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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

31. 7. 2010 - 13:14

Mit herzlichen Grüßen

Rhetorisch am Arbeitsmarkt zu Tode gestreichelt werden: Andrea Bajani hat ein Händchen dafür.

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Der CEO der Bankengruppe "Erste-Group", Andreas Treichl, verzichtete als Folge der Finanzkrise auf Bonuszahlungen, wie viele seiner Managerkollegen und musste ein Einkommensminus von mehr als 50 Prozent hinnehmen. Der "Leistungsträger" Treichl verdiente im Jahr 2009 nur noch 1,5 Millionen Euro. EinE DurchschnittsösterreicherIn müsste für diese Summe mehr als 50 Jahre arbeiten.
Zur selben Zeit wird die Idee einer Mindestsicherung in Österreich als "Hängemattensozialismus" beschimpft. "Leistungsfeindlichen Sozialschmarotzern" werden je nach Familienstand die Zahlungen gekürzt. In Deutschland läuft die Diskussion ähnlich: Dort werden Sozialhilfe-EmpfängerInnen zu 1-Euro-Jobs genötigt und der deutsche Vizekanzler Guido Westerwelle wirft Arbeitslosengeld-EmpfängerInnen vor, sie würden in "spätrömischer Dekadenz" leben.

Auf der einen Seite also die "Leistungsträger", auf der anderen die "Sozialschmarotzer" - und dazwischen eine unfassbar große finanzielle Kluft. Das ist nur ein Beispiel, wie zynisch wirtschaftliche Mechanismen anmuten. Und Neiddebatte hin, Milchmädchenrechnung her - diese Schieflage macht wütend. Weltweit.

Kritik an der globalisierten Ökonomie und ihren Auswirkungen finden sich dieser Tage auch vermehrt in der Literatur. Ein Beispiel dafür ist der in Rom geborene Schriftsteller Andrea Bajani. Sein eben erschienener Roman könnte als "neurömische Antwort" auf den Vorwurf der "spätrömischen Dekadenz" gelesen werden.

"In Erwartung weiterer Trauben darf ich Sie bitten, liebe Ines, den Büroschlüssel beim Pförtner zu hinterlegen."

Mann auf Leiter, Buchcover des Romans "Mit herzlichen Grüßen"

Deutscher Taschenbuch Verlag

"Mit herzlichen Grüßen" ist eine Satire, die aktuellen Arbeitssituationen den Spiegel vorhält: beißend, bizarr und bitterböse. Eine Firma - völlig egal, welches Metier - steht vor einer Kündigungswelle, doch der Personalleiter, der die Kündigungsschreiben bisher verfasst hat, wurde bereits entlassen. Also wird ein Wettbewerb ausgeschrieben: Wer packt am meisten Empathie, Herzlichkeit, Standfestigkeit in diese Briefe? Wer kann den Empfängern klar machen, dass eine Kündigung doch nur den Eintritt in unendliche Freiheit mit Tagen voll - man könnte fast sagen - "spätrömischer Dekadenz" bedeutet? Das Paradies, nach Jahren des Eingesperrtseins zwischen Akten und Arbeitsleid.
Einer kann das: Ein junger Kollege, der von diesem Zeitpunkt an nur noch "Der Killer" genannt wird.

"Und eben, als ich zum vierten Mal in dieser Nacht Ihr Telefon klingeln lassen habe und es Ihnen zum vierten Mal gelungen ist, der Versuchung zu widerstehen, gerade eben begreife ich, wie wenige Menschen imstande sind, so zu handeln. Geben Sie auch weiterhin niemals einer Schwäche nach! [...] Vergeuden Sie vor allem keine Zeit mit Kinkerlitzchen aus der Arbeitswelt! Die Familie geht vor, Frau Cittero. Also vernachlässigen Sie ihren Schreibtisch ruhig total! Ohne Zögern, ohne Gewissensbisse, und zwar ab Freitag, den 30. d.M., nicht später als 15 Uhr! [...]
Mit herzlichen Grüßen"

"Jetzt können sie am Netz auf- und ablaufen und sich wie Menschen fühlen."

"Mit herzlichen Grüßen" von Andrea Babjani, erschienen bei dtv, aus dem Italienischen von Pieke Biermann.

Der Killer klettert die Karriereleiter hoch, immer im Bewusstsein, er könnte der nächste Adressat seiner eigenen Briefe sein. Er stolpert im Kimono durch den Casual Friday, wird Teilnehmer einer Büro-Entlüftungsaktion (was soviel bedeutet, wie kein fixer Schreibtisch, persönliche Gegenstände immer in einer kleinen tragbaren Kiste) und er erlebt, wie der Chef sämtliche Gehälter kürzt, um einen Tennisplatz zu errichten, denn "Gehalt stehe ja immer auch für Entfremdung, Tennis dagegen sei die wahre Metapher des Lebens."

"In Italien sterben jeden Tag vier Arbeiter."

Ornella Orlandini

Andrea Bajani / (c) Ornella Orlandini

So reduziert und poetisch der Roman "Mit herzlichen Grüßen" gehalten ist, so dicht und direkt knallt das Nachwort rein.

"In Italien sterben jeden Tag vier Arbeiter", schreibt der Künstler Ascanio Celestini."Für die Übrigen fängt der Tag damit an, dass sie alles mögliche überleben müssen: Präkariat und Mutlosigkeit, Asbest und Unkrautvernichtungsmittel." Mit Nachdruck verurteilt er die kapitalistische Weltordnung und verweist auf den menschenverachtenden Zynismus, der dem System innewohnt und den Andrea Bajani mit seinem Roman sichtbar macht.