stolz ist.

Neinneinnein, ich bin echt kein Experte.
Echt nicht.

Wäre ich einer, dann wüsste ich alles über die Junioren-WM, die die gesamte letzte Woche über in Kanada stattgefunden hat. Und ich würde dieser Tage die Afrika-Meisterschaften in Nairobi verfolgen, die vor allem in den Laufbewerben, echte Weltklasse repräsentieren.
Und nicht das total Offensichtliche, den europäischen Mainstream, die Europa-Meisterschaften der Leichtathleten in Barcelona.

Ich bin kein Experte, sondern nur jemand, der sich ein wenig interessiert; und sich - seit ziemlich jeher - von Track & Fields, von diesem geschäftigen Treiben von Läufern, Springern und Werfern, angezogen fühlt.
Also jemand, der sich um die blaue Laufbahn und den auf ihr fliegenden Usain Bolt zu sehen, in Bewegung setzt und geschichtsträchtigen Berliner Boden betritt.

Und sich, wenn wieder eine blaue Rennbahn in einem Stadion etwas weiter weg (in Barcelona, auch einem historisch allerdings durchaus positiv belasteten Stadion) Austragungsort ist, zumindest via Fernübertragung dazugesellt.

Theater der Träume - das Stadion und die Dramaturgie

Kein Experte also, sondern ein Fan. Im vollen Bewusstsein der Lächerlichkeit des Ganzen.
Denn natürlich sind die Läufer, Springer und Werfer genauso aufgepumpt wie Vertreter von Sportarten, die ich verachte (wie die Rad-Profis); und natürlich wird in der Leichtathletik genauso widerliche Politik gemacht wie in jedem anderen globalen Geschäft.

Klar, es ist ein Spiel, und oft auch abgekartet.
Aber die Dramaturgie einer großen Leichtathletik-Veranstaltung, die hat seit jeher das beste Theater ausgestochen - Einheit von Zeit und Ort, das Prinzip der Gleichzeitigkeit, Handlungsebenen im Vorder- und Hintergrund, Haupt- und Nebendarsteller, Rüpelszenen und Tränenrührer - ein guter LA-Abend hat alles und mehr.

Dazu geht man entweder in das Stadion seiner Wahl, am besten eines, das einen internationalen Wettkampf zu bieten hat (in Österreich passiert das einmal im Jahr in Linz; und einmal im Jahr gibt es in Götzis, Vorarlberg, den weltgrößten Gipfel der Zehnkämpfer und Siebenkämpferinnen). Und weil das nicht immer so leicht und manchmal recht weit weg ist, nimmt man auch die Live-Übertragung im Sport-Kanal seines Vertrauens in Kauf.

G'spür für das Momentum

Leichtathletik funktioniert vorort prachtvoll, auch weil man fokussieren kann, sein Interesse dem Bewerb seiner Wahl flattrmäßig zukommen lassen kann.

Leichtathletik funktioniert auch im TV gut, vorausgesetzt, die Gesamtregie hat das Konzept des Stadion-Faszinosums kapiert und unterwirft sich der Dynamik der Dramaturgie.

Wie bei jedem Live-Event sind bestimmte Eckpunkte vorhersehbar; und natürlich sind bestimmte Finalläufe sehr bewusst an den Schluss (also knapp nach 21 Uhr, man ist ein Familien-Unterhaltungs-Ding) gesetzt - welcher Akteur aber wirklich Dominanz, Tragik oder Spaß verströmen wird, lässt sich von vornherein nicht so recht festlegen.

Und deshalb braucht es neben einer Menge Vorbereitung und Tonnen von nutzlosem Wissen über Teilnehmer, Bewerbe, Geschichte und Rundherum auch G'spür für die Situation, fürs Momentum.

Das Stadion, der sogenannten Weltregie gelingt das auch, so gut wie immer. Denn da sitzen die Steuerleute, die sich nach den zeitlosen Kriterien der Dramaturgie richten.

Nationale Verkacker

Wer's immer wieder verpatzt und verkackt, das sind die, die ihren Fokus national legen.

Einzig Andreas Vojta hat sein Finale (1500 Meter) erreicht; und Ryan Moseley das seine wirklich knappest verpaßt - letztlich wurde er 9. über die 100 Meter.

Im Fall der LA-EM ist das kein österreichischer Broadcaster (dazu ist die Teilnehmerzahl zu gering; 16 - das klingt zwar gut, geht in der Fülle von Bewerben allerdings unter - vor allem, wenn bis auf einen oder zwei alle in den Vorläufen scheitern), sondern der des deutschen Nachbarn.

ARD/ZDF übertragen flächendeckend - schließlich gehören sie zu den Big Four (mit Russland, dem UK und diesmal wieder einmal Frankreich).
Und Eurosport gibt sich zwar als transnationaler Kanal - die englischsprachige Abteilung aber versteht sich als britisches Outlet. Die deutsche Eurosport-Abteilung kann ich nicht hören, die hohlen Stimmen der nach der Wende vom ehemaligen DDR-Fernsehen übernommenen Propaganda-Singsänger alter SED-Schule bereiten mir sofortige Übelkeit; ihr Niveau hat sich seit der völlig unkritischen Bejubelung staatsamateurischer Ost-Erfolge auch nicht gesteigert.

Eine kleine Geschichte noch zum oft so gern konstruierten Niveau-Unterschied zwischen den deutschen Sendern und dem ORF-Sport: in einem Laufbewerb entdeckte der deutsche Kommentator einen stark oberschenkel-bandagierten Franzosen und teilte sein Erstaunen darüber den Zuschauern gleich mit.
Der Franzose hatte die Bandagen allerdings auch im Vorlauf am Tag zuvor. Da ging er sein Rennen langsam an, konnte sich aber im Finish noch nach vor kämpfen und für die nächste Runde qualifizieren. Als es dies im Zwischenlauf wieder tat, und entsprechend hinten war, wurde er vom Kommentator gleich für chancenlos erklärt; kam dann aber wieder auf und war wieder unter den Qualifizierten. Deutlicher als durch die belegte Tatsache, dass man es nicht der Mühe wert fand die Vorläufe zum zu kommentierenden Rennen nicht verfolgt zu haben, kann man seine Inkompetenz gar nicht beweisen.
Und die Ausrede, dass tags zuvor der andere Sender übertragen hat, ist müßig.

Bloß: der aktuelle Nationalismus der neuen Generation ist, egal ob britisch oder deutsch, nicht weniger anstrengend, nicht weniger unkritisch und nicht weniger daneben, was die Dramaturgie betrifft.

Inside-Jokes und Extra-Kameras

Die mit ihren trockenen Kommentaren immerhin nicht unsympathischen britischen Eurosport-Schwätzer labern ihre Weltregie-Bilder gerne mit Überflüssigkeiten und Inside-Jokes zu. Ich muss echt nicht wissen, mit wem der 110-Meter-Hürden-Champion Andy Turner in die Schule gegangen ist.

Schlimmer trifft es einen bei den Deutschen: die haben nämlich nicht nur diesen Lokalpatriotismus-Komplex, der jeden Athleten einem bestimmten Landkreis (der dann mit bestimmten Klischees verquickt wird) zuordnen muss, sondern halten ihre Extra-Kameras auch mit einer Beharrlichkeit auf die (omnipräsenten) deutschen Teilnehmer, als wäre der Rest des Teilnehmer-Feldes gar nicht da. Wenn ein Deutscher in einem Lauf uninteressanter siebenter geworden ist, dann hat er nicht nur nachher sein fixes (ödes) Interview, der gesamte Lauf wird auch unter diesen (seinen) Gesichtspunkten kommentiert. Einmal bei einem Langstrecken-Ding blieben ARD/ZDF so gnadenlos auf ihren an etwa 10. Stelle liegenden Mann, dass sie die Spannung des Zieleinlaufs, also die Entscheidung verpassten.

Es kann schon richtig super sein, seinen lokalen Hero extra rauszupicken. Wenn man dafür aber die restliche Competition opfert, dann ist das krank.

Provinzielle Inszenierungen

Dass man die Dramaturgie zugunsten eines sehr falsch verstandenen Nationalismus so weit zurückdrängen kann, das ist schon erschreckend.

Bloß, und jetzt komme ich zu meinem zentralen Punkt: all das ist ja nur ein Spiegel eigener Verhaltensweisen. Denn: wird nicht jedes Rennen in egal welcher Sportart mit Ö-Beteiligung von allen heimischen Medien auch nur genauso verdummend und vor allem die Dramaturgie verfälschend bearbeitet und reportiert? Ist es nicht letztlich das, was mich an der Formel I immer so abgestoßen hat? Ist es nicht genau das beharrliche Ignorieren internationaler Konkurrenz und die als patriotisch missverstandene Lobhudelung der "eigenen" Akteure, das mir seit jeher die Sport-Übertragungen von Sportarten außerhalb der Top 3 (Fußball, Ski, F1) vermiest hat?

In der Grauslichkeit der Zelebrierung fremder Nationalismen
erkenne ich die eigenen, keine Frage.
Dass er noch dazu (auch bei den sich gern weltläufig gebenden Deutschen) die Dramaturgie eines globalen Ereignissen zerstört und nichts als provizielles Gehabe ausstellt, macht ihn zum Auslauf-Modell.

Es gibt sicher auch Möglichkeiten "seine" Athleten zu begleiten, die nicht alle/s andere/n ausschließt und die Gesamt-Kompostion zerstört. Diese Konzepte sind aber nicht in provinziellen Denkgebäuden versteckt.