Erstellt am: 24. 7. 2010 - 12:30 Uhr
"Amtsmüde" – die neue Modekrankheit
Am Sonntag ist in Hamburg der Bürgermeister Ole von Beust zurück getreten. Wieder einer, der in der Blüte seiner Politikerjahre zur Pressekonferenz einlädt, um vorzeitig das Handtuch zu werfen.
Unweigerlich drängt sich das Bild von den Ratten auf, die das sinkende Schiff verlassen. Steht es so schlimm um das Land, dass jetzt keiner mehr regieren will? Von Beust sei schon länger amtsmüde gewesen, wurde berichtet - Amtsmüdigkeit ist ja das Modewort für das neue Unlustgefühl der politischen Führungskräfte. Vor allem bürgerliche Politiker wollen plötzlich das schöne Leben jenseits von Parteitagen und Plenarsitzungen entdecken und so schnell wie möglich aussteigen.
dpa
Aber Amtsmüdigkeit gibt es auch im Sport: DFB Präsident Theo Zwanziger hat es poetisch ausgedrückt: "Ich spüre eine tiefe Sehnsucht nach dem Privaten."
Zwar wurde Jogi Löw diesmal noch vom Amtsmüdigkeitsvirus verschont und macht weiter, aber die junge deutsche Nationalelf machte nach der WM auch einen irgendwie amtsmüden Eindruck, so dringend mussten alle ausspannen, die Geschehnisse verarbeiten, Abstand gewinnen. Alles Memmen, wohin man schaut!! Jetzt also der Hamburger Ole von Beust. Ok, die stolze Hansestadt Hamburg ist schwer verschuldet Bauskandale! Untersuchungssauschuss! - Das macht nicht so Spaß als Bürgermeister.
dpa
Christiane Rösinger
Aber was ist mit Unsereinen? Fragt uns einer, ob immer alles Spaß macht? Die Lo-Fi-Bohéme kann sich keine Amtsmüdigkeit leisten, obwohl es Gründe genug gäbe sich amtmüde zu fühlen: Die Sinnlosigkeit des Musikjournalismus, die ganze Musikindustrie, die Obszönität der Event- und Sponsorenkultur, die llgemeine Dummheit in den Medien, Funk und Fernsehen, die verbreitete Plattheit der Gedanken. Immer wieder gibt es neue blöde Bands, mit noch blöderen Jungs!
Immer wieder neue Backlashs, ewig währender Sexismus, Ageism! Die Verflachung des Kulturbetriebs, der Niedergang der Schreibkultur, die Ballermannisierung des Ausgehlebens. Es ist immer wieder alles so sinnlos!!!
Christiane Rösinger
Das Wetter! Der trostlose Wechsel der Jahreszeiten, der aufgeblasene Kunstbetrieb, die dumme Modewelt! Das ewige Sich-Abstrampeln, das anstrengende Immer-Wieder-Was-Neues-Überlegen: Neue Musikprojekte, Buchprojekte, Wohnprojekte, Freundschaftsprojekte.
Aber sind wir deswegen amtsmüde und treten von unseren Ämtern zurück und ziehen uns in unsere Sommerhäuser nach Sylt zurück?
Nein! Zum Glück haben wir nämlich keine Pensionsansprüche und uns deshalb längst damit abgefunden: Immer muss man alles selber machen, immer wieder von vorne anfangen.