Erstellt am: 25. 7. 2010 - 21:36 Uhr
Fußball-Journal '10-32.
Die WM ist vorbei, der Alltag hat uns wieder: im Fußball-Journal 10.
Was am Wochenende abseits von den Geschehnissen bei der U19-EM-Endrunde in der Normandie (dazu dann morgen was) auffällig war.
Eins. Unterklassig.
Es war im Halbzeit-Geplauder des Senders Sky beim Spitzenspiel der heimischen 1. Liga, also der zweiten Leistungsstufe, als der sogenannte Experte Roland Kirchler um eine Einschätzung einer Neuerwerbung, die einer der beiden gerade tätigen Vorarlberger Vereine eben vorgenommen hatte, ersucht wurde. Kirchler flüchtete in Allgemeinplätze, erwähnte aber mit Nachdruck, dass der Spieler (es handelt sich um Dursun Karatay) zuletzt aber unterklassig tätig war.
Der ebenfalls anwesende Nachwuchs-Manager des betroffenen Vereines (Austria Lustenau), der Deutsche Daniel Ernemann, rückte diese Larifari-Aussage dann ein wenig gerader. Karatay würde von KonyaSpor kommen, einem Verein, der zuletzt in der türkischen 1. Liga (also der dortigen 2. Spielklasse) tätig war. Was Ernemann nicht erwähnte: dass Konya in die Super-Lig aufgestiegen ist; und dass Karatay, vorsichtig gesagt, kein Stammspieler war.
Dinge jedoch, die der Experte Kirchler sowieso nicht wußte, was ihn aber nicht von seiner Abqualifikation von Konya abgehalten hätte.
Zweite Leistungsstufe Türkei?
Unterklassig.
Dass man sowas im Rahmen einer Zweit-Liga-Partie in Österreich sagt?
Kein Widerspruch.
Dass dies der Trainer einer Regionalliga-Mannschaft (also eines drittklassigen Teams) sagt, der die UEFA A-Lizenz im Schnellschußverfahren des ÖFB quasi geschenkt bekommen hat?
Auch wurscht.
Unterklassig sind immer die anderen.
Am besten das "Fremde", dieses düstere Ding, über das man am Besten nix wissen will. Am allerliebsten das türkische, muselmanische, das hat in Tirol ja Tradition.
Zwei. Die dritte Liga.
Am Freitag, zeitgleich zu SCR Altach - Austria Lustenau, startete die Fußball-Saison in Deutschland, mit der 1. Runde der bundesweiten 3. Liga.
Kickers Offenbach gegen den 1. FC Saarbrücken, 9.000 Zuschauer. Und live in den 3. Programmen.
Am nächsten Tag hab ich dann Eintracht Braunschweig gegen Dynamo Dresden gesehen, auch live in NDR und mdr, 15.000 Zuschauer.
Beide Spieler mit Österreichern, drei in den Starting Line-Ups (Denis Berger, Benjamin Fuchs und - überraschend - Marc Sand).
Stimmung (siehe Zuschauerzahlen): grandios. Infrastruktur, Stadien: auf bemerkenswertem Level. Spiel-Niveau: gute Mittelklasse.
Nun ist es natürlich unfair, ein Spiel auf einem vom Regen zerpflügten Altacher Krautacker (4.700 Zuschauer), mit veralteten Tribünen und Dorf-Atmo mit Spielen in echten Stadien auf gut gepflegten Rasen zu vergleichen. Man kann da nur abstinken.
Denn: in einer üblen Umgebung, auf einem holprigen Rasen sieht auch eine feine Aktion einfach nur derb aus - während innerhalb einer gesunden und gutausehenden Infrastruktur auch ein Furzerl ganz gut riecht.
Deswegen war es dann auch ganz gut, dass nach der deutschen 3. Liga die Spiele der österreichischen ersten Liga, also der echten 1., der Bundesliga nachkamen. Leider waren es Spiele, die in Mattersburg (2.000 Zuschauer, echte Dorfplatz-Atmo) und in Graz (trotz 11.000 Besuchern ein stimmungsloser Kick, was an seiner minderen Qualität lag) stattfanden.
Dorf-Niveau.
Ich habe beide Matches nur mit einem Auge verfolgt, weil ich das andere (wie wohl jeder wirkliche Freund des Jugend-Fußballs) auf den Live-Ticker werfen mußte (zum Thema U19 dann morgen was) - aber der Vergleich machte sicher: Österreichs Bundesliga steht in praktisch jeder Hinsicht hinter dem, was Deutschlands 3. Liga kann, zurück.
Und da ist mir dann wieder der Experte von Punkt "Eins" eingefallen.
Und sein Urteil.
Unterklassig.
Ja, keine Frage: wenn sich Sturm Graz in einem internationalem Spiel bewähren muss, dann bäumt sich die individuelle Klasse, die in diesen dann doch irgendwie besonderen Spielern steckt, auf und erzielt dann ein adäquates Resultat.
Aber: solange Agieren auf Dorf-Niveau schon reicht um sich im heimischen Spitzen-Fußball durchzusetzen, solange bleibt die Unterklassigkeit in der Seele kleben.
Und führt zu Schmerz.
Der sich dann, wie im Fall des armseligen Experten, in Hass auf die "Anderen" dreht. Denen man ohne nachzudenken das zuschreibt, was man selber ist.
Unterklassig.
Hochgradig unterklassig.
Drei. Die echten Bloßfügigen.
In diesem Zusammenhang sind mir dann wieder andere Experten und ihre diesbezüglichen Verhaltensmuster eingefallen.
Weil sie um ihre Chancenlosigkeit wissen (österreichische Trainer sind ja im qualifizierten Fußball-Ausland nicht vermittelbar; nicht nur wegen der nachgeschmissenen Lizenzen. Außer in ein paar asiatischen Ecken ist ja keiner tätig - einsamer Europa-Rekord), weil sie sich ihrer eigenen Unterklassigkeit so dauernd und verbittert bewußt sind, wird kompensiert.
Und auf alles getreten, was - Populismus rulez - gute Lacher einbringt.
Das bringt dann Alltagsrassismus dieser Sorte zustande.
Weil es ja einfacher ist seinen Frust auf einen Schiri aus dem Mali, oder, an anderer Stelle, von anderen Experten, von den Seychellen zu fokussieren, als sich endlich einmal mit der eigenen Unterklassigkeit auseinanderzusetzen.
Und, um da die österreichischen Pfeifen auch gleich auszunehmen: die hört man öffentlich nie deppert über die Kollegenschaft reden. Vielleicht auch, weil die, im Gegensatz zu Coaches/Funktionären/Experten durchaus international gefragt sind. Der ägyptische Verband bestellt für kritische Spitzenspiele gerne neutrale Spielleiter; und gerne die aus Österreich.
Klar pfeifen die dort dann auch manchmal Schrott (mein ägyptischer Zeitungsladen-Besitzer kann davon Lieder singen) - Verächtlichmachung ist aber offenbar nicht nötig.
Auch weil man mehr Selbstbewußtsein hat, wenn man ein globaler Player ist.
Was ist eigentlich das Gegenteil des Global Players - der provinzielle Erbsenzähler?
Die hiesigen Trainer sind auf das eigene Land beschränkt (zwei, drei Pensionisten dürfen in die arabische Wüste).
Und die hiesigen Experten, die ja nichts sind als Möchtegern-Trauiner in Lauer/Wartestellung, detto.
Weshalb sie dann Experten ohne Wissen, ohne Analyse-Fähigkeit und ohne Mut zur Aussage jenseits der puren Floskel sind. Totengräber jeglicher wirklich kritischer Auseinandersetzung.
Sie sind die echten Bloßfügigen.
Sie sind die wahren Unterklassigen.
Und womöglich bald weltweit die Einzigen, deren Selbstbild von der Realität so weit entfernt ist wie die grönländische Auswahl von der nächsten Euro.
Wenn sie und ihr verbales Dünnbrettbohrertum weiter die Themen des Mainstreams vorgeben, dann ist es auch um uns schlecht bestellt.