Erstellt am: 22. 7. 2010 - 23:35 Uhr
Lullabies about Love and Disaster
Weitere FM4 Radio Sessions
Als vor gerade mal zwei Wochen die FM4 Radio Session mit I Am Kloot verkündet wurde, begann ich gerade Rob Sheffields Buch "Love is a Mixtape" mit dem wunderbaren Untertitel "Life and Loss, One Song at a Time" zu lesen. Wie es der Zufall, das Schicksal oder was auch immer wollte, verwendete ich als Lesezeichen eine Eintrittskarte von I Am Kloots Flex-Konzert vom 4.4.2004, das mir einst zufällig beim Blättern in Brechts "Dreigroschenoper" entgegenfiel. Das waren schon genug Gründe für mich, um mich in "Sky at Night" zu vertiefen, dem "Mercury Prize"-verdächtigen neuen 10-Song-Zyklus des Trios aus Manchester.
Spontan fallen mir zwei weitere epische Kunstwerke über das Motiv der Nacht ein. Zum einen der Gedichtzyklus "Hymnen an die Nacht" von Novalis, der in seinem dreistufigen Modell am Ende von einer schmerzhaften irdischen Entfremdung zur Befreiung in der Nacht führt. Zum anderen aus der Popmusik "Nighttown" von den Walkabouts, ein orchestral-urbanes Donnergrollen beim Blick über die Skyline einer Großstadt. Mit "Sky At Night" gesellt sich nun ein weiteres dazu und erst der Auftritt bei der Radio Session verhalf mir es richtig einzuordnen.
Eine englische Liebe voller Schadenfreude
Ihr fünftes Studioalbum kommt bei all seiner Größe im unscheinbar stillen Gewand daher und ähnlich unspektakulär präsentierte sich die Band um Sänger und Songwriter John Bramwell im Radiokulturhaus: Als Hintergrundkulisse lediglich ein großer Vorhang und als Beleuchtung Scheinwerfer in rot, grün und blau. Das wars auch schon mit dem Drumherum, der Rest wurde von der Musik ausgesprochen.
Die drei Herren, die sich für diesen Abend Unterstützung in Form dreier Mitmusikanten holten, widmeten sich zu Beginn ausführlich ihrem neuen Album. "Sky At Night" wurde in chronologischer Reihenfolge vom Anfang bis zum Ende gespielt, dazwischen typisch britischer Humor über den Vorteil des Musikers, Rotwein trinken zu dürfen, während das Publikum diesbezüglich durch die Finger schauen musste.
Pamela Rußmann
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Pamela Rußmann
Überhaupt arbeitete sich das Kollektiv weniger am neuen Album ab, sondern schaukelte sich von einer stillen Hymne zur nächsten, angefangen bei "Northern Skies" und endend bei "Same Shoes". Gemeinsam mit Schlagzeuger Andrew Hargreaves und Bassist Peter Jobson verkörpert Bramwell ein Triumvirat der augenzwinkernden Tristesse. Da war von Liedern über "Love and Disaster" die Rede, während Harmonika und Trompete die liebevoll von Elbows Guy Garvey produzierten Streicher ersetzten.
Irgendwie hatte man die ganze Zeit die Band im Kopf, wie sie auf ihren Bierkisten stehen und in einem kleinen Pub in der englischen Pampa ihre schadenfrohen Lieder über die allzu menschlichen Verluste des Lebens zum Besten geben. Dazwischen immer ein Funken Ironie und Sarkasmus, etwa wenn beim beatlesken "Lately" der Anfang verpatzt und das Ganze auch noch so im Radio ausgestrahlt wird ("This song is about sleepless nights caused by situations like these").
Pamela Rußmann
Der Charme dieser Gruppe wird von der Leidenschaft für ihre Songs bestimmt. Hier gibt es keine großen Effekte oder fliegenden Schweine. Als bestes Beispiel sind jene Momente der Radio Session zu nennen, in denen Bramwell praktisch solo spielte, während seine Bandkollegen bedächtig auf den Boden schauten, mit geschlossenen Augen zum Rhythmus wippten und dabei beinahe in ihr Bier weinten. Ich habe solch stille, persönliche und intime Musik immer als "erdig" bezeichnet, vermutlich deshalb, weil sie einen in jenen Momenten, in denen man von einer Zeile wie von einem Pfeil ins Herz getroffen wird, zwingt zu Boden zu blicken.
Pamela Rußmann
Pamela Rußmann
An dieser Stelle sollen auch die drei weiteren Musiker auf der Bühne nicht unerwähnt bleiben. I Am Kloot funktionieren normalerweise als Trio bestens, aber Trompete, Keyboad, Harmonika, Querflöte und E-Gitarre machten Songs wie "The Moon Is A Blind Eye" oder die epische Sechs-Minuten-Hymne "Radiation" zu wahren Höhepunkten. Auch das neu aufgenommene "Proof", das bereits auf I Am Kloots selbstbetitelten zweiten Album zu finden ist, strahlte so frisch wie eh und je. Nicht nur auf "Sky At Night" ist "Same Shoes" ein genialer Abschluss, mit dem Saxophon-Solo wurde so auch live der Zyklus würdevoll beendet.
Pamela Rußmann
Life´s a piece of shit when you look at it
Das Konzert war aber noch lange nicht vorbei, obwohl die drei zusätzlichen Musiker der Konzept-Performance von "Sky At Night" nun verabschiedet wurden. Übrig blieben I Am Kloot in Originalbesetzung. Es wurde begeistert geklatscht, als nun alte Songs angekündigt wurden ("You don´t like the new songs, hm?") und der Reigen der quasi Zugaben wurde mit "Twist" vom Debüt "Natural History" eröffnet. Die Obsession für den Himmel, der einem eventuell auf den Kopf fällen könnte, kam danach bei "From Your Favourite Sky" wieder, worauf ihr kleiner Radio-Hit "Over My Shoulder" von "Gods and Monsters" folgte.
Pamela Rußmann
I Am Kloot live im Herbst:
- 30.10.2010: Flex, Wien
- 31.10.2010: PPC, Graz
Der sehr rasche und überraschende Wechsel von den reduziert-harmonischen Arrangements der Nacht-Hymnen zu den rockigeren Songs der ersten beiden Alben kam für manche im Publikum sogar als Erleichterung. Sicher auch, weil man bei alten Songs immer schneller vom Pfeil getroffen wird, als bei neuen. Das nächste Dreigespann ("No Fear Of Falling", "Storm Warning" und "One Man Brawl") sollte eigentlich laut Setlist die Radio Session offiziell beenden. Aber wer wie John Bramwell auf nichts weiter angewiesen ist, als auf eine einzige Gitarre, der kann noch ein paar Songs raushauen. Als völlig ungeplante Zugaben des Sets folgten "Someone Like You", eine der besseren Nummern des etwas untergangenen Albums "I Am Kloot Play Moolah Rouge" und als krönenden Abschluss schnappte sich Bramwell endlich die rote E-Gitarre, die die ganze Zeit am Rand der Bühne stand, und schmetterte "To You" als xmalige (und wohl nicht ganz ernst gemeinte) Widmung ans österreichische Publikum, das die Band wieder im Oktober beehren wird.
Pamela Rußmann
Mit dieser hoffnungsvollen Note auf mehr Konzerte endete ein Abend voller Love and Disaster, einmal in Form von Hymnen an die Nacht, und dann im Gewand von altbekannten Gefährten. Aber immer typisch englisch, was man nicht nur an John Bramwells Zähnen sah: Always look on the bright side of life. Mich erinnerte das stark an jene Form der realistischen Melancholie, wie man sie sooft in England findet. Dort auf der Insel, wo in Pubs am Karaoke-Abend von verschwitzten und mit einer Bierfahne ausgestattenen Bauarbeitern völlig skurril "I Will Survive" oder "You Were Always On My Mind" zum Besten gegeben wird, während ihr einziges Publikum aus gebrochenen Männern mit traurigen Mienen besteht, die von ihren Frauen verlassen wurden. Und wenn der Song zu Ende ist, dann geht auch ihr Leben irgendwie weiter. Life and Loss, One Song at a Time.
Die Setlist der FM4 Radio Session mit I Am Kloot
radio FM4
artist | song | |
---|---|---|
I Am Kloot | Northern Skies | |
I Am Kloot | To The Brink | |
I Am Kloot | Fingerprints | |
I Am Kloot | Lately | |
I Am Kloot | I Still Do | |
I Am Kloot | The Moon Is A Blind Eye | |
I Am Kloot | Proof | |
I Am Kloot | It´s Just The Night | |
I Am Kloot | Radiation | |
I Am Kloot | Same Shoes | |
I Am Kloot | Twist | |
I Am Kloot | From Your Favourite Sky | |
I Am Kloot | Over My Shoulder | |
I Am Kloot | No Fear Of Falling | |
I Am Kloot | Storm Warning | |
I Am Kloot | One Man Brawl | |
I Am Kloot | Someone Like You | |
I Am Kloot | To You |