Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Oh! Freiheit in Fleece"

Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

12. 8. 2010 - 10:17

Oh! Freiheit in Fleece

Die großen Fragen der Menschheit und die klaren Antworten der Brühwurst-Industrie.

Oh! - Irritationen im Alltag

"Take it!", schreit Janis Joplin aus den Lautsprecherboxen beim Leberkäs Pepi, und ich beiße schon mal den überstehenden fleischfarbenen Rand vom Semmerl, bevor ich noch bezahlt hab, weil ich vor Hunger fast sterbe.
"Take another little piece of my heart now, baby."

Comicstil; jemand denkt an ein Leberkässemmerl

elisabeth gollackner, fm4

Ich hab den Nachmittag damit verbracht, in Fotoalben wildfremder Menschen zu blättern, um aus den Geschichten und dem Bildmaterial eine Legende zu spinnen. Ein Hochzeits-Überraschungsvideo, ein Beweis, dass beide Partner ein wildes Leben davor hatten, ein Netzwerk besitzen, bereit sind für den nächsten Schritt. Irgendwas, um Zeit sichtbar zu machen.

Schau, wie jung und blöd wir waren.
Und nach der zwanzigsten Seite voller Karohemden und Fleecepullis und nächtlichen Einbrüchen in Freibäder fühlt es sich so an, als hätte ich in meiner eigenen Vergangenheit gekramt.

Alles austauschbar.

Vor allem dann, wenn man den eigenen Freund auf diesen Fotos entdeckt, wie er schmalbrüstig und weichgesichtig 15-jährige Mädls küsst, die ihre Haare immer offen tragen und angefangene Freundschaftsbänder mit Sicherheitsnadeln an ihren zerrissenen Hippie-Jeans hängen haben.

Ich bin austauschbar.

Ein Mensch, der in den 1990ern in Österreich groß geworden ist. Nicht mehr, und nicht weniger.

Und ich schieb mir das letzte Stück Semmerl in den Mund und küss meinen Freund. Leberkäse und Janis Joplin. Ein unendlicher Kreislauf aus Revolte und Liebe und österreichischen Brühwurstspezialitäten. So schmeckt also die Ewigkeit.