Erstellt am: 24. 7. 2010 - 16:25 Uhr
"Blau unter Schwarzen"
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Was haben Harald Schmidt, Sarah Kuttner und Thomas Gsella gemeinsam? Sie alle werfen ihre Kolumnen und Kurzgeschichten, die sie bereits in diversen Zeitungen und Magazinen veröffentlicht haben, nicht einfach weg, sondern recyclen sie in Buchform. Das Hardcover ist scheinbar die einzig harte Währung im Autorengeschäft. Auch Thomas Gsellas "Blau unter Schwarzen" besteht zu einem Großteil aus gsellamelter, pardon, gesammelter Titanic-Beiträge, die für das Buch auch teilweise überarbeitet wurden.
Thomas Hintner
"Blau unter Schwarzen" ist in zwei Abschnitte unterteilt: Zwei Drittel des Buches machen "Ich..." aus, der Rest "... und die anderen". "Ich..." umfasst Texte, in denen Thomas Gsella als Figur selbst agiert. Zum Schein chronologisch durchwandert er seine Kindheit, beschreibt, wie er als Zehnjähriger die 68er-Generation mitbekommen hat und wie er sich als Erwachsener naiverweise von einem Drogensüchtigen hat ausnehmen lassen, der vorgab, das Geld für seinen kaputten LKW zu brauchen.
Ein weiterer Vorteil: Er wird wohl nicht gegen sich selbst klagen.
Dass Thomas Gsella in den Kurzgeschichten seine Person so in den Vordergrund stellt, geschieht weniger aus Eitelkeit, denn aus Selbstironie und einer sympathischen Portion "Underdog"-Denkweise.
"Im Sommer verknallte sich Petra aus der Mädchenklasse 5b in mich und gab mir zwei angelutschte Prickel Pits - geschenkt! Und dann hat sie gesagt, ich soll Papa und Mama fragen, ob ich mal wieder bei ihr schlafen darf und vorher gegenseitig Fünf Freunde vorlesen. Hab dann meine Eltern gebeten, dass sie Nein sagen. Ging glatt. Wer zweimal bei derselben pennt..." (Das war mein ´68 - Eine tagebuchgestützte Erinnerung)
Die Figur Thomas Gsella ist profan. Sie raucht, trinkt, hustet, blutet und rotzt rum. Der echte Gsella schafft es, Skurrilitäten und groteske Situationen in fantasievolle, detaillierte Szenariobeschreibungen zu verpacken. Die Pointen gehen dabei manchmal etwas unter. In "Die Verwandlung" wacht Gsella eines Tages als Käfer auf, anders als beim Original von Kafka jedoch nicht als Insekt, sondern als Volkswagen. Und in "Stations Liebling" vergleicht er sein Schnarchen und Röcheln mit dem eines Patienten auf der Intensivstation.
Michael Sowa, Dumont-Verlag
"Wenn man wg. Ausschabung der Nasennebenhöhlen in der schönen Aschaffenburger Hofgartenklinik liegt, zwei Zimmergenossen nachts so laut schnarchen, dass man das Zimmer flieht und nach etlichen Minuten ratlosen Herumstehens auf dem dämmerlichen Flur, sich geheim und mäuschenleise in die leere Intensivstation begibt, dort endlich einschläft und nun gleichfalls lauthals zu schnarchen und zu röcheln beginnt, machen einem die panisch herbeifliegenden Nachtschwestern nicht eben schöne Augen; extrem große aber doch." (Stations Liebling)
Gsellas Kurzgeschichten funktionieren vor allem im Titanic-Magazin. In geballter Form als Hardcover fehlen ihnen oftmals Aktualität und mediale Relevanz. Wenn zum Beispiel der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber eine Reise nach Gomera antritt, um vor seinem Antritt zur Bundeskanzlerwahl nochmal den Kopf freizukiffen und dabei eine Angela Merkel-Zeichnung im Gepäck hat, die er als Voodoopuppe missbraucht und ihr ins Herz sticht, dann hat die Geschichte 2001 eine ganz anderen Drive als heute.
"Blau unter Schwarzen" in einem durch zu lesen ist ermüdend, zu oft wiederholen sich diesselben Muster an Zoten und Grotesken. Wer sich aber jeden Tag ein zwei Kurzgeschichten rauspickt, kann an dem Buch durchaus seine Freude haben.