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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

30. 7. 2010 - 05:50

Dreams are my reality

Träumen, Denken, Kämpfen: Christopher Nolan verpackt in "Inception" intellektuelle Reflexionen in Blockbuster-Action.

Gibt es noch so etwas wie wirkliche Originalität? Oder ist nicht jeder vermeintlich neue Song bloß ein Stückwerk aus längst existierenden Akkordfolgen, Soundzitaten, textlichen Anleihen bei anderen Nummern? Sind nicht auch Autoren, Maler, Modedesigner und letztlich wir alle in einer unausweichlichen Referenzhölle gefangen?

Wer sich, wie der Schreiber dieser Zeilen, immer wieder mal mit der Frage quält, ob nicht alles Essentielle ohnehin längst gesagt, gebaut, geschrieben und komponiert wurde, kommt besonders beim Kino oft ins Verzweifeln.

Viele Regisseure scheinen es sich in der Recylingschleife wohl eingerichtet zu haben, vor allem, wenn man kommerziellere Filmproduktionen betrachtet. Mögen manche kleinere und künstlerisch dickköpfige Filmemacher wenigstens noch einen Kampf um Unverwechselbarkeit führen, wirkt Hollywood im Loop der Post-Postmoderne gefangen.

Reboots, Remakes, Sequels und Prequels lösen einander in regelmäßigen Abständen ab, Vertrautes wird wieder aufgewärmt, Retro-Stimmungen geschickt bedient. Bestimmte formale Innovationen, von Realität vortäuschendem Handkamera-Gewackel bis zur jüngsten 3D-Hysterie, dienen dann doch meistens zum Erzählen altbekannter, nicht selten austauschbarer Geschichten.

"Inception" ist in dieser Hinsicht anders.

Christopher Nolan, dem mit "The Dark Knight" einer der avanciertesten wie gleichzeitig erfolgreichsten Beiträge zur Reboot-Mania gelang, wagt sich nun tatsächlich in unerschlossenes Gebiet vor. Das beginnt beim Drehbuch, an dem der Brite fast zehn Jahre lang gearbeitet hat, und endet bei Bildern, die man in dieser Form noch nie gesehen hat.

Inception

Warner Bros

Dieser spürbare Drang zur Erneuerung des Kinos - und wir reden hier eben nicht von einem Undergroundwerk, sondern von dem Sommer-Blockbuster - hat seinen Preis.

Dreams are my reality
The only kind of real fantasy
Illusions are a common thing
I try to live in dreams
It seems as if it's meant to be
(Richard Sanderson, "Reality")

"Inception" ist ein Streifen, dem man die analytische Angestrengtheit dahinter anmerkt, all die Denkarbeit, die Planung, die Bemühungen um Eigenständigkeit. Minutiös ausgetüftelt bis ins winzigste Detail, ungemein präzise und ziemlich kühl mutet dieses zweieinhalbstündige Epos an.

Nur wenige werden den Kinosaal wohl in einem emotionalen Rauschzustand verlassen, wie ihn der Trailer versprochen hat - und wie ihn Filme im besten Fall auszulösen vermögen.

Aber schon bald, nachdem man irritiert von der Komplexität der Erzählung, die Nolan dem Massenpublikum zumutet, ins Freie gestolpert ist, passiert es dann.

Wie bestimmte Drogen, deren Wirkung erst mit Verzögerung einsetzt, entfaltet sich plötzlich die ganze Fülle der Eindrücke, überschlagen sich die Assoziationen im Kopf, fangen die Synapsen zu rauchen an. Und dann, zumindest mir erging es so, lässt einen "Inception" nicht mehr los, verfolgt dich bis in die Träume hinein.

Inception

Warner Bros

Womit wir mitten im Film sind. Kreist der Plot doch um eine Gruppe junger Krimineller, die einen technologischen Weg gefunden haben, sich in die Träume bestimmter Menschen einzuklinken. Angeführt von dem gehetzten Dom Cobb (Leonardo DiCaprio, direkt von der "Shutter Island" geflüchtet) hat sich das Team auf den Diebstahl wichtiger Informationen aus dem Unterbewusstsein spezialisiert.

Some of them want to use you
Some of them want to get used by you
Some of them want to abuse you
Some of them want to be abused
(Eurythmics, "Sweet Dreams")

Nachdem der aktuelle Auftrag auf gefährliche Weise schiefgelaufen ist und mit den multinationalen Konzern-Auftraggebern nicht zu spaßen ist, lassen sich Dom und Co. nur noch auf einen allerletzten Job ein.

Diesmal soll aber nicht in den Träumen eines Opfers herumspioniert werden, sondern es geht um eine "Inception", um das Einpflanzen eines Gedankens, der den Träumer in der Wirklichkeit allmählich vereinnahmt. Ein reicher Industriellensohn (Cilian Murphy) soll auf diese Weise entscheidend von der Firmenkonkurrenz manipuliert werden.

Eine durchaus machbare Angelegenheit, findet der Chef nach längerem Zögern, aber auch ein extrem riskantes Unterfangen.

Denn in die kollektiven Träume der Diebe und des Beraubten mischen sich bedrohliche Figuren aus Doms eigenem Unterbewussten. Immer wieder taucht seine tragisch verstorbene Frau Mal (die magische Marion Cotillard) auf und droht die Aktionen der Gang zu stören.

Inception

Warner Bros

Bestimmte Klischees aus Gangsterfilmen, die bereits in dieser Inhaltsangabe durchschimmern, bedient Christopher Nolan lustvoll und ausgiebig.

Vom slicken Look der Diebesbande über das Stereotyp des finalen Auftrags bis hin zu den unzähligen spektakulären Verfolgungsjagden, die sich in den Träumen abspielen, gibt sich "Inception" als elegantes Heistmovie.

Aber ebenso wie die Science-Fiction-Elemente entpuppen sich die Thriller-Bezüge nur als plakative Verpackung. Das Wort "Handlungsgerüst" trifft es in diesem Fall vielleicht am besten, denn Nolan verwendet all die Genre-Kicks bloß als Träger für ein pures Kino der Ideen und Reflexionen.

I close my eyes
Then I drift away
Into the magic night
I softly say
A silent prayer
Like dreamers do
Then I fall asleep to dream
My dreams of you
(Roy Orbison, "In Dreams")

Wer jetzt an die Herangehensweise der Wachowski-Brüder in der "Matrix"-Saga denkt, an diese popkulturelle Mixtur aus Martial-Arts-Kämpfen, Philosophie-Unterricht und religiösem Überbau, liegt falsch. Und unterschätzt Christopher Nolans Ambition.

"Inception" kommt hinter seiner gigantomanischen Action-Oberfläche ungleich seriöser, erwachsener, bewusst spröder daher. Ein Film über einen Traum im Traum im Traum und zwischen all diesen Ebenen ruhen Geheimnisse, nach denen auch ein Sigmund Freud forschte.

Inception

Warner Bros

Man muss als Vergleich schon an die Kriminalfilm-Tarnungen früher Godardfilme denken, die in Wahrheit von Ideologien und gesellschaftlichen Umbrüchen handeln, an die gruselige Dramatik, mit der Ingmar Bergman ernsthafte Diskurse über Leben und Tod abhandelte, an David Lynch natürlich, den Großmeister des Metaphernkinos mit verführerischer Noir-Oberfläche.

You could be a sweet dream
or a beautiful nightmare
Either way I don't wanna wake up from you
Sweet dream
or a beautiful nightmare
Somebody pinch me
your love's too good to be true
My guilty pleasure
I ain't going nowhere
(Beyoncé, "Sweet Dreams")

Die Radikalität eines Mr. Nolan ist es, im Gegensatz zu diesen Cineasten-Ikonen, seinen verschwurbelten, verschachtelten und originären Mindfuck mit einem Budget von 200 Millionen Dollar in den Mainstream einzuschleusen.

Dass dieses Unterfangen nicht drastisch scheitert, verdankt sich neben dem souverän agierenden DiCaprio einer mitreißenden Kameraführung, einer Besetzung, die von Ellen Page über Joseph Gordon-Levitt bis Tom Hardy fasziniert, dem aufwühlendsten Hans-Zimmer-Soundtrack seit "The Dark Knight", wüsten Stunts und vor allem atemberaubenden Effekten.

Christopher Nolan, der neben James Cameron wohl größte Visionär im Hollywood-Zirkus, hat einen Meta-Blockbuster geschaffen, ein intellektuelles Gegenstück zum bewusst naiven und weitaus gefühligeren "Avatar".

Beide Filme eint aber, dass sie um Projektionen und Wunschbilder kreisen, die wir uns erschaffen, dass sie einen Hang zum Realitätsverlust beschreiben, den wir Filmsüchtige bestens nachvollziehen können, dass sie im Grunde Allegorien auf das Kino selbst sind.

Die Welt, die da draußen nach dem Nachspann lauert, sie kann ruhig warten. Dreams are our reality.

Inception

Warner Bros