Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Au schlägt zurück"

Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

1. 8. 2010 - 17:21

Die Au schlägt zurück

Seit Wochen überwuchert Efeu ostösterreichische Plakatwände. In TV und Radio schlagen Wurzeln durch Straßen und Frösche erobern die Schlafzimmer. Flora und Fauna der March-Thaya-Auen sind massiv bedroht. Der WWF sammelt Unterschriften, um das Gebiet zu einem Nationalpark zu erklären.

March und Thaya fließen im östlichen Niederösterreich an der Grenze zu Tschechien und der Slowakei. Dort, nur eine Autostunde von Wien entfernt, fühlt man sich wie im Dschungel.

WWF-Naturschutzexpertin Bernadette Strohmaier

Bernadette Strohmaier

WWF-Naturschutzexpertin Bernadette Strohmaier

Naturschutzexpertin Bernadette Strohmaier führt durch das WWF-Reservat Marchegg, einen winzigen Flecken Naturschutzgebiet im Herzen der March-Thaya-Auen. Sie zeigt auf die Kronen der uralten Eichen, wo die Störche ihre Jungen füttern, mit der anderen Hand verscheucht sie die Gelsen von ihrer Stirn. In einem Altarm des Flusses hinter ihr springt mit einem leisen Platschen ein Frosch ins Wasser. Eine Rotbauchunke vielleicht. Oder ein Laubfrosch?
Beide zählen zu den 500 gefährdeten Arten, die hier ein letztes Refugium gefunden haben.

March Auen Luftbild

Distelverein

Die March-Thaya-Auen entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs sind Teil des Grünen Bands Europas. In Tschechien ist das Gebiet ein Biosphärenpark, in der Slowakei ein Landschaftsschutzgebiet.
Diese isolierten Maßnahmen können die geplanten Bedrohungen aber nicht aufhalten.

Österreich tut trotz internationaler Richtlinien viel zu wenig für den Erhalt der Biodiversität vor Ort.

In den umgebenden March-Thaya-Auen, die sich gemeinsam mit dem tschechischen und slowakischen Anteil über 60.000 Hektar erstrecken und noch zu den artenreichsten Flusslandschaften Mitteleuropas zählen, wird ihr Lebensraum immer knapper.

Flussbegradigungen

Nur wenige Kilometer vom WWF-Reservat entfernt, an der Langen Luss, trocknen die Feuchtwiesen aus, weil das Marchufer mit großen Blocksteinen verbaut ist. Es sind Relikte mehrerer Flussbegradigungen, die in den Jahren vor und während des Eisernen Vorhangs insgesamt 35 Flussschlingen abgeschnitten haben.

Heubauer Johann Reuckl und sein Bruder Franz haben diese Entwicklungen miterlebt. Noch als ihr Vater die Flächen bewirtschaftet hat, erzählt er, haben sich mehrere "Sutten", schmale Nebenarme der March, durch die Wiesen gezogen. Heute muss der WWF solche Sutten und Autümpel baggern, um der kontinuierlichen Verlandung der Feuchtwiesen wenigstens ein bisschen entgegenzuwirken. Der Grundwasserspiegel ist schon um 1,2 Meter gesunken.

Sutte bzw. Autümpel an der Langen Luss in Marchegg

Barbara Köppel

In dieser Sutte haben sich seit letztem Herbst acht Amphibienarten angesiedelt. Darin dümpeln z.B. ein paar tausend Feen-Krebse und einige Donau-Kammmolche.

Die Flussbegradigungen haben auch für die Anrainer Folgen. Je stärker das Ufer verbaut ist, desto schneller überschwemmen Hochwasser das Land. Daran sei nicht nur starker Regen Schuld, erklärt Reuckl: "Wenn das Freudenauer Kraftwerk in Wien seine Schleusen öffnet, bleibt mir kaum Zeit, meine Heuballen ins Trockene zu bringen. Bei Hochwasser stehen die Wiesen innerhalb weniger Stunden bis zu zwei Meter unter Wasser."

Wasserkraftwerk, Schifffahrtskanal und Schnellstraße

Die alten Regulierungen sind jedoch das geringste Problem der March-Thaya-Auen. In den nächsten Monaten werden Bedrohungen akut, die das Feuchtgebiet unwiederbringlich zerstören könnten.

Schwarzstorch in den March-Thaya-Auen

F.Hahn/4nature

So überlegt die Slowakei, bei Wolfsthal - nur knappe fünf Kilometer von Hainburg - ein Wasserkraftwerk zu errichten. In diesem Fall würde die March bis Marchegg zu einem stillen See gestaut werden. Von frei mäandrierenden Flussarmen, Schwarzstorch oder Sumpfschildkröte wäre dann keine Rede mehr. Aufgrund der geltenden Grenzgewässerverträge würde Österreich diesem Vorhaben aber nicht zustimmen, heißt es von Seiten des Umweltministeriums.

Das gelte auch für den Abschnitt des Donau-Oder-Elbe-Kanals, den slowakische und tschechische Verkehrsplaner realisieren möchten. Um große Schiffe befördern zu können, müsste die March auf rund 80 Kilometern Länge vertieft werden. In Zuge dessen ist im slowakischen Malacky ein großer Verkehrsknotenpunkt mit Hafenanlagen, Flughafen und Anschlussstraßen angedacht.
Pläne für diesen Kanal, der das Schwarze Meer über die europäischen Wasserstraßen mit der Nordsee verbinden soll, gibt es schon seit Jahrhunderten. 1939 wurde in der Wiener Lobau eine kurze Strecke als Adolf-Hitler-Kanal ausgehoben.
Heute gilt die Idee des Donau-Oder-Elbe-Kanals aus österreichischer Sicht als anachronistisch. Dennoch hat der Nationalrat erst Anfang Juni das europäische Wasserstraßen-Abkommen AGN ratifiziert, das die Realisierung des Projekts nicht ausschließt.

Zur ökologischen Katastrophe könnte es allerdings auch ganz ohne Wasserkraftwerk oder Schifffahrtskanal kommen. Gegen eine vierspurige Schnellstraße quer durchs Feuchtgebiet haben die zuständigen MinisterInnen Doris Bures und Nikolaus Berlakovich nämlich nichts einzuwenden.

Moorfrosch mit einer Fliege auf dem Kopf

Rudo Jurecek

Schon 2011 soll der Spatenstich für die Marchfeld-Schnellstraße erfolgen. Die S8 soll Wien direkt mit Bratislava verbinden, auch wenn bereits 20 Kilometer südlich der geplanten Strecke die A6 verläuft, über die man von der österreichischen in die slowakische Hauptstadt nur eine knappe Stunde fährt.
Die S8 würde das heute noch zusammenhängende Augebiet quer durch die Lange Luss zerschneiden, was das Ende der bislang zwar nur punktuellen, aber äußerst erfolgreichen Renaturierungsmaßnahmen des WWF wäre. Die letzten Moorfrösche würden wahrscheinlich überfahren.

  • Mehr zu den March-Thaya-Auen am Montag, 2.8. in FM4-Connected.

Trotzdem will das Verkehrsministerium die S8 im Herbst genehmigen. "Und es würde ja nicht bei der S8 bleiben", gibt WWF-Naturschutzexpertin Strohmaier zu bedenken. "Das Verkehrsaufkommen würde sich erheblich steigern, außerdem würden sich Industrie und Gewerbebetriebe ansiedeln, die noch mehr Landschaft verbauen."

Franz und Johann Reuckl aus Markthof

Barbara Köppel

Die Brüder Reuckl plädieren für Wanderwege und Kutschenfahrten statt der geplanten S8.

Gegenüber den AnrainerInnen wird mit dieser Prognose eine Chance auf wirtschaftlichen Aufschwung argumentiert.

Dem stellt der WWF das weitaus nachhaltigere Entwicklungskonzept eines Nationalparks entgegen. In einer Kernzone bliebe die Natur sich selbst überlassen, in einer äußeren Bewahrungszone könnten Landwirte wie Johann Reuckl ihre Flächen weiter bewirtschaften und zusätzlich vom sanften Tourismus profitieren.

Hier kannst Du die Petition unterschreiben:

"Ein länderübergreifender Nationalpark ist die einzige Möglichkeit, die Bedrohungen für die March-Thaya-Auen zu verhindern", sagt WWF-Naturschutzexpertin Strohmaier. "Bis jetzt haben fast 14.000 Menschen die Petition unterschrieben. Mit jeder weiteren Unterschrift können wir den Druck auf die Politik erhöhen."