Erstellt am: 27. 7. 2010 - 11:51 Uhr
Sexismus in der Aufmerksamkeitsökonomie
Sex sells. Der PR-Mythos, der sich hartnäckig in den Köpfen der Werbeindustrie zu halten scheint, ist wieder einmal in seiner plattesten Form affichiert worden. Ein österreichischer Bierhersteller lässt drei nackte Frauen mit einem Glas Bier in der Hand posieren. Für jede Sorte Bier gibt es eine "Sorte" Frau. Schwarzbier für schwarze Haare, rötliches Bier für rote Haare und das kühle Blonde für die Blonde. Emotionalisiert wird mit dekorativer weiblicher Sexualität, die möglichst mit dem Produkt gekoppelt werden sollte. Man kennt das seit über fünfzig Jahren.
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Bewusstes Polarisieren
Auf Proteste reagiert die Marketingleitung der Brauerei mit gewohnter Distanz. Es seien bewusst keine "artifiziellen Modelle" von Frauen verwendet worden, sondern "natürliche Frauen", Nacktheit stehe für "Ursprünglichkeit", es gehe um "Diversität", die Frauen seien "selbstbewusste Biertrinkerinnen". Interessant ist aber, dass die "Fasstypen", wie das Marketing die Stereotypen selbst bezeichnet, zweifelsfrei polarisieren sollen. Das kommt einem Eingeständnis gleich, denn womit soll hier polarisiert werden außer mit Sexismus? Eine "öffentliche Diskussion wird bewusst in Kauf genommen", so die Marketingleitung, "denn auf die weiblichen Fasstypen folgen kongruent die männlichen Pendants".
Protest maximieren
Claus Pirschner und
Claudia Unterweger lösten letztes Jahr mit der Thematisierung von Rassismen in Zusammenhang mit einer Eskimo-Kampagne eine breite Diskussion aus. Mit Erfolg: Die Kampagne wurde gestoppt.
Dass platter Sexismus wie dieser eigentlich kein Thema mehr sein sollte für erstzunehmende UnternehmerInnen, steht außer Frage. Im Unterschied zu einer anderen Kampagne eines anderen Unternehmens, die sich um den rassistischen Ausdruck für Kuchen mit Schokoladensauce und Schlagobers drehte und auf sehr viel Protest stieß, ist bei dieser Kampagne aber ein Paradigmenwechsel zu erkennen. Es geht gar nicht mehr darum, sich bei der Antwort auf den Protest zu rechtfertigen, etwas zu vertuschen oder zu korrigieren, wie Eskimo es damals gemacht hat. Es wirkt ein wenig so, als ob das Antwortschreiben auf die Protestbriefe schon vor der Kampagne selbst entwickelt wurde. Mehr noch, der Protest ist längst Teil der Marketingstrategie geworden: Virales Marketing mit primitivsten Sexismen im Zeitalter der Aufmerksamkeits-Ökonomie. Dort, wo früher Kredibilität im Vordergrund stand und über Jahre am positiven Image von Marken gebastelt wurde, regiert jetzt die Aufmerksamkeit allein. Und mit allen Mitteln, denn Protest verkauft sich in den Köpfen der Werbeindustrie offensichtlich ähnlich gut wie Sex.
Update: Wiener Frauenstadträtin reagiert (28. Juli)
Die Wiener Frauenstadträtin Sandra Frauenberger hat mittlerweile reagiert und bietet Protest-Musterbriefe an. Laut ihr widerspricht die Kampagne "den Bestimmungen des Selbstbeschränkungskodex' des Österreichischen Werberats". Dort ist die Beschwerde zigfach deponiert und in Bearbeitung. Es fehle an einer bundesweiten Regelung zur Eindämmung von sexistischer Werbung. "Dazugehörige Sanktionen wären wünschenswert", so Frauenberger. Diese Regelung könne beispielsweise im Gleichbehandlungsgesetz verankert werden. Mehr dazu auf wien.orf.at
Jetzt kommt es wohl zu einem Kräftmessen, denn wenn der Protest zu groß wird und der Werberat demensprechend reagiert, bekommt der sexistische Marketing-Coup zumindest einen bitteren Beigeschmack.
Update: Die Diskussion (28. Juli)
In FM4 Connected diskutierten wir heute am 28. Juli 2010 mit der Inititiatorin der Watchgroup gegen sexistische Werbung Maggie Jansenberger. Sie ist Frauenbeauftragte der Stadt Graz und überprüft dort die Werbelandschaft auf sexistische Sujets.
Grazer Frauenrat
Für sie spielt die Intention von solchen Kampagnen eine geringere Rolle. Egal ob ein Skandal und die damit verbunden Diskussion schon mitgedacht wird oder nicht. "Es geht darum, dass man Diskriminierungen aufzeigt, sie benennt und darüber spricht", so die Watchblog-Betreiberin. "Wenn jemand eine Verletzung hat, wird auch nicht gefragt ob sich der-/diejenige, die Verletzung selbst zugefügt hat, oder ob er/sie verletzt wurde. Da gibt's dann einfach eine ärztliche Behandlung." Zur Bewertung sexistischer Werbesujets hat die Plattform gegen sexistische Werbung einen Kriterienkatalog, basierend auf wissenschaftlichen Studien, erstellt. Und bei vielen ihrer Fälle, genauso wie bei der Bierbrauer-Kampagne auch, werden Stereotypen von Menschen Produkten zugewiesen. Meistens geht es um den nackten Frauenkörper, der "emotionalisiert und sexualisiert wird."
Die Diskussion geht auch im Netz weiter. Groundbeef etwa schreibt: "Wenn du polarisierst, hast du sie ALLE erwischt, die Gegner sowie die Befürworter, alles Teil der Strategie. Wie leicht sich der Mensch doch vorführen lässt, am Nasenring durch die Manege, erschreckend." Über Twitter meint Groebchen: "Geht politisch überkorrekter Anti-Sexismus Hand in Hand mit einem neuen Puritanismus?" Missverstanden werden will er aber nicht, auch er hält die Bierwerbung "nur plump, verklemmt, schlecht. Aber auch unendlich harmlos." Für unibunt ist das keine Frage von Puritanismus, sondern eine von "Sexismus und Ausbeutung von Frauen." Und weiter: "stoppt die warenförmigen, sexistischen Darstellung von Frauen." Werner Reisinger: Puritanismus? Ich möchte nicht permanent von Sex umgeben sein. Empfinde das störend. Nennt mich einen Puritaner."
Anrufer Sergej sieht keine "direkte" Diskriminierung in der Kampagne. Niemand fühle sich schlecht auf Grund dieser Werbung und es liege ja in der Hand der Models, sich ablichten zu lassen oder nicht. Für Maggie Jansenberger sind das keine individuellen Geschichten von einzelnen Models, sondern es gehe "um eine Struktur, die dahinter steht". Und die arbeite mit Diskriminierung, also damit "Menschen zu benachteiligen, indem ihnen ausschließlich auf Grund ihres kulturellen oder biologischen Geschlechts verschiedene Merkmale zugeschrieben werden", so Jansenberger. "Das Werbeplakat ist ein Vehikel um diese Botschaft der Diskriminierung zu transportieren."
Für Anrufer Phillip ist "die Frau das Werbeding schlechthin und allgegenwärtig." Männersujets können übrigens genauso sexistisch sein, wie weibliche, antwortet Maggie Jansenberger: "Wir streben ja keine 50-50 Quote bei sexistischer Werbung an, sondern gar keine sexistische Werbung."
Die Frage, wie man umgehen sollte mit solchen Kampagnen, scheint immer aber noch nicht beantwortet. Thematisieren ja oder nein. Chillout73 etwa meint: "Drüber-reden ist die BESTE werbung !" Für Maggie Jansenberger ist klar: Nicht diskutieren und achselzuckend hinnehmen sind keine Lösungen. Und die Diskussion hilft, denn aus ihrer Erfahrung in der Watchgroup kann sie erzählen, dass sich Werbeagenturen an sie als Berater_innen wenden, "bevor sie damit hinausgehen." Wehren gegen die Kampagne kann man sich übrigens dort (via KonstantinBoeck).
Update: Werberat rät zu Sujet-Wechsel (30. Juli)
Der österreichische Werberat hat die Kampagne des Bierbrauers nicht verurteilt, rät aber zu einem Sujet-Wechsel. Bemängelt wurde, "dass sich das Werbemittel bewusst spärlich bekleideter, ihre Nacktheit lediglich mittels ihrer Arme bedeckender, Frauen bedient, ohne dass ein unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang zwischen der beworbenen Ware und den Körpern der Protagonistinnen erkennbar wäre". In Formen der kommerziellen Kommunikation bezeichnete der Werberat das als "inadäquat". Mehr dazu auf wien.orf.at.
Update: Report (3. August)
Auch der ORF Report beschäftigte sich in der Sendung vom 3. August unter dem Titel Sexy Reklame mit dem Thema. Nachzusehen in der ORF Mediathek.