Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Konzertcafé Schmid Hansl"

Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

3. 10. 2010 - 15:00

Konzertcafé Schmid Hansl

Der Titel des Aufsatzes verrät uns, dass es um ein Konzertcafé namens Schmid Hansl geht. Möchte der Autor es etwa tadeln oder gar loben? Ein Mausklick auf die Überschrift führt zur ausführlichen Antwort auf diese berechtigte Frage!

In meiner Brust schlugen schon immer zwei Herzen. Ich spreche allerdings nicht von einem bemerkenswerten medizinischen Phänomen, sondern bemühe ein beliebtes Sinnbild. Die beiden Pumpen pumpten bezüglich der Stammlokal-Frage.

Einerseits sind Stammlokale jene düsteren Eckbeisln, deren Hauptattraktionen Spielautomaten und Erdnussspender sind und die täglich die zehn selben Kunden locken, deren vorwiegende Ernährung man durchaus am Aussehen ablesen kann: Erdnussspendernüsse und Bier.
Doch die Idee, regelmäßig eine behagliche Gaststätte aufzusuchen, in der einem zuvorkommend begegnet wird, die auch ein spontanes Doch-noch-Sitzenbleibing ermöglicht und wo man bei ansprechender Musik nicht dem Geschnatter von Naschmarkt-Brunchern ausgesetzt ist, hatte stets einen gewissen Appeal.
Da ich in der Nähe meiner unbescheidenen Bleibe aber nie Spelunken entdecken konnte, die mich beim Vorüberschreiten kirre gemacht hätten, berauschte ich mich in den bevorzugten Etablissements meiner wohlriechenden und attraktiven Freunde.

Eines Tages begehrten Kollegin Reiser und ihre Schwester meine Aura. Ihre glockenhellen, gleichzeitig aber verführerisch verruchten Stimmen drangen dank der Errungenschaften der Mobiltelefone in mein Ohr.
“Marc, du Traum unserer Nächte und Wunsch unserer Tage, komm ins Schmid Hansl!“
Ich so: „Hä?“
Sie so: „Wie hä?“
Ich so: „Wie Schmid Hansl?“
Sie so: „Waaas? Kennst du nicht?“
Ich so: „Hä? Nö.“
Sie so: „Eeeecht? Eh praktisch ums Eck!“
Ich so: „Eeeecht?“

Also packte ich meine sieben Zwetschgen (Abführmittel) und schlenderte zur von den Schwestern Reiser genannten Adresse. Die Adressnennung wurde im oben transkribierten Gespräch aus Kostengründen weggelassen.

Tisch im Café Schmid Hansl

Café Schmid Hansl

Nach nur wenigen hundert Metern Fußweg betrat ich ein wunderschönes Kaffeehaus. Wände und Sitzmöbel erfüllten Klischees aus Reiseführern. Der Kellner war aber ausgenommen freundlich. Ein betagter Herr saß am Piano und interpretierte mit charmanten Changes Standards und Wienerlieder für uns und die drei anderen Gäste.
Um Eifersuchtsdramen zu vermeiden, küsste ich die Schwestern Reiser nur im Geiste, weil ich ihnen unendlich dankbar dafür war, mich in mein künftiges Stammlokal geführt zu haben.

Foto von Oskar Werner im Café Schmid Hansl

Café Schmid Hansl

Seit diesem Abend wurde das Konzertcafé Schmid Hansl nach und nach zu einem Teilzeit-Wohnzimmer.

Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist der Kellner, Koch und Pächter Rasmus ein sehr angenehmer Geselle, der seine Gäste unabhängig von seinem aktuellen Gemüt freundlich, aufmerksam und zuvorkommend bedient. Neben erbaulichen Unterhaltungen punktet er weiters mit fabelhafter Kost und bewundernswerter Contenance gegenüber etwas 'anspruchsvolleren' Gästen.

Diese sind der zweite gute Grund, das Schmid Hansl auszusuchen.

Schmid Hansl in seinem Café

Café Schmid Hansl

Ich schätze das Wienerlied ohne jede Ironie sehr. Wenn überreife Herrschaften dreistimmig Kirschen wochsn liasatn, rinnt es mir mitunter vor Rührung kalt den Buckl runter.
In besseren Zeiten schwelgend, suchen Vertreter des 'alten Schlags' immer wieder gerne das Konzertcafé auf, um sich gegenseitig mit (wohl meist haltlosen) Anekdoten über den legendären Johann Schmid zu übertrumpfen, dem unvergleichlichen Rudi Luksch am Piano oder Akkordeon zu lauschen oder mit ihm gar Evergreens des Wienerlieds anzustimmen.

Herr Rudi ist ein humpelndes Nachschlagewerk des Wienerlieds. Der betagte Herr, dessen musikalische Biographie hunderte Eigenkompositionen, tausende Auftritte und womöglich noch mehr Doppelliter säumen, spielt mit eherner Disziplin meist sechsstündige Sets ohne nennenswerte Unterbrechungen, in denen er routiniert Bögen von Harry Lime über Rosamunde bis zu Wonderful World spannt. Seine Interpretationen sind Zeugnis eines Kampfes der nicht mehr ganz so flotten Gichtfinger gegen seine Liebe zur Schönheit der Musik, seine Gelassenheit und sein Können. Den Charme von Legendary Luksch rundet aber erst seine Kauzigkeit ab. Gespräche mit Herrn Rudi sind ein Survivaltraining im alten Lakonien. Schnell erweckt der drollige Gentleman den Eindruck, dass nicht zu wenig an gütiger Verachtung in seinem stets wohlgekleideten Busen brodelt. Sowohl für die alten Recken, mit denen früher auch besser bechern war, als auch für die paar jungen, verirrten Seelen im Schmid Hansl, die im Vergleich zu ihm so gar keine Ahnung vom wahren Rock’n’Roll der Vorstadt haben.

Das Piano im Café Schmid Hansl

Café Schmid Hansl

Eines Tages begingen ein Musikerkollege und ich in unermesslicher Naivität den sicheren Selbstmord in der Welt des Rudi Luksch und wagten es, dem Meister ein selbstverfasstes Wienerlied in reduzierter Besetzung darzubieten. Wenn Blicke töten könnten, wäre Herr Rudi wohl Massenmörder. Der Maestro sah uns an, als wären wir welche. Es waren aber nicht nur Selbstherrlichkeit und Verachtung, sondern eben auch eine mitleidige, liebevolle Wärme aus seinen alten Augen zu lesen.
Seitdem ich Herrn Rudi in sein großes, dunkles Herz zu blicken glaubte, genieße ich seine Darbietungen noch viel mehr.

Andere Konzerte im Schmid Hansl haben schnell den Einzug in meine persönliche Live-Erinnerungs-Hitparade geschafft. Das Vienna Jazz Trio war zum Niederknien, die Tausch Brothers virtuos und den letzten Töne unseres Konzerts hörten schon die ersten redlichen Arbeitnehmer.

Die Vielfalt der Darbietungen zieht vielleicht wenig neues Stammpublikum an und jenes aus den goldenen Jahren ist teilweise schon tot. Man trifft im schönen Konzertcafé jedoch verlässlich angenehme, originelle und unerträgliche Menschen, Helden von früher und von morgen, die besten Ingredienzien für lange, merkwürdige Abende.

Rasmus, der Kellner vom Café Schmid Hansl

Café Schmid Hansl

Rasmus - Für die geriatrischen Fälle "Herr Josef"

Wer aktuell angenehm beschallt zu werden begehrt, sollte das Programm des wunderbaren Festivals Wien im Rosenstolz in seinen Kalender übertragen.
Heroen wie Karl Hodina, Roland Neuwirth oder die Strottern konzertieren im Oktober wie viele andere durchwegs entdeckenswerte Künstler täglich.

Die Homepage des gerühmten Lokals

Im November wird dann das Hansl Gansl mit Martini gereicht. Dieses soll zum letzen Punkt meiner Schmid Hansl - Lobhudelei überleiten: Das Personal, also der nicht zu verachtende Herr Rasmus, punktet mit einem erstklassigen Wortwitz-Service. Freunde des schlechten Sprachspiels, die sonst in unserer beinharten Leistungsgesellschaft ihrer Passion nur heimlich in dunklen, feuchten Ecken nachgehen dürfen, können im Schmid Hansl ihr Steckenpferd frei ausleben und werden dafür mitunter auch noch in Form von Speisekarteneinträgen oder Mittagsmenüs belohnt. So fand selbst mein Hendllightdinner Gehör.

Was jetzt noch fehlt, ist ein runder, origineller Schluss für diesen Aufsatz. Ich wüsste einen, aber den werde ich nicht verraten. Denken Sie sich doch gefälligst selbst was aus!