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Astrid Schwarz

Radio FM4

Astrid Schwarz

Digitales und Reales

28. 7. 2010 - 15:18

Imaginäre Freunde und falsches Lächeln

Eine Frau sucht Orte, die ihr nicht gefallen, um sich wie ein Alien fühlen zu könnnen. Ruth Cerha entwirft mit "Kopf aus den Wolken" ein Familienporträt ohne Kitsch.

Die bunten Fische im Aquarium ihres Kinderzimmers fallen ihr als erstes ein, wenn sie an ihn denkt. Ihr Bruder Franjo hat das Meer, dessen Bewohner und die Stille geliebt und ist seit 15 Jahren verschwunden. Das hat Anna rat- und rastlos zurückgelassen und seitdem kann sie nicht stillhalten, bleibt nirgendwo länger als ein paar Monate. Und sucht sich Orte aus, die ihr nicht gefallen- wie ihre erste Station Stuttgart- damit sie sich wie ein Alien fühlen kann. Dort arbeitet sie in einem Mövenpick Restaurant und widmet sich mit der Distanz eines Wissenschaftlers der Aufgabe, die Bestellungen der Gäste zu verstehen. Das macht sie solange, bis sie jemanden ins Gesicht schlagen muss. Dann steigt sie in den Zug und verschwindet.

Gezeichneter Fisch, Cover des Buches "Kopf aus den Wolken"

Eichborn Verlag

„Kopf aus den Wolken“ ist im Eichborn Verlag erschienen

Dieses Verlangen, zu verschwinden kennt Anna seit Franjo zu den Fischen gegangen ist. Das hat ihr die Mutter erzählt, als ihr älterer Bruder nicht mehr vom Tauchurlaub zurückgekommen ist. Danach wird das Schweigen in der schon sehr wortkargen Familie unerträglich. Früher hat wenigstens die Mutter mit ihren Lügen über Franjos imaginären Freund bei Tisch Konversation gemacht. Mit diesem Freund verbrachte Franjo die Ferien, weil sein Vater, ein gebürtiger Ägypter nicht wissen durfte, dass sein Großvater ihm einen Tauchurlaub gezahlt hat. Franjos Vater ist seit Jahren mit seinem eigenen Vater zerstritten und verweigert den Kontakt zu ihm. Dass seine Kinderheimlich ihren Großvater besuchen könnte er nicht akzeptieren. Annas Mutter lügt sich daher ihre Realität zusammen. Doch Anna kann mit dem falschen Lächeln ihrer Mutter nicht leben.

Autorin Ruth Cerha

Marlies Allmaier

Ruth Cerha

"Die Welt spaltet sich. Es entstanden dünne Risse an der Oberfläche, ich lugte hindurch und schaute ins Nichts. Dieses Nichts machte mir Angst, es hatte keinen Namen und keine Form, weder Farbe noch Geruch. Gebannt schaute ich zu wie die Risse breiter wurden."

Ruth Cerha wurde 1963 in Wien geboren und stammt aus einer Künstlerfamilie. Mit vier Jahren begann ihre musikalische Ausbildung in Klavier, Violine und Tonsatz, 1982 folgte das Abitur am Wiener Musikgymnasium. Sie studierte Psychologie, ist ausgebildete Sängerin und arbeitete als Musikerin und Komponistin mit verschiedenen Bands und fürs Theater. Ruth Cerha hat zwei Kinder und lebt in Wien. 2007 veröffentlichte sie den Erzählungsband "Der Gesang der Räder in den Schienen". "Kopf aus den Wolken" ist ihr erster Roman.

Eine längere Station von Annas Reise ist Kairo. Dort lernt sie Paul, einen sensiblen Zeichner kennen. Aus gemeinsamen Spaziergängen wird eine Beziehung. Irgendwann beginnt Paul Bilder aus seinen Träumen zu zeichnen und Anna wird unruhig. Es sind Bilder die Annas Wiener Vergangenheit und vor allem die Geschichte rund um ihren verschwundenen Bruder heraufbeschwören. Bilder, die sie fast ihr Schweigen über das Rätsel ihrer Familie und ihren Bruder brechen lassen. Doch nur fast. Hals über Kopf beendet Anna die Beziehung und lässt Paul gehen, ohne dass sie seine Adresse kennt. Mit Marjana, einer gutbetuchten Diplomatentochter fliegt sie nach New York. Und dann weiter nach Prag, auf den Spuren von Paul und ihrer Vergangenheit.

Ruth Cerha zeichnet in „Kopf aus den Wolken“ ein Familienporträt, das nach und nach die brüchigen Stellen freigibt. Manchmal greift die Autorin sehr tief in die Metaphernkiste, beispielsweise wenn Marjana schwimmen geht und Anna sich währenddessen aufs Bett legt “die Matratze ist weich, ich könnte in ihr schwimmen wie Marjana im Pool“.

Doch im Laufe des Buchs gewinnt die Handlung an Dichte und das Aufhören fällt schwer, denn nach und nach entwirrt Ruth Cerha die Verstrickungen und lässt die Leser nicht im Regen stehen. Und dass ohne kitschig zu werden.