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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

21. 7. 2010 - 10:09

Mein Controller bin ich selbst

Die Technologie "Kinect" erhebt den Körper zum einzigen Steuergerät für Videospiele. Warum die Xbox-Strategie für Gelegenheits-Gamer auch langfristigen Erfolg haben sollte.

Es ist ein bisschen schade, dass Microsoft/Xbox seine neue Technologie für Bewegungssteuerung bei Videospielen so geradlinig bewirbt. So viele Möglichkeiten gäbe es da, etwas Humor reinzubringen und gleichzeitig das bemerkenswerte Konzept von "Kinect" herauszustreichen. Doch statt Schattenboxerinnen, Luftgitarrenprofis und Pantominen sehen wir in den Promotion-Videos nur die übliche Vater-Mutter-Zwei-Kinder-Familie, die begeistert in der hellen, aufgeräumten Wohnung der gehobenen Mittelschicht um die Wette hüpft, tanzt und klatscht.

Eine Familie spielt mit "Kinect" für Xbox 360.

Microsoft

Alt und neu

"Kinect" ist gleichzeitig aufgewärmte Idee und futuristisch anmutende Errungenschaft. Schon 2003 hatten wir "EyeToy" von Sony, wo man vor dem Fernseher herumhampeln und virtuelle Gegenstände mittels Handbewegungen manipulieren konnte. Sieben Jahre später geht es aber nicht mehr nur um nette Gimmicks und den schnellen "Wow!"-Effekt, sondern ein bisschen auch um die Umsetzung des alten Science-Fiction-Traums der komplett vermenschlichten Kommunikation mit der Maschine. Zu einer Zeit, als man noch schwitzend vor Terminals mit düster blinkenden Cursorn saß, war der fiktive Computer, den man mit Spracheingabe und Handbewegung steuert, ein schöner Traum. "Kinect" setzt das nicht zum ersten Mal in die Tat um, wird aber viel dazu beitragen, dass diese Form des Gerätesteuerung zu einer alltäglichen, gängigen Praxis wird.


Noch bis vor kurzem nahezu utopisch: Sprachsteuerung bei Computern.

Wundertüte für Wenigspielende

Weil Xbox den Markt der Gelegenheits-User bisher stiefmütterlich behandelt hat, wird "Kinect" vor allem als schickes Steuergerät zum Filmeschauen und kurzweilige Spielewundertüte für die Familie präsentiert. Vor einem Jahr, als die Technologie noch "Project Natal" hieß und die Testspielchen sich auf Autolenken und Bälle herumwerfen beschränkten, konnte man das nur vermuten. Jetzt, ein paar Monate vor der Markteinführung im November macht das Line-up der ersten Games die Ausrichtung klar: Es gibt ein Tanzspiel von den "Guitar Hero"/"Rock Band"-Machern Harmonix/MTV, Abenteuerpark-Unterhaltung (etwa Wildwasserrennen am Schlauchboot), Tiere streicheln, ein simples Autorennen und die naheliegenden Sport- und Fitness-Games, die man schon von der Wii kennt und gewohnt ist.

Das ausführliche Anspielen bei der Presseeinladung lässt - trotz der fast fertigen Softwarepalette für die Veröffentlichung im Herbst - erst vage erahnen, was "Kinect" imstande sein wird können. Die Kamera, das Herzstück des Gerätes, misst zu jeder Zeit den gesamten Körper und seine Bewegungen. Noch ist die Qualität der Steuerung bei den einzelnen Titeln sehr unterschiedlich, die Präzision und das Feedback zwischen dem Spielenden und dem Spiel schwanken. Manchmal, wie beim erprobten Bälle werfen und fangen, funktioniert es besser, ein anderes Mal fühlt es sich wiederum recht hakelig an. Vor allem die Menüführungen der Games, die auch alle ausschließlich mittels Handbewegungen gesteuert werden müssen, waren zum Zeitpunkt der Präsentation manchmal schwieriger zu meistern als die Spiele an sich.

Journalisten beim Testen der Xbox 360-Bewegungssteuerung "Kinect".

Xbox Österreich

Wir fahren mit dem Auto.

Ablöse des haptischen Controllers?

Bezogen auf die kommenden Geschäftsquartale ist die klare Ausrichtung von "Kinect" auf simple Software und die Zielgruppe der Nicht- und Wenigspielerinnen verständlich. Hoffentlich verstellt sich Microsoft damit aber nicht den Weg, seine neue Bewegungstechnologie auch als tiefgründigere Interaktionsmöglichkeit für digitale Inhalte zu etablieren. Bei der Wii war der Ruf in der Öffentlichkeit ja irgendwann zementiert - trotz einiger inhaltlich aufwändiger Games wie "Mad World" oder "Super Mario Galaxy", die auch guten Gebrauch der Bewegungssteuerung machen, gilt das Gerät weiterhin bloß als gelungenes Spielzeug.

"Kinect" könnte interaktive Geschichten möglich machen, wo etwa Türen behutsam geöffnet oder liebgewonnene Figuren mit entsprechenden Bewegungen getröstet werden müssen. Künstliche Intelligenz könnte durch die Sprach- und Bewegungsteuerung und -erkennung in einer Wahrhaftigkeit erlebbar gemacht werden, die mit den bisherigen Interaktionsmöglichkeiten bei Videospielen bisher nicht möglich waren.

"Kinect" für Xbox 360 erscheint kommenden November und wird zunächst gemeinsam mit dem Game "Kinect Adventures" im Bundle um rund 150 Euro verkauft.

Ob es tatsächlich dazu kommen wird, ist derzeit nicht abzuschätzen. Neben den vielen noch unbekannten "Kinect"-Projekten, an denen weltweit gearbeitet wird, ist momentan einzig Peter Molyneux die große Hoffnung. Der seit einiger Zeit exklusiv für Xbox werkende Game Design-Star will sowohl den nächsten Teil von "Fable" mit "Kinect" erfahrbar machen als auch die innovative Gesprächssoftware "Milo and Kate" veröffentlichen. Trotz der guten Ideen und theoretischen Vorstöße sollte man hier aber - wie immer bei Molyneux - mit Vorfreude sparsam sein. Am großen Potenzial von "Kinect" besteht kein Zweifel - ob die Softwareentwicklung aber tatsächlich so vielfältig ausfallen wird, dass die Technologie eine normative Wirkung auf Videospielkultur ausüben wird, bleibt noch einige Zeit fraglich.